vonlottmann 21.05.2011

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DER STANDARD Autor Tex Rubinowitz läuft mit seinem Freund aus Deutschland während der legendären Eurovision Song Contest Tage durch Aserbaidschan:

Darf nicht das gedacht werden, was gedacht werden kann? Wohnt nicht jeder schwachsinnigen Idee zuallererst eine unschuldige Idee inne, später erst erweist sich, ob sie brauchbar gewesen ist. Das Rad war eine gute Idee, Teebeutel, Windeln, Internet, auch das Bier, das Brot natürlich und der Reis.
Der Eurovisions Song Contest ebenso. Vor allem für all jene, die sich über ihn ereifern, ihn verachten, sich aufplustern wie ein Truthahn, die Musik des Contests sei minderwertig gegen vermeintlich wertvolle wie Arcade Fire (letztlich Fußballfangegröle), Bob Dylan (Schmuseballaden) und Eward Grieg (Fahrstuhlmusik). Und das beste Argument unserer Freunde, der Hüter der wahren Werte, ist, die Song-Contest-Songs wären „da draußen“ gar nicht überlebensfähig. Hat das denn irgendwer verlangt? „Da draußen“ verkauft sich Österreichs Nachwuchshoffnung Ja Panik ja auch nicht. Der Song Contest ist ein aufgeblasener, herrlicher Zirkus, der nur einmal auf unserem Planeten landet, dann zieht er weiter in andere Galaxien, nächstes Jahr kommt er wieder.
Die Idee des Wettbewerbs ist, dass man in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Faszination vor ihm sitzt, gebannt, wie man von einem Autounfall gebannt ist, mit Toten, Verstümmelten oder auch nur Blechschäden, eine groteske Kollision, die abweicht von unserem linearen Denken, und im Verlauf des Abends noch gesteigert wird, mit diesem hingebungsvoll zelebrierten Wahlcrescendo, bei dem die Punkte über Europa und ein bisschen darüber hinaus verstreut werden.
Diejenigen, die ABBA und Lordi, Udo Jürgens und Vicky Leandros vorhergesagt haben, gibt es nicht, es gibt keine Formel für ein Erfolgsrezept. Daran scheitern auch die Wettbörsen, die so tun, als wären sie ein besonders sensibler Barometer für aktuelle Befindlichkeiten. Das Uraltargument, dass geopolitischer Punkteschacher alles vorhersehbar macht, stimmt nur bedingt, warum ist etwa ein schiitisches, postsowjetisches Land im De-facto-Kriegszustand wie Aserbaidschan in den vier Jahren seiner Teilnahme so beliebt und belegt immer vordere Plätze, auch mit Unterstützung von unverdächtigen Nationen wie Dänemark und Andorra? Wer hier eine Interessenschnittmenge herzustellen in der Lage ist, möge vortreten. Eher kann man den Fluss der Punkte mit den über Europa verteilten Migrantengemeinden erklären, die aus der Diaspora ihr Heimweh stillen. Sind nun die Exilaserbaidschaner in Andorra so stimmenstark?
Um herauszufinden, was Aserbaidschan hat, was andere Länder nicht haben, fahre ich nicht nach Düsseldorf wie vorgehabt, also zum Austragungsort des Irrsinns (30.000 Fans in der Arena, 4000 Journalisten, 500 Millionen vor den heimischen Empfangsgeräten), sondern nach Baku.
Ich kann den deutschen Erfolgsschriftsteller Joachim Lottmann überzeugen mitzukommen, er lebt seit einiger Zeit in Wien, weil er mit der Geschwindigkeit der Gentrifizierung seiner Heimatstadt Berlin nicht mithalten kann und mag. In den Osten, „da, wo alles begann, da, wo wir alle herkommen“, will er hingegen gerne, er soll mich einerseits mit profundem Fachwissen sekundieren, andererseits auf sogenannte Rückschaufehler achten, Unschärfen, die sich bei Überschwang in den Nachbericht einschleichen.
Lottmann vertritt die gewagte These, dass durch die rätselhaften Erfolge Aserbaidschans es durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dass das Land dieses Jahr gewinnt, „die Chancen sind so klein“, raunt Lottmann, und deutet mit seinem Zeigefinger und Daumen einen kleinen Raum an, in den gerade eine Pistazie passen könnte, ein Hinweis vielleicht auf die letzten Pistazienwälder der Welt, die da noch herumstehen.
Auf der Taxifahrt ins Örtchen sind wir entsetzt, was haben sie aus dieser einstmals so prachtvollen sozialistischen Stadt gemacht? Alles abgerissen und durch lächerliche pseudoklassizistische Disneylandarchitektur ersetzt, ganze Straßenzüge prächtigster Plattenbauten, Hochhäuser, Denkmäler (bis auf das Stalins) abrasiert, keine Geschichte wird gemacht, und an das Hafenbecken, der Baki Buxtasi, leckt ermattet nachtschwarz das ölfilmschillernde Meer Transkas-piens, während die transsexuellen Gunstgewerblerinnen am Kai stehen und den Matrosen den Kopf verdrehen, in nicht großer Ferne die Ölbohrtürme, an deren Spitzen das mindere Gas abgefackelt wird, züngelnde Fingerzeige des Überflusses, und das manifestiert sich in der verrohten baulichen Zerstörung dessen, was einmals Baku war, der Verheißung des Glücks in einem Außenposten großer trauriger Repression.
