vonHeiko Werning 13.02.2009

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„Biologen sind die letzten Abenteurer unserer Zeit“, hat John Steinbeck einmal geschrieben. Für Zoologen, die an Tieren in freier Natur forschen, gilt das bis heute. Da wird der Doktortitel noch erkämpft, wildromantisch oft, aber auch mühsam.

Einer jener besonders Besessenen ist der Brite Daniel Bennett. Er gehört zu den international bekanntesten Experten für Warane. Schon als Student legte er ein umfassendes Buch über diese Tiergruppe vor, ein echtes Pionier-Werk. Er publizierte viel über die Riesenechsen in den unterschiedlichsten internationalen Fachzeitschriften, u. a. auch in der von mir betreuten REPTILIA. Was lag da näher für ihn, als schließlich auch die anstehende Doktorarbeit den imposanten Echsen zu widmen? Bennett übernahm eine aufwändige Feldarbeit auf den Philippinen, um den Gray-Waran (Varanus olivaceus) näher zu erforschen. Dieser nahe Verwandte des Komodo-Warans gehört zu den seltensten Echsen der Welt einerseits und fällt andererseits durch einige Besonderheiten auf, u. a. seine Ernährung auf Basis von Früchten und Weichtieren. Die Warane gelten vor Ort als schmackhaft und werden gejagt, sie sind nicht nur selten, sondern zudem auch noch scheu und leben hauptsächlich hoch in den Bäumen. Werden sie einmal von Menschen gefangen, meiden sie den „Unfallort“ in Zukunft – und nicht nur das „Opfer“ selbst, sondern offensichtlich auch alle anderen Gray-Warane; es wird vermutet, dass die Tiere in Bedrängnis chemische Warnstoffe für ihre Artgenossen absetzen, die die Gefahrenstelle dann dauerhaft meiden.

Um also eine ausführliche ökologische Studie an den Reptilien-Sensibelchen durchzuführen, durfte Bennett seinen Studienobjekten nicht zu dicht auf den schuppigen Leib rücken. Wenn die aber einerseits hauptsächlich hoch oben in den Bäumen leben und andererseits nicht gefangen und markiert werden können, bleibt fast nur eines. Da der Kot der Tiere gut zu identifizieren ist, konzentrierte Bennett seine Forschung auf diese Hinterlassenschaften, die nicht nur Aufschlüsse über den Aufenthaltsort der Echsen erlauben, sondern natürlich auch über ihre Ernährung. Mit einem Team von Helfern sammelte Bennett also über fünf Jahre, nun ja: wie er selbst schreibt: „lizard shit“, also Echsenscheiße. Bennett: „Ob das nun die weltweite größte Aufsammlung von Echsenscheiße war, weiß ich nicht, aber ganz sicher war sie das einzige Probenmaterial zur Ernährungsweise des wenig bekannten Varanus olivaceus und wahrscheinlich das umfassendste einer einzelnen Population einer südostasiatischen Tierart.“ 35 kg Warankot kamen in den fünf Jahren exzessiver Sammeltätigkeit zusammen, fette Beute also. Genug Datenmaterial, um damit seine Doktorarbeit zu bestreiten. Bennett erhielt ein Stipendium der Universität Leeds, um diese zu schreiben. Zwei weitere Jahre der intensiven Beschäftigung mit dem Echsenkot folgten, im Labor und im Feld. Als Bennett zu Beginn des dritten Jahres seiner Doktorarbeit nach einer Philippinen-Exkursion zurück an die Uni kam, wartete eine echte Überraschung auf ihn: „Ich wusste mehr über Echsenscheiße, als ich je für möglich gehalten hatte. Als ich nach einem Feldtrip zurück nach Leeds kam, war ich überrascht, dass an meinem Arbeitsplatz ein anderer Student saß und dass die Bilder meiner Tochter, meiner Freundin und meiner Lieblingsechsen von der Wand gehängt waren. Der Laborplatz, wo ich meine Proben verstaut hatte, war leer. Die Irritation schlug um in Angst, als mir klar wurde, dass meine persönlichen Dinge sorgfältig in Kisten verstaut worden waren, aber es gab keine Spur von meinem 35-kg-Sack mit der Echsenscheiße. Die Angst schlug um in Wut und Fassungslosigkeit, als ich erfuhr, dass meine Proben „versehentlich“ aus dem Labor geräumt und verbrannt worden waren.“ Es stellte sich heraus, dass das Raumpflegefachpersonal, das beauftragt worden war, Bennetts Arbeitsplatz freizuräumen, um ihn während seiner Abwesenheit von einem anderen Doktoranden zwischennutzen zu können, auf den Sack mit dem für Unbeteiligte fragwürdigen Inhalt gestoßen war. 35 kg getrocknete Warankacke – das war dann wohl doch zu viel. Die Arbeit von sieben Jahren – Opfer eines übereifrigen Putztrupps und einer wohl mangelhaften Beschriftung. Schöne Scheiße.

Zwar konnte Bennett seine Doktorarbeit dennoch abschließen, aber der Verlust ist immens: Das Material hätte ihm auch für ein Post-Doc-Forschungsprojekt dienen sollen, außerdem fehlen jetzt alle überprüfbaren Belege. Die Uni zeigte sich wenig beeindruckt. Nach 16 Monaten Bedenkzeit entschuldigte sie sich und sagte sie 500 Pfund Entschädigung zu. Diesen eher niederschmetternden Bescheid erhielt Bennett sieben Wochen vor der Deadline zur Abgabe seiner Arbeit. Offenbar hat die ganze Sache dafür gesorgt, dass er derart durch den Wind war, dass es nun auch seiner Freundin reichte. Jahrelang war sie praktisch alleinerziehend mit der Tochter in Leeds geblieben, während ihr Typ im philippinischen Regenwald die Klofrau für hysterische Riesenechsen gab, und nun war alles vergebens und seine Gemütsverfassung wohl recht zweifelhaft. Einen Tag, nachdem der Bescheid der Uni-Leitung Bennett in eine noch tiefere Depression gerissen hatte, verließ seine Freundin ihn nach zehn gemeinsamen Jahren. Bennett: „Die wenigsten Leute sind in der Endphase ihrer Doktorarbeit besonders fröhlich, aber ich brauchte ein wasserfestes Keyboard, um meine zu Ende zu schreiben.“ Das Ganze war vor gut einem Jahr. Inzwischen klagt Daniel Bennett gegen die Universität Leeds – und ist heute Straßenmusiker.

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