vonsaveourseeds 09.03.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

In einem offenen Brief an Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner und den bayrischen Umweltminister Söder nimmt Stefan Rauschen von der technischen Hochschule in Aachen kein Blatt vor den Mund. Ihre Absicht, den Gentechnik-Mais Mon810 zu verbieten, untergrabe die Glaubwürdigkeit der deutschen Sicherheitsforschung, denn „die Ablehnung der grünen Gentechnik durch breite Bevölkerungsschichten beweist nur eines: dass es einen erheblichen Aufklärungsbedarf und erhebliche Wissenslücken in Deutschland gibt“, schreibt der Wissenschaftler, der das größte deutsche Forschungs-Projekt zur Sicherheit von Gentechnik-Mais koordiniert.

Die Unbedenklichkeit von „Mon810“ steht für Rauschen, dessen Forschungsprojekt von 2008 bis 2011 Umweltrisiken [allerdings einer anderen Sorten von Bt-Mais, siehe Kommentar von Herrn Rauschen] erst untersuchen soll, bereits heute ausser Frage: „Es konnten keine Hinweise darauf gefunden werden, dass von MON810 ein größeres oder anderes Risiko einer Gefährdung der Umwelt ausgeht, als vom konventionellen Maisanbau„, schreibt er und schimpft: „Die Diskrepanz zwischen den wissenschaftlichen Ergebnissen auf der einen Seite, und den politischen Aktivitäten auf der anderen Seite, untergräbt die Glaubwürdigkeit der deutschen und internationalen Forscher und der Institutionen, an denen diese Forschung durchgeführt wird. Wenn schon Politiker die Ergebnisse dieser Forschung nicht ernst nehmen und berücksichtigen, warum sollten das die Bürger tun?“

Die aufwendige Internet-Präsentation der bisherigen Sicherheitsforschungs-Ergebnisse zu Bt-Mais spricht eine etwas vorsichtigere Sprache. Es wurden durchaus Hinweise auf größere und andere Risiken gefunden; allerdings sei manches noch nicht ausreichend erforscht. Dies soll u.a. das von Dr.Rauschen koordinierte Forschungsprojekt nachholen. Welche Ergebnisse darf man bei solch klaren Vorstellungen seines Koordinators zu erwarten? [siehe auch hierzu Kommentar von Dr. Rauschen – die offenen Fragen betreffen allerdings weniger die Eigenschaften einer einzigen Bt-Sorte wie Mon810, sondern grundsätzlichere Wirkungseigenschaften des Bt-Giftes].

Dann läßt der Wissenschaftler ohne Rücksicht auf die deutsche Sprache seinem Frust endgültig freie Bahn: „Diese Diskrepanz untergräbt aber auch die Glaubwürdigkeit der Politik, die mal wieder mehr beweist, dass sie lediglich auf den Fang von Stimmen und den kurzfristigen Erhalt von politischer Macht und Stellung ausgerichtet ist, als auf eine nachhaltige Entwicklung des Standortes Deutschland und eine Steigerung der mündigen Entscheidungsfähigkeit der Bürger.“

Aigner und Söder sollten ihre Position dringend überdenken und sich von kompetenten Wissenschaftlern beraten lassen. „Ansonsten sehe ich durch die von Ihnen angekündigten Absichten einen Kollateralschaden auf den deutschen Forschungs- und Wirtschaftsstandort zukommen, der uns auf Jahre zurückwerfen wird“, schreibt Rauschen, um dann auf das eigentliche Sicherheitsproblem zu sprechen zu kommen: „Von der weiter schwelenden Ignoranz der breiten Masse der Bevölkerung gegenüber grundlegenden wissenschaftlichen Fragen, und der damit verknüpften und sich immer mehr ausbreitenden Bereitschaft, Gewalt gegen Sachwerte und die seelische und körperliche Gesundheit und Unversehrtheit anderer anzuwenden, mal ganz zu schweigen.“

Der 6-seitige Brief von Dr. Rauschen findet sich auf der Webseite „biosicherheit“, die im Auftrage des Bundesministeriums für Forschung von erprobten Gentechnik-Propagandisten (der PR Agentur Genius und „transgen„) herausgegeben wird.

P.S.

Bei aller Sympathie mit dem offenen Wort und allem Respekt vor einem solchen gegenüber der „Obrigkeit“ , das Dr. Rauschen durchaus verdient – erscheint mir nicht nur die massive politische Voreingenommenheit eines Wissenschaftlers, der sich im öffentlichen Auftrag mit den Risiken der Gentechnik befasst, problematisch, sondern vor allem folgender Satz aus seinem offenen Brief:

„Es muss daher erstaunen, dass jetzt von Ihrer Seite Bedenken bezüglich der Validität dieser Ergebnisse dadurch geäußert werden, dass Sie den Anbau von MON810 regional und unter Umständen national verbieten wollen. Es muss auch erstaunen, dass Sie die Ergebnisse der vom BMBF geförderten Biosicherheitsforschung ignorieren, beziehungsweise durch Ihre aktuellen Äußerungen in Frage stellen.

Die beiden haben jedoch durchaus berechtigte Warnungen vor Umwelt- und Gesundheitsrisiken peinlich vermieden und lediglich den Nutzen für die Landwirte bezweifelt und auf den ökonomischen und sozialen Kollateralschaden des Einsatzes der Gentechnik hingewiesen. Die Gleichsetzung derartiger Zweifel mit einer  „Majestätsbeleidigung“ der Wissenschaft macht die Debatte so gefährlich. Wo keine wissenschaftlich unzweifelhafte Gefahr nachweisbar ist, so die Logik, muß der Einsatz gefördert werden. Hier scheint ein Totalitarismus auf, der die Politik zum Handlanger eines wie auch immer motivierten „technischen Fortschritts“ degradiert und in dem Monsanto und Bayer, vermittelt über die Urteile ihrer Hohenpriester der Wissenschaft, schließlich bestimmen, was das Volk zu denken und zu tun hat:

„Was politische Parteien und die in ihnen aktiv Beteiligten leisten sollen, ist Aufklärung der breiten Öffentlichkeit. Ist die Information und die Bildung, damit ein jeder Bürger ein informiertes Eigenurteil fällen kann, über die Fragen und Probleme von heute, um damit Handlungsoptionen wählen zu können für Morgen und Übermorgen.
Was Sie, Frau Aigner, Herr Doktor Söder, statt dessen machen, ist die Ignoranz der Mitbürger bedienen und für den eigenen politischen Machterhalt und für die politische Profilierung auszunutzen. Sie tragen damit dazu bei, dass auf der einen Seite die Öffentlichkeit nicht darüber informiert wird, was der aktuelle Stand von Wissenschaft und Technik ist, und welche Möglichkeiten sich aus ihm ergeben.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schwelende_ignoranz_und_gewaltbereitschaft_der_breiten_masse/

aktuell auf taz.de

kommentare