Zahltag: Zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen hat gestern die „Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie“ ihre Ansprüche angemeldet. Ein „rascher Politikwechsel in Berlin und Brüssel“ sei jetzt bei der „Grünen Gentechnik“ angesagt. „Die Vision, Biomasse in Deutschland als Quelle für Energie und industriell verwertbare Rohstoffe in größerem Maßstab zu erschließen,“ könne „nicht auf gentechnische Methoden verzichten„. Denn, so Vorsitzende der Vereinigung, Vorstandsmitglied der BASF und Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, Stefan Marcinowski, „Ohne den Anbau von Pflanzen mit maßgeschneiderten Eigenschaften werden wir diesem Ziel keinen Schritt näher kommen„.
Marcinowski fordert, den Anbau gentechnischer Pflanzen nicht nur in Deutschland schnell zuzulassen, sondern auch die „Blockadehaltung“ in der EU aufzugeben. Während ersteres angesichts der Festlegung der CSU sicherlich strittig sein wird, dürfte sich Schwarz-Gelb auf ein routinemäßiges deutsche „Ja“ zu allen Neuanträgen in Brüssel wohl schneller einigen und damit die bisherigen Mehrheitsverhältnisse im EU-Ministerrat nachhaltig verschieben. Unser Tip: als erstes wird Schwarz-Gelb der BASF den Anbau ihrer Gentechnik-Kartoffel „Amflora“ im kommenden Jahr auf dem Silbertablett servieren, freilich nicht unbedingt in Bayern, sondern eher in Mecklenburg-Vorpommern; obwohl dieser Tage die Verarbeitung eines gentechnikfreien Konkurrenzproduktes in die Verarbeitung ging.
Marcinowski will freilich mehr als ein paar Gentechnik-Zulassungen. Er erwartet von Schwarz-Gelb die Agrar-Wende zur „Bioraffinerie“, dem breit angelegten Anbau von Industrie-Rohstoffen und Energie auf dem Acker. „Biotechnisch maßgeschneiderte Enzyme und optimierte Bakterien sind nach Einschätzung der DIB auch der Schlüssel zur Realisierung einer Bioraffinerie. An diesem Konzept arbeiten in Deutschland immer mehr Wissenschaftler und Unternehmen intensiv. Noch steht aber keine fertige Anlage, die aus Gras und Stroh oder anderen agrarischen Reststoffen gleichzeitig Grundchemikalien, Biowerkstoffe und Bio-Ethanol oder Biogas wirtschaftlich liefert,“ heißt es in der Pressemitteilung des DIB.
Ausserdem hätten die forschenden Grossunternehmen gerne noch ein wenig Kleingeld: „ Mindestens 10 Prozent der gesamten F+E-Aufwendungen sollten von der Steuerschuld abgezogen werden können.“ Diese Aufwendung betrügen rund die Hälfte des gesamten Umsatzes von 2,2 Milliarden Euro. Viel Steuern blieben da nicht mehr zu bezahlen und der deutsche Fiskus trüge so kommod zur transnationalen Gesamtrechnung bei. Denn: „Die Wertschöpfung aus der Pflanzenbiotechnologie wird weitgehend außerhalb von Deutschland und Europa erwirtschaftet.“ Die BASF realisiert sie z.B. in ihrer langfristigen Partnerschaft mit dem globalen Gentechnik-Platzhirsch Monsanto.
Zu den zentralen Forderungen der DIB an die neue Bundesregierung und die neue EU Kommission gehören neben „nachwachsenden Rohstoffen zu Welthandelspreisen“ auch die nach Patenten auf Leben und freien Zugriff auf die biologische Vielfalt: „Die Biotechbranche braucht unbürokratischen Zugang zu genetischen Ressourcen. Die DIB hält es für unerlässlich, dass im internationalen Regelwerk über den Zugang zu genetischen Ressourcen und zum Vorteilsausgleich das Patentrecht unberührt bleibt sowie eine nachhaltige Nutzung gefördert wird.“ Und natürlich jene: „Die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen muss allein auf naturwissenschaftlichen Kriterien sowie verlässlichen europäischen und nationalen rechtlichen Regelungen basieren – frei von politischen Erwägungen, fordert die DIB. Nötig sind Nachbesserungen im Gentechnikgesetz, eine Anpassung der Erzeugungsverordnung für Gentechnikpflanzen an den Stand der Wissenschaft und ein Saatgutschwellenwert für Einträge von gentechnisch veränderten Pflanzen.„
Schützenhilfe kommt dabei von der Gewerkschaft. Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) gab in einem Interview mit dem Verband der Deutschen Chemiker soeben zu Protokoll: „Wir haben in Deutschland eine Tradition, mögliche und unmögliche Risiken sehr ausführlich zu beschreiben und zu erfassen. Die Chancen werden bei uns eher weniger gesehen. Ich denke dabei an viele Beispiele aus der Chemie, aus der roten und aus der grünen Gentechnik.“
Gut denkbar also, dass sich die Koalitionsverhandlungen öffentlichkeitswirksam auf halbe Kompromisse beim kurzfristigen Gentechnikanbau einigen wird während die grossen Linien einer systematischen Industrialisierung der Landwirtschaft eher unbemerkt durchgewunken werden.
Die Assoziation Ökologischer Lebensmittelhersteller, AOEL meint indes in einer Pressemitteilung Bitte keine Rolle rückwärts! „Es kann nicht sein, dass sich die Industrievereinigung Biotechnologie schon die Hände reibt in der vermeintlichen Gewissheit, dass die schwarz-gelbe Koalition dem überkommenen Konzept der sogenannten „zweiten grünen Revolution“ nun doch zum Durchbruch verhilft.“ Weitblick in der Agrarpolitik traut sie v.a. der CSU zu, denn „konservatives Denken beinhaltet Nachhaltigkeit“ und „Dazu müssen die Verantwortlichen in der Agrarpolitik ihre naive Technikgläubigkeit hinter sich lassen„.
Aus unzuverlässiger Quelle hören wir dagegen, dass auf dem Tisch der Umwelt- und Agrar-Arbeitsgruppe der Koalitionsverhandlungen unter dem Vorsitz von Frau Aigner u.a. eine gentechnikfreundliche Novellierung des Gentechnikgesetzes als Forderung von CDU und FDP liege, sowie eine Abkehr von der sogenannten „Null-Toleranz“ für nicht zugelassene Gentechnikkonstrukte (sprich von der Umsetzung des geltenden Zulassungsrechts).
Hier die Liste aller Mitglieder des Koalitionsausschusses Umwelt, Verbraucher, Agrar:
Ilse Aigner (CSU) |
Julia Klöckner (CDU) |
Maria Flachsbarth (CDU) |
Tanja Gönner (CDU) |
Katherina Reiche (CDU) |
Peter Bleser (CDU) |
Marie-Luise Dött (CDU) |
Marlene Mortler (CSU) |
Gerd Müller (CSU) |
Markus Söder (CSU) |
Hans-Michael Goldmann (FDP) |
Christel Happach-Kasan (FDP) |
Hans-Heinrich Sander (FDP) |
Horst Meierhofer (FDP) |
Josef Göppel (CSU) |
Michael Kauch (FDP) |