„Glaubt man einer aktuellen Studie, haben bereits rund 20 Prozent aller US-Teenager Nacktbilder von sich über elektronische Medien versandt“, schreibt spiegel.de in einem Bericht über einen angeblichen neuen Trend in den USA namens Sexting, also eben jenes Versenden von textilfreien Bildchen über Internet oder Handy.
Allerdings ist erstens der Spiegel-Satz glatt gelogen. Laut der Studie haben 20 Prozent der befragten US-Teenager
„sent/posted a nude or semi-nude picture/video of yourself“
und sogar einem Online-Redakteur sollte auffallen, dass „nude or semi-nude“ NICHT das Gleiche ist wie „Nacktbilder“.
Und zweitens ist es zwar nicht direkt gelogen, aber höchst angreifbar, aus den „20 Prozent der Befragten“ auf „20 Prozent aller US-Teenager“ zu schließen. Denn erstens handelte es sich nach Angaben der Studien-Verfasser um eine Online-Befragung des Unternehmens TRU, an der im September/Oktober 2008 insgesamt 1260 US-Teenager und junge Erwachsene teilgenommen haben – wonach also all jene Teenager, die nicht an solchen Online-Umfragen teilnehmen, nicht berücksichtigt werden. Und zweitens haben die gar nicht alle an der Befragung über Nackt- und Halbnacktbilder teilgenommen: Mitten in einer bis dahin völlig harmlosen Umfrage wurde den Teilnehmern nämlich erklärt, dass es im Folgenden zur Sache gehen würde:
This survey will include questions about “sexy messages and pictures” (like suggestive pictures sent to a boyfriend/girlfriend, for example) – and will require you to answer them in order to finish. If you are not comfortable sharing your opinions about that, then we encourage you to stop the survey now. Would you like to continue?
Und während sonst die gesamte 20-Seiten-Zusammenfassung der Studie von Prozentzahlen nur so wimmelt, ist an dieser Stelle leider nicht erwähnt, wie viele der Befragten sich dafür entscheiden, die Befragung NICHT fortzusetzen. Möglicherweise, weil die Zahl so hoch gewesen wäre, dass man eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse nicht mehr einfach so hätte unterstellen können.
Das alles zusammengefasst, hätte jener Satz aus spiegel.de also heißen müssen: „Glaubt man einer aktuellen Studie, haben bereits rund 20 Prozent all jener US-Teenager, die an einer Umfrage über das Versenden von erotischen Bilder teilnahmen, Bilder über elektronische Medien versandt, auf denen sie kaum oder gar nicht bekleidet zu sehen sind.“
Dann hätte man allerdings nicht mehr behaupten können, dass Sexting ein neuer Trend unter den US-Jugendlichen ist. Und das ist es wohl auch nicht, wenn wir der US-Soziologin C.J. Pascoe glauben können, die an der Erstellung des „Digital Youth Report“ beteiligt war, in dem weder das Wort Sexting noch das damit beschriebene Phänomen auftauchen:
Sociologist CJ Pascoe and her research assistant interviewed 80 kids for the project and said sexting was not a major issue. “No one brought it up,“ said Pascoe, an assistant sociology professor at Colorado College. „I had them go through their last 10 messages, their last 10 photos and I never saw it.“
Pascoe erklärt sich den Wirbel ums Sexting damit, dass die Erwachsenen sich Sorgen um die Gefahren der neuen Medien für Kinder machen und deshalb gerne solche Horror-Geschichten glauben. Ich erkläre ihn mir eher damit, dass Geschichten, in denen es um Sex und Teenager geht, besonders häufig angeklickt werden und deshalb von Online-Medien geradezu geifernd gesucht werden. Da hat man dann für die journalistische Sorgfaltspflicht leider keine Hand mehr frei.