vonDaria Schweigolz 25.02.2024

Seele gegen Wand

Let's call it praktische qualitative Anthopologie

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Eine Welt ohne Schweizer Konten. Eine Welt ohne Privatpaläste, Privathubschrauber und SUVs, ohne absurd reiche Menschen, Diamanten und Luxusimmobilien. Eine Welt ohne Zwangsarbeit, Pelzfarmen für die Oberschicht, teure Hotelsuiten, Caviar, Waffenhandel und Yachten. Eine Welt ohne NordStreamII. Eine Welt ohne Zwangsprostitution. Eine Welt ohne Sklaven, eine Welt ohne Ausbeutung und Herrschaft wäre vielleicht eine Welt, in der keine Bomben auf die Ukraine fallen.

Denn was das Verbrechen nährt, ist die Gier: nach Status, nach uneingeschränkter Macht. Nach Verfügungsgewalt über Andere. Diese Gier treibt das, was sich in Russland ‘Regierung’ nennt. Vor Jahren erwählten die westlichen Experten und Entscheidungsträger hier und da erfolgreiche Kriminelle zu ihren Partnern, vielleicht in der damals als fortschrittlich geltenden Annahme, dass Geld und Besitz zivilisieren. Aber die FSB-Boyz mit der gestörten Impulskontrolle haben den Hals dann doch nicht vollbekommen. Die mächtigen Männer im Westen, damals am Limes der Geschichte, haben vielleicht unterschätzt, dass das riesige Imperium mit den gefühlt unerschöpflichen natürlichen Ressourcen die parasitäre Oberschicht in Moskau noch eine ganz lange Weile ernähren können wird, nachdem der Westen nicht mehr will. Ja, ‘Russland, die großzügige Seele’ war auch Werbeslogan einer Schokoladenmarke, der irgendwann um die Jahrtausendwende ständig im Fernsehen lief.

Weil Deutschland, die USA und viele andere Länder nach Auswertung diverser akademischer und geheimdienstlicher Quellen zum Schluss gekommen waren, dass es eine gute Idee sei, mit diesem Regime Geschäfte zu machen – hatte ich eine vage Hoffnung, dass sie Recht haben. Politische Morde, barbarische Gesetze, notorischer Frauenhass, Raubbau, Korruption und der latente Rassismus, die ich dieser Regierung in Summe nicht verzeihen kann – wie so viele –, geschenkt. Wäre es nicht trotzdem irgendwie gut, wenn man mit psychopathischen, bewaffneten Schwanzträgern Deals machen könnte?

Oh ja, schön wär’s.

Und viel zu einfach. Geschäftsbeziehungen ersetzen Integrität nicht. Geld garantiert kein Gesellschaftsvertrag. Wer es jetzt nicht begriffen hat, wird es wohl nie.

Und mir ging es 2022 einfach beschissen. Meine Situation in der erweiterten Familie war kaum auszuhalten, ich konnte überhaupt nicht schlafen, über mir Baulärm, in Onlinekursen herrschte echt miese Stimmung, das Geld reichte nicht. Ich war müde. Meine Oma, die für mich kochte, und mein Freund, mit dem ich ein Mal die Woche eine echt gute Zeit hatte – das trug mich von Sonntag zu Sonntag; für Weltpolitik hatte ich keine Kraft über. Da war diese “Truppenübung” – Machtdemonstration –, und am 22. Februar las ich dann zufällig “Frankreich und irgendein anderes Land ziehen Botschafter aus Kiew ab”.

Und als der Krieg doch begann, da bin ich zusammen gebrochen. “What I don’t understand”, sagte mein Freund, “is why are you so sad if it’s your country attacking”. Mit ihm war dann Schluss, weil in seinem self-care Meditationsprogramm war für meine Dramen kein Raum.

Dieses System, da war es wieder: Es ist gekommen, um kaputt zu treten, was sich nicht beugen will. Für mich ist dieser Krieg so eng mit der Feminismus-Thematik verbunden, wie es nur geht. Ich fühle die Präsenz der laut brüllenden Männer, die man in R. ‘Siloviki’ nennt (von ‘Sila’ – Kraft oder auch ‘Einheit’ im Kontext der Exekutive), die einschüchternde Präsenz der schwer bewaffneten Schlägertruppen der Mafia, die in springer-gestiefelten Gruppen in Privatwohnungen einbrechen und Journalisten von Balkonen werfen. Nicht sie schickt man zum Sterben in die Ukraine, aber sie repräsentieren den Moralkodex dieses Systems. Mit ihrem Anführer zu verhandeln, bzw. all die Jahre seine Energie zu kaufen, war einfacher, als lokale Akteure zu unterstützen, die das Land tragen.

Und als der Westen Sanktionen beschlossen hat, hatte ich einen schrecklichen Flashback. Ich fühlte die Armut wieder, den Zerfall, den ich als Kind in Petersburg in den 90ern sah. Jede Stadt, jedes Land und jede Zeit haben ihre eigene Armut. Für mich ist es Definition von Armut, wenn ein Kind den ganzen Tag draussen ist und manchmal auch nachts nicht nach Hause geht, weil der Alkoholismus seiner Eltern unerträglich geworden ist. Für mich ist das aufgequollene Gesicht einer Frau Armut, deren Leber nicht mehr lange mitmacht. Sie überquert ihren auch obdachlosen Freunden den Innenhof. Sie ist vielleicht nur zwei Mal im Jahr glücklich, und heute am ersten warmen Tag des Frühlings ist so ein Tag. Sie wird den Winter vielleicht nicht überleben.

