Vergib uns unsere Schulden/Ein Kongreßbericht:
In dem noch von der DDR gegründeten Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) wurde das Projekt „Generationen in der Erbengesellschaft“ mit einer Tagung über „Transgenerationale Übertragungen“ abgeschlossen. Die Institutsleiterin Sigrid Weigel sprach zuletzt über „Die Schuld der Schulden“. Dabei ging es um die Umwandlung deutscher „Entschädigungen“, die von den Kindern der im nationalsozialistischen Krieg schuldig gewordenen Eltern gezahlt wurden, in die heutige „Staatsverschuldung“, die diese Generation jetzt gegenüber ihren Kindern und Enkeln schuldig macht. Das ist der Hintergrund der Rede von der „Generationen-Gerechtigkeit“. Sigrid Weigel sprach von einer „transgenerationalen Ökonomie“. Diese gehe in ihrer heutigen Form auf die Französische Revolution zurück: In Opposition zum Erbrecht des Ancien Régime hieß es 1793 in der „Deklaration der Menschenrechte“: Keine Generation habe das Recht, „eine zukünftige Generation den eigenen Gesetzen zu unterstellen“. Die „Produktion von Zukunft, das Recht der Jugend und das Erbe – definiert als Eigentumserwerb der Nachkommen in der biologischen Reproduktionskette – entstammen ein und dem selben Konzept: dem modernen Erbebegriff, mit dem die Geschichte als Generationenkette und das Volk als Population verstanden werden.“ Dieses Konzept entstand vor gut 200 Jahren. Die bürgerliche Kleinfamilie wurde dabei „zum Modell der sozialen Ordnung und zur Agentur der Übertragung“, gleichzeitig ging die Wissenschaft daran, „die biologischen Vererbungsgesetze zu erforschen“. Laut Sigrid Weigel sind seitdem „Vererbung und Erbschaft grundlegende anthropologische Praktiken, mit denen die Menschen sich gleichermaßen als Natur- und Kulturwesen begreifen können, als Individuen, die in der menschlichen Reproduktionskette, in der Gemeinschaft und in der Geschichte leben.“
Seit 1972 verschiebt sich jedoch das Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Menschen: erstere werden immer älter, letztere weniger. Diesen „demographischen Wandel“ führt Sigrid Weigel auf die „68er-Generation“ zurück – mit der im Anschluß an die „Babyboomer“ der Nachkriegszeit der „Pillenknick“ einsetzte. Bei den deutschen 68ern noch dadurch verstärkt, dass sie sich sagten: „Keine Kinder! Weil nur so das Böse (der Nationalsozialismus) vermieden werden könne. Erst kürzlich hielt Verteidigungsminister Guttenberg eine Rede, in der er den von „68ern“ eingeleiteten „demographischen Wandel“ zu „bewältigen“ versprach. Er verblieb dabei (natürlich) im alten Erbgedanken: „Das Gut folgt dem Blut“, während nunmehr eher gilt: „Gib das Geld dort hin, wo deine Liebe ist“, d.h. u.a., Erbschaften in nachhaltiges Wirtschaften zu investieren. Das können Stiftungen und (internationale) Hilfsprojekte sein. So wird z.B. die „nicht-kommerzielle Landwirtschaft ‚Karlshof'“ bei Templin ebenso wie die Berliner „taz“ von Erben finanziert.
Früher galt der „Generationen-Vertrag“: Die Eltern garantierten ihren Kindern Erziehung und Ausbildung und diese ihnen später Versorgung. Das wurde dann zunehmend „sozialstaatlich verallgemeinert“ und dies wird nun – mit dem wachsenden „Haushaltsdefizit“ – ad absurdum geführt. (Meine Rente z.B. würde sich bei Inanspruchnahme auf monatlich 183 Euro 52 belaufen). Zur wachsenden Staatsverschuldung kommen zudem die „Folgekosten“ der Industrialisierung: Atommüll, vergiftetes Grundwasser, erhöhte Krebsraten usw.. Insgesamt ist dabei von einer „tickenden Zeitbombe“ die Rede. Laut Sigrid Weigel kehrt sich auch „das Verhältnis zum Geld“ um, indem die älteren Generationen immer egoistischer werden. Nach dem Begriff der „zukünftigen Generationen“ und dem des 1968 gegründeten „Club of Rome“ vom „Überleben der Menschheit“, werden nun „die Rechte der zukünftigen Generationen“ diskutiert – aber wo beginnen diese: „bei den Kindern, den Enkeln oder ist es nur eine Pathosformel?“ Können die zukünftigen Generationen überhaupt ihren Pflichtteil einklagen, indem sie die heutigen Generationen ermahnen, das Erbe nicht zu verprassen? „Ein (Generationen-) Vertrag kann eigentlich nur zwischen Gleichen geschlossen werden. Zudem läßt sich die ‚Gerechtigkeit‘ nicht ökonomisieren – sie ist per se nicht rechenbar“.
Gegenüber den sich dennoch daraus entwickelnden „Politiken der Nachhaltigkeit“ hat deswegen der „Potlatsch“ – eine „Ökonomie der Verschwendung“ – die Attraktivität ausschweifenden Lebenswillens für sich, die sich noch in der antidarwinistischen Ablehnung aller (statistischen) Fortpflanzungsbiologien und – hierarchien zugunsten von (transversalen) Wahlverwandtschaften äußert. Das aber nur nebenbei.
Noch ein Vererbungs-Kongreß: