vonSchröder & Kalender 07.08.2007

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Der Bär flattert schwach in nördlicher Richtung.

Eines dieser Ereignisse, die dich als Verleger später beglücken, bahnte sich unspektakulär an: Günter Amendt, einer der drei Frankfurter SDS-Zampanos, rief mich Ende Januar 1970 an. Wir waren uns noch nicht begegnet, ich hatte nur mal seinen ›Kinderkreuzzug‹ quergelesen. »Hör mal, Schröder«, sagte er, »Alfred von Meysenbug und ich haben die Idee, ein Buch für Jugendliche über Sexualität zu machen. Darüber sollten wir uns mal unterhalten.« Daß Amendt diesen Vorschlag nicht über den Genossen Wolff an mich herantrug, wunderte mich nicht, die beiden konnten sich nicht riechen. Was weiß ich, welche SDS-internen Querelen dazu geführt hatten. »Treffen wir uns heute abend bei mir zu Hause«, schlug ich vor. Am Bibliothekstisch entwickelten Amendt und Meysenbug ihren Plan: Ein Sexualaufklärungsbuch neuer Art sollte es werden, lustfreundlich, das Gegenteil von dem verzopften Kram, der bisher erschienen war. Sie hatten noch keine Zeile geschrieben, keine Abbildung lag vor. Klar war nur, daß das Buch durchgehend viele vierfarbige Bilder, Comics und Zeichnungen enthalten sollte, etwa hundertfünfzig Seiten stark sein müsse und nicht mehr als fünf Mark kosten dürfe. »Hundertfünfzig Seiten vierfarbig für fünf Mark, da legen wir drauf!« sagte ich, »der Ladenpreis müßte mindestens acht Mark sein. Egal, ich mache es. Wann könnt ihr abliefern?« »Das ist noch ein Problem«, meinte Günter, »wir brauchen ein Büro, in dem wir ungestört arbeiten können.« Ich bot ihm an, einen Raum im fünften Stock zu benutzen, wo meine kryptische Agentur ›Bismarc Media‹ residierte. In zwei Zimmern saß Ernst Herhaus mit der Sekretärin Barbara Mendzigall als Konzeptmacher und Glatzenfriseur, vier standen leer. Zwei davon bezogen die ›Sexfront‹-Macher Amendt, von Meysenbug und Bernhard Korell, ein junger Typ mit hohen Wangenknochen, in den Günter verliebt war.

Sie schrieben ein halbes Jahr lang, zeichneten, konzipierten, telefonierten, empfingen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich ließ sie wurschteln. Mit mir besprachen sie nur ihre Titelvorschläge. Keiner gefiel mir, es waren solche Ungetüme wie ›Sex – von der Straße für die Straße‹, ›Das Sexbuch – für Jugendliche, die selber lesen können‹. Alles unbrauchbar, endlich kam: ›Jugendliche an die Sexfront!‹. Da war es, das Wort! »Das ist gut! ›Sexfront‹ ist unser Titel«, sagte ich und skribbelte den später berühmtesten März-Umschlag: ›Sex‹ schwarz auf gelb in voller Breite, darunter ›Front‹ mit einem roten T, ein typographisches Wortspiel mit Sexfron und -front.

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Dieses Buch wurde dann der denkwürdigste und wichtigste März-Titel, weil es eine ganze Generation glücklicher machte. Das ist nicht übertrieben! In der ersten Phase des Verlages bis 1973 verkauften wir hundertfünfzigtausend Exemplare, bei Zweitausendeins noch mal soviel und danach als Rowohlt-Lizenz weitere hunderttausend. Eine Auflage von vierhunderttausend ist schon ein schönes Stück Holz. Verdient hat der erste März Verlag übrigens tatsächlich nichts an ›Sexfront‹, wir mußten ja den Verkaufspreis von fünf Mark beibehalten, und wegen des Vierfarbdrucks war der Titel eben unterkalkuliert. Erst bei Zweitausendeins sah es dann anders aus, da wurde einfach alles schwarzweiß nachgedruckt, und deshalb machte auch März einen anständigen Profit.

Hier geht es aber nicht ums Geld, sondern um das Glück der Leser. Sexualität treibt schließlich jeden um. Neu, ja sensationell war, daß in dem Buch auf einer ganzen Seite und in Farbe ein nacktes Mädchen mit ihrer Möse einfach locker dasaß und auf der anderen Seite ein Junge mit seinem Schwanz. So wurde das selbstverständliche Bekenntnis zur Lust vorgeführt, dem Triebdurchbruch das schlechte Gewissen genommen. Denn geil waren die Menschen ja immer, jedoch verbunden mit Angst, allein das Onanierverbot hat seit Jahrhunderten Hekatomben von Psychen auf dem Gewissen. Und ›Sexfront‹ befreite von Ängsten. Seine Thesen und Merksprüche zu Liebe, Ehe, Homosexualität, Orgasmus, Potenz und Frigidität verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Ich schätze, zwei Millionen Menschen – wenn ich pro Exemplar nur mal mit fünf Mitlesern rechne – wurden durch ›Sexfront‹ direkt beeinflußt. Die mittelbaren gesellschaftlichen Veränderungen, die Amendts Botschaft zu der autonomen Verantwortung im Sexuellen, der Integration von Sexualität und Zärtlichkeit, der sexuellen Gleichheit von Mann und Frau, seine Invektiven gegen Ehe- und Familienromantik, Konsumsex und Leistungszwänge wurden vielfach durch die Medien multipliziert. ›Sexfront‹ hatte den Weg für eine angstfreiere Sexualität freigeschlagen, einfacher gesagt: Die Menschen fickten fröhlicher.

Als erste kauften linke Schülergruppen das Buch und benutzten es offen in ihrer ›Sexualkampagne‹. Andere, weniger Mutige, lasen es unter der Bank und lernten es auswendig. An zig Schulen wurde ›Sexfront‹ von den Lehrern zuerst beschlagnahmt, dann gelesen und schließlich sogar im Unterricht benutzt. Frag mal heute einen der Vierzig- bis Fünfzigjährigen, die 1970 Schüler, Studenten oder Lehrlinge waren und sich zur Linken zählten, was sie mit ›März‹ verbinden. Die meisten werden nicht antworten: ›Roter Stern über China‹, auch nicht Bernfelds ›Antiautoritäre Erziehung‹ oder ›Einer flog über das Kuckucksnest‹. Was alle damals durch ihre Wichsgriffel zogen, war ›Sexfront‹, bis das Ding zerfleddert aus dem Leim ging oder die Seiten sich durch ständig wiederholtes Blättern aufwellten, so daß es aussah, als hätte jemand damit gebadet. Wenn mich heute einer fragt: »Schröder? Der März-Verleger?« und ich bejahe, dann huscht ein Lächeln fröhlicher Erinnerung über so manches Faltenwerk, die Augen blitzen über den Tränensäcken.

Neulich, nach einer ›März-Akte‹-Filmvorführung in der Münchner Seidlvilla, kommt ein Ehepaar auf mich zu, um die Fünfundsechzig, sie eine nette kompakte Frau, er hatte ein buntes Malcolm-X-Ethnokäppchen auf der Birne und stellt sich vor: »Schmitz. Wissen Sie überhaupt, daß wir Ihnen unsere Aufklärung verdanken?« »Nö, wieso?« »Na, ›Sexfront‹!« »Ach, Sie haben damals das Buch gekauft?« »Nein, nein, unser Sohn …« Der war Pennäler, hatte ›Sexfront‹ unter der Bank gelesen und wurde vom Pauker erwischt: Pornographie! Man bestellte die Eltern zum Direktor, es gab Aufregung, weil ihr Christian etwas Obszönes in der Schule verbreitet hatte. Sie bekamen das Corpus delicti ausgehändigt, um dem Filius den Marsch zu blasen. »Und«, sagte Herr Schmitz, »wir haben ›Sexfront‹ gelesen! Seitdem hat sich unser Leben, das heißt, unser Verhältnis zur Sexualität, verändert. Wir sind also tatsächlich über unseren Sohn aufgeklärt worden.«

So etwas hört man gern. Aber es ist auch selten geworden, und da stelle ich mir schon die Frage: Wo ist diese Generation geblieben, die sich einst dank ›Sexfront‹ lockerte und angstfreier wurde? Wieso existieren von denen nur noch vereinzelte Exemplare in Gestalt einer Familie Schmitz? Wie kommt es, daß einem Verleger, dem viele Menschen einst die fröhliche Befriedigung ihres Triebes verdankten, von den achtziger Jahren an zunehmend Ablehnung, ja zuweilen blanker Haß entgegenschlägt? Ganz einfach: Die wenigen Achtundsechziger-Verführer, die sich noch nicht in die Majorsecken von Professuren, Bundestagsmandaten oder Immobilienbüros zurückgezogen haben, trifft die volle Härte des restriktiven Bannstrahls. Denn die Phase der befreiten Sexualität ist vorbei – AIDS ist nur die eine Ausrede. Wo sich allenthalben die Reaktion im fundamentalistischen Kommunitarismus Bahn bricht, rutscht eben die Sexualität wieder mit zurück in die Verklemmung. Kinderbrutwahn und Familienmuff funktionieren auch ohne Mutterkreuz. Wenn du es heute wagst, die Liste der ›Natalie‹-Kopf-ab-Kampagne nicht zu unterschreiben, riskierst du, schon morgen Opfer der neuen Hexenjagd zu werden. Daß ein Vater Drohungen gegen den Mörder seines Kindes ausstößt, kann ich verstehen, was bleibt dem Mann in seiner hilflosen Wut? Aber wenn der Augsburger Oberstaatsanwalt Jörg Hillinger solche Morddrohungen absegnet mit: »Andere sagen das am Stammtisch viel drastischer«, sanktioniert er damit das inzwischen wieder so beliebte »Rübe ab!«. Ein solches Organ der Rechtspflege wird nicht etwa suspendiert, sondern darf die Pogromstimmung ungestraft schüren. Es geht den Hexenjägern dieser Tage nämlich schon lange nicht mehr nur um Sicherungsverwahrung für Sexualstraftäter. Das dumpfe Volksempfinden lechzt nach der Genehmigung, endlich Libertins, Schwule und sonstige Schweine durch ihre Dörfer und Städte jagen zu dürfen, am liebsten würden sie die aufs Rad flechten oder vierteilen. Bei derart klarer Indizienlage bedarf es keiner tiefschürfenden Analysen, um zu erkennen, daß solche kollektiven Phantasien Anzeichen gestörter und restriktiver Sexualität sind.

Fortsetzung folgt

Gutes und Wahres von Freunden und MÄRZ-Autoren sowie natürlich auch manches von Leuten, die wir nicht so lieben, steht in Werner Piepers ›Grüner Zweig 252‹. Wir bringen unseren Beitrag zur Anthologie ›Alles schien möglich …‹ in zwei Fortsetzungen.

(BK /JS)

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