Aus Lottmanns schreckensgeweiteten Augen bricht sich ein stummer Schrei der Ratlosigkeit bahn: Was machen wir hier eigentlich, wer bin ich, was, wenn nicht das eintritt, weswegen wir hier sind, erstmals einer Revolution beizuwohnen, die in Leipzig hatte er (Lottmann) buchstäblich verschlafen, die samtene und die orange, die Nelkenrevolution, den Tahrirplatz, kannte man alles nur aus dem Fernsehgerät, jetzt war zum Greifen nahe, wie ein korruptes schiitisches Regime durch eine schwule Schlagerparade zu Fall gebracht wird, kraft der Federboa und des Trickkleids, ein Flächenbrand entsteht und erreicht den Nachbarn Iran, die Keimzelle des Bösen. Aber was, wenn Aserbaidschan nicht gewinnt, wenn das alles nicht eintritt, weswegen wir hier sind, „Der neunte Platz ist gar nicht schlecht“ wie Wencke Myhre einst besang, in ihrem Beitrag Ein Hoch der Liebe für Deutschland 1968, mit dem sie aber dennoch den sechsten Platz holte, wäre das ein Trost für uns?
Wir gehen essen, ein schönes Jiz Biz, ein Nieren-Lungen-Ragout, dazu ein Sogan Dolmani, eine mit gehackten Zwiebeln gefüllte Zwiebel und ein knuspriges Kartof Kateleti, das alles wird mit einem großen Glas Schärbät heruntergespült, Milch mit Basilikum, Lottmann wird milder, der Schärbät zeigt Wirkung, er wird jetzt dem Kellner gegenüber toleranter, der seine Langsamkeit mit Serviceübereifer zu kompensieren trachtet, indem er mit dem Tischstaubsauger zwischen unseren Tellern saugt, während wir essen.
Sitzen wir das eben aus. Wenn die Revolution nicht stattfindet, so ist man sich zumindest eines gewiss, dass man nie wieder nach Baku muss. Wir erkunden die Stadt, Qiz Qalazi, die winzige Altstadt, erweist sich als einziger Teppichladen, schlecht bedruckter Nadelfilz aus der Volksrepublik China, die Hafenpromenade Milli Park, eine Komplettverlade, junge Mädchen mit einer einzigen durchgehenden Augenbraue ergötzen sich an Seifenblasen, die ein Gaukler durch ein Tennisracket ohne Katzendarmbespannung zieht, ein Affe bekommt eine Pistazie und spielt auf einem Miniaturschlagzeug, Lottmann nagt an einem Trockenfisch. Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen, und uns nicht, hier alles gut zu finden, aber das verlangt auch keiner. Zumindest gibt es keine wilden Hunde, wie man sie überall findet, wo sie die Städte terrorisieren, wo sind sie hin? Stattdessen Scharen grüner Sittiche, sind sie der Grund für den Hundeschwund? Wohl kaum. Eher fahren die Azeris eine kluge Kastrationspolitik, endlich mal was Gutes neben dem Schärbät.
Am Abend dann der Contest, wir entscheiden uns, ihn in einer Großgraumdisco namens Psyhaterror anzusehen, der Liftboy unseres Hotels empfiehlt sie uns, ein Fehler, die Halle ist zugig und halbleer – und bleibt es auch, nur etwa fünfzig hirsutische Mädchen auf gigantischen Stöckelschuhen, auf denen sie sich kaum aufrecht halten können, und große Gruppen Jünglinge, nein, eigentlich Kinder, ich schätze 12, noch keinen Bart (den haben die Girls), sie fläzen sich in den ausrangierten Möbeln, sie nuckeln an der Wasserpfeife und nesteln aneinander, das ist hier nicht unüblich, Frauen machen das nicht, Männer an Frauen auch nicht, sondern immer nur Jungmänner aneinander. O.k., ich weiß, das sind die vielen Keime in einem keimenden Körper, die irgendwo rauswollen, hier im Psyhaterror liegen vor uns fünfzehn Zwölfjährige aneinandergekuschelt wie Ferkel in der Aufzuchtbox, so sind sie eben.
Der eigentliche Wettbewerb wird hier nicht wahrgenommen, man ist total desinteressiert, nur wenn von der schrillen Moderatorin das Wort Aserbaidschan fällt, brandet müder Jubel auf, und aus einer Verneblernase einer Trockeneiskanone wabert Bodennebel. Was dann passiert, ist Geschichte, das kennt man bereits, Aserbaidschan hat gewonnen, mit einem vermutlich teuer bezahlten, aber anständigen Lied von irgendwelchen schwedischen Mietkomponisten, niemand brauchte so dringend diesen Sieg wie dieses Land mit einem schwelenden Grenzkonflikt, Lottmann verschlief den größten Teil des Wettbewerbs, wohl der eine oder andere Schärbät zu viel, dann und wann reckte er den Kopf auf und murmelte zusammenhanglos: „Was gibt’s denn da zu grinsen, Rumäne?“ und „Nadine powerballadet wieder alle nieder“, dann sackte er wieder zusammen, es war schon 3 Uhr morgens, alles hier, selbst die Zeit ist so langsam, zäh wie das Öl, das dem Staat den Reichtum schenkt.
Ein Freund aus der Schweiz regt sich in einer SMS auf, dass der Beitrag der Schweiz so unterbewertet wird, er fantasiert, sie sollten auch mal Krieg führen mit ihren Nachbarländern, danach würde es Punkte hageln. Zu Nadine Beiler meinte er, sie könne auch gut Werbung für Monatswatte machen, und wenn ihren Song eine Straßenkatze gesungen hätte, hätte er für sie angerufen. Als wir gehen, stöhnt Lottmann matt: „Nun haben aber die Sirenen eine noch schrecklichere Waffe als den Gesang, nämlich ihr Schweigen.“
(Tex Rubinowitz/Joachim Lottmann DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.5.2011)

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