Als die Sanktionen beschlossen, hatte ich das Gefühl, einer Hinrichtung beizuwohnen. Aber so ist es gar nicht gekommen – die Sanktionen haben so nicht gewirkt.

Und das Gas floss. Eine Weile noch. Damit wir ja nicht frieren.

Als nächstes war dann Butscha. Ich sah andere Bilder, die hier im Fernsehen und in Zeitungen nicht abgebildet waren. Die hingerichteten Jungs sahen für mich so aus, als wäre es 1999 und als würden sie mit mir in die dritte Klasse gehen. Es war, als wäre es vor meinen Augen geschehen. Der Anstrich des Kellers. Die Kleidung. Ich roch Angst, Bausand, die Kälte, bekam einen Panikanfall und wankte aus der Wohnung, stand eine Weile vor der Haustür meiner Nachbarn, klingelte nicht, lief auf meine Straße raus, die eine gesellige und lebendige Straße ist.

30 Minuten später landete ich 2 Häuser weiter in einer Kneipe und trank mit einem zauberhaften schwulen Zwanzigjährigen und seinem Kumpel. Die nächsten Wochen war alles unwirklich und ich nicht da, ich habe mir Tabletten verschrieben und sie zuerst nicht genommen, flog nach Israel, mein “happy place” in 2013 und 2020. In Tel-Aviv war Bombenalarm, nichts Schlimmes ist passiert an diesem Tag, aber erholt habe ich mich auf dieser Reise nicht wirklich.

Mir ging es noch eine ganze Weile beschissen. Zusammen mit anderen russisch-sprachigen Frauen fühlten wir uns schuldig. Ich habe versucht, mich zu engagieren, war aber nicht in der Lage. Die Flucht nach vorn ist, was ich am Besten kenne. Ich habe beschlossen, Programmieren zu lernen. Es war zumindest gut zu sehen, dass der Schleier gefallen ist, und wirklich nur noch so irre Gestalten wie Wagenknecht oder Weidel für einen versöhnlichen Kurs argumentieren. Die SPD machte Probleme, als es um die Bewaffnung ging. Andere hatten wiederum Angst vor einem Atomkrieg. In einem Forum, in dem Ukrainer*innen manchmal mit einer teilweise eher unbegründeten moralischen Überlegenheit die ohnehin oppositionell und gegen den Krieg gesinnten Russinnen angingen, stand ein Satz, der mir in Erinnerung geblieben ist:

“ihr werdet euch daran gewöhnen, aber wir werden sterben.”

Was für ein vorausschauender Satz. Ich verstehe selten nicht, wieso Menschen etwas tun, sagen oder wissen. Aber das verstehe ich nicht: Ist es denn naheliegend? Hat sie andere Kriege mittelbar erlebt? Für mich schien dieser Krieg, den mein Geburtsland gegen Zivilist*innen führt, jedenfalls das Wichtigste auf der Welt… Alles, was ich in dem Moment vorhatte, war mit ihm verknüpft.

Aber neue Erlebnisse kamen. Ich habe mich drei Mal verliebt, habe drei Mal einen Korb bekommen, habe den Wald neu entdeckt, meinen Sohn, meine Stieftochter. Vom Programmieren habe ich einen Burnout bekommen, der alles Andere verdrängt hat und der mir keine Wahl gelassen hat, als mich um meine Gesundheit zu kümmern. Mein Körper hat das Kämpfen – egal worum – einfach nicht mehr mitgemacht. Ich habe es – alles – weg-meditiert, weg-geradelt und weg-sauniert, weil ich musste. Ich habe die Pillen ausprobiert, die mir meine Psychiaterin 2022 verschrieben hat, sie wirkten, nein, sie wirken Wunder und allmählich kam ich auf den Geschmack eines Lebens, das sich nicht zu drei Vierteln um ein multiples Trauma dreht. Und es funktioniert. Jetzt suche ich eine Wohnung und mache mir Gedanken um ihre Einrichtung. Ich habe immer noch Sorgen, aber.

Ja, ich habe mich daran gewöhnt.

Der Krieg geht ohne mich weiter.

Der Kanzler spricht nicht aus, was er nicht liefern möchte. In 5-6 Jahren und viele kaputte Leben weiter – nicht SPD-Beamtenleben selbstredend, und auch nicht Wähler-Leben – werden wir dann erfahren, ob er bloß feige oder korrupt ist oder falsch beraten wurde.

Es gibt keine Hölle, keine Qualen, die schmerzvoll genug wären für die Männer im Kreml. Ich hasse sie. Zum ersten Mal ist es mir ganz recht, wenn ich dabei in der Masse untergehe. Diese Menschen verdienen nichts als Ächtung und Schmerz und ich hoffe, dass die Gerechtigkeit zumindest einige von ihnen ereilen wird.

Слава Украине, России свобода.
Ruhm der Ukraine, Russland die Freiheit.

 

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