Wenn in Deutschland religiöse Minderheiten die Absetzung von Kulturproduktionen, von denen sie sich verunglimpft fühlen, fordern, dann ist im deutschen Feuilleton der Teufel los. Meist lassen sich die alten Männer in ihren tuckernden Glossen sogar dazu herab, die Meinungsfreiheit per se gefährdet zu sehen, wenn nicht gar mal wieder der ewige auf sich warten lassende Kampf der Kulturen begonnen hat.
Wenn aber in Hoyerswerda, der Stadt in der 1991 die häßlichen Deutschen ihre Fratze zeigten und den ersten nach-Wende-Pogrom abhielten, Neo-Faschisten qua Bombendrohung die Absetzung von „Inglorious Basterds„, dem tatsächlich sehr guten, neuen Film von Quentin Tarantino fordern, dann ist das kaum ein Aufheulen wert. Nicht einmal dann, wenn das Kino unter mehr als dubiosen Umständen den Film tatsächlich aus dem Programm nimmt. Es handelt sich dabei nicht einmal um einen Einzelfall – sondern um vom ehemaligen NPD-Funktionär Andreas Molau angestachelte Aktionen gegen den Film, den Nazis als Anti-Deutsche-Propaganda versteht (mehr dazu im NPD-Blog).
Der faschistische Pöbel siegt also in Hoyerswerda. Und im Film bzw. im Publikum? Der Irrtum von Molau und den Seinen liegt ja allein schon darin, den Film als historisches Werk zu betrachten.
Chris Stangl im „The Exploding Kinetoscope„-Blog und Jim Emerson auf „Scanners“ dagegen zerlegen den Film Kontakt- und Genre-gerecht. Stangl etwa scheibt:
One of the basic reasons we go to the movies is their bottomless capacity for wish fulfillment fantasy. It is a shade of escapism, or perhaps vice versa. These wishes and their cinematic granting may be base, unhealthy, cathartic, pathetic, unarticulated, mysterious or unhealthy. The movies provide a potentially powerful and relatively safe arena for working it out. […]
A fantasy of vengeance is not the same as a wish for justice, as moral instruction, as poetic justice, as a prescription for behavior. It may be weird, it may not be the voice of our better angels, but it is a real human impulse.
Und Emerson ergänzt:
(…) I don’t think the film is offering moral object-lessons and that I do not think it is meant to be „an emotional experience“ so much as a visceral and conceptual one. That is where its pleasures, and Tarantino’s particular talents, lie. The constant reminders of the movie’s movieness create an aestheticized distance (Brechtian? Godardian? Tarantinian?) that does not encourage emotional involvement. He’s more interested in playing with/deconstructing the familiar techniques that provoke those emotional responses from the audience. (It’s easy to push buttons and get emotional responses when you’re dealing with Jews and Nazis. See Tarantino’s own comments about how he wanted to avoid the „hand-wringing“ Holocaust sub-genre that has become so popular in recent years.)
Wie man sieht ist bei den Herren nicht nur das Abstraktionsvermögen ein Vielfaches höher als bei Molau und den Faschisten. Und der Umfeld richtig verstanden – nämlich nicht „Mein Kampf“ oder das Geschichtsbuch 9. Klasse, sondern Hollywood, Cartoons und B-Movies.
Vielleicht ist es ja in der Tat hilfreich, den Film verwandten Titels aus Italien anzuschauen:
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=8cGaYDwpXf4[/youtube]
Ich kann mir nicht helfen: Wer einen Tarantino-Film wegen Relevanz in der realen Welt für absetzungswürdig hält, der ist einfach nicht ganz dicht und nicht ganz helle. Noch mehr aber: Wer aus diesem Film rausgeht und denkt, dass das ein Film gegen Deutsche sei, der ist kein mitfühlender Deutscher – sondern ein kreuzdummer Nazi.