vonClaudius Prößer 28.11.2008

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Tu Gutes und rede darüber? Tu Gutes und mach daraus eine gigantische Show! Dieses Wochenende ist Teletón in Chile.

Seit Wochen ist das Land in Aufruhr. Seit Wochen sammeln Familien, Schulklassen, Firmenbelegschaften, Fußballvereine Geld für das größte Benefizereignis des Jahres. Am Samstag werden all ihre Beiträge mit großem Brimborium und Publikum addiert, zusammen mit Großspenden von Unternehmen und Mäzenen, Opposition und Regierung, vor allem aber den Kleinstspenden hunderttausender Chilenen, die ihre Pesos in eine der aus diesem Anlass 24 Stunden geöffneten Filialen der Banco de Chile tragen. Auch B. hat im Rahmen einer schulinternen Sammelaktion 1.000 Pesos in den großen Topf der guten Tat getan.

Die Teletón Chile gibt es seit 1978, ins Leben gerufen hat sie der TV-Showman Mario Kreutzberger, der als „Don Francisco“ nicht nur jedem Chilenen, sondern den meisten Lateinamerikanern ein Begriff ist. Die Idee stammt freilich aus den USA, erfunden hat den Spenden-Marathon der Comedian Jerry Lewis. In Chile ging es am Anfang nur darum, die in finanzielle Nöte geratene Gesellschaft zur Versorgung körperbehinderter Kinder zu retten. Nach dem riesigen Erfolg der ersten Jahre beschloss man, die Teletón alljährlich durchzuführen, mit immer größerem Show-Aufwand und immer höheren Spendenzielen. Dieses Mal geht es darum, die Summe von exakt 13.255.231.970 chilenischen Pesos zu toppen – das entspricht etwa 15,5 Millionen Euro.

Das Geld fließt in die Teletón-Stiftung, die damit bislang 10 Reha-Zentren für körperbehinderte Kinder betreibt. Deren Konzept ist vorbildlich: Betreut wird grundsätzlich jedes Kind, das Bedarf hat, einkommensschwache Familien sind von Zuzahlungen ausgenommen. Die Kinder werden ambulant therapiert, unter Einbeziehung von Eltern und Geschwistern. Die Zentren bemühen sich außerdem darum, „ihren“ Kindern den Unterricht an der Regelschule zu ermöglichen, was politisch erwünscht ist, in der Praxis aber oft an den Widerständen des Schulpersonals scheitert.

Ein weiterer Verdienst des alljährlichen Teletón-Trubels ist es, Behinderte in der Gesellschaft sichtbar und solidarische Hilfe selbstverständlich zu machen. Angesichts dessen kann man locker über die üblichen Manipulationsstrategien hinwegsehen – die allüberall plakatierten Kindergesichter, die immer dankbar lächeln, die süßlichen TV-Spots, das Gesülze von „Don Francisco“.

Eine tolle Sache also, diese 27 horas de amor. Kann man aber auch anders sehen.

„Ich persönlich“, schreibt mir ein Freund aus Santiago, „halte die Teletón für eine riesige Image-Waschanlage, von der alle profitieren: Politiker, Unternehmer und Unternehmen, Marken, die Fernsehfuzzis usw. Ein exzellentes Geschäft, das Mario Kreutzberger auch dazu dient, seine Machtposition in den Medien zu verteidigen – genauso wie das Wirtschaftssystem, das uns die Diktatur beschert hat. Wie viele andere dachte ich, dass dieses als Solidaritätskampagne verkleidete Festival der Eitelkeiten mit der Rückkehr zur Demokratie ein Ende hätte, und dass der Staat die Finanzierung der Stiftung übernehmen würde (wie es sich gehört), aber dafür war das Geschäft eben zu einträglich.“

Ein Kritikpunkt, den viele teilen: Die „Partnerunternehmen“ machen mit der guten Sache ein gutes Geschäft. Konkret sieht das so aus: Dreißig Unternehmen vom Speiseölhersteller bis zur Fluglinie werben auf ihren Produkten für die Teletón – und die Teletón wirbt für sie. Weil die Firmen sich verpflichten, einen gewichtigen Betrag an das Hilfswerk zu spenden, sorgen die Kunden dafür, dass die entsprechenden Produkte verstärkt konsumiert werden. Das funktioniert – nur wie viel Mehreinnahmen es tatsächlich in die Firmenkassen spült, erfährt man nicht. Trotzdem ahnt man, welch unschätzbaren Wert es etwa für Pepsi besitzt, im Coca-Cola-Land Chile wochenlang das Teletón-Logo auf den Schraubverschluss drucken zu dürfen.

Ausgerechnet der Bürgermeister von Las Condes, einem der reichsten Bezirke von Santiago, hat sich vor zwei Jahren mit Kreutzberger und seiner Teletón angelegt – was in Chile etwa so wirkt, als würde man in Indien eine Kuh auf offener Straße schlachten. Francisco de la Maza hatte es nicht mehr hinnehmen wollen, dass die Teletón-Sponsoren auch den öffentlichen Raum wochenlang kostenlos mit ihren Logos zupflastern. Er wollte dafür Gebühren kassieren und diese anschließend ebenfalls für den guten Zweck stiften. Das gab Ärger mit „Don Francisco“ und überhaupt viel böses Blut.

Wahrscheinlich ist die pragmatische Sichtweise einer anderen Freundin aus Santiago die gesündeste: „Dass viele Unternehmen von der Teletón profitieren, ist für mich das kleinere Übel. Denn auf der anderen Seite stehen tausende Kinder, die kostenlos versorgt werden.“ So ähnlich argumentierte im Jahr 2002 auch Jorge González von den Prisioneros, die auf der Abschlussveranstaltung im Nationalstadion auftraten.

„Ist es nicht toll“, fragte González mit leichtem Spott, „dass eine Sache sich in eine ganz andere verwandeln kann? Wir, die Künstler, pflegen hier unser Ego, und am Ende springt dabei eine Hilfe für die Kinder heraus. Und die Habgier und der Geschäftssinn der Unternehmen, die ihre Preise anheben, von Steuern befreit werden, Extra-Werbung kriegen, kommen den Kindern auch zugute. Obwohl es die breite Masse ist, die am Ende dafür sorgt, dass das Ziel erreicht wird.“ Dann spielten die Prisioneros ihren Klassiker Quieren dinero und bauten, sehr zum Missfallen der Organisatoren, auch noch ein paar Seitenhiebe gegen die reichsten Männer Chiles und die damals anrüchig gewordenen krummen Geschäfte des Pinochet-Clans ein.

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