vonFabian Schaar 30.01.2022

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Ein Blog zu Politik, Gesellschaft und dem Dazwischen: Vielleicht ändert sich ja doch noch was?

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Die Digitalisierung wird im 21. Jahrhundert immer wichtiger. In nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen und individuellen Lebens ist sie vorgerückt, von Corona-Warnapp bis zum internetfähigen Kühlschrank, der digitaler Technik vollständig aus dem Weg zu gehen ist heutzutage kaum wenn nicht gar nicht möglich. Und auch wenn es einige Konservative nicht gern hören wollen: Das ist auch nicht schlecht. Die Digitalisierung schafft Möglichkeiten, von denen vor nicht allzu langer Zeit nicht einmal hätte geträumt werden können. Die Verbindung von Menschen über den ganzen Globus ist nur noch einen Mausklick entfernt, generationsübergreifende Vernetzung so leicht wie noch nie. Und doch gibt es Risiken – und woher sollen die sonst kommen, als von den uns allen bekannten, ach so freundlichen, grünen und queeren Unternehmen: Microsoft*, Facebook und Co. spionieren ihre Nutzer*innen im großen Stil aus, sammeln persönliche Daten wo sie nur können, machen Menschen zu ihren Produkten. Und doch bieten sich Möglichkeiten, den digitalen Raum emanzipatorisch zu nutzen.

Die heute reichsten Menschen der Welt haben ihr Geld nicht mit dem Bau von Autos verdient, sondern mit Software, mit den Programmen, die heute von Millionen von Menschen täglich genutzt werden. Seit mehreren Jahrzehnten sind digitale Unternehmen die profitabelsten und/oder zukunftsfähigsten. Wer in Zeiten der Digitalisierung Kontrolle über die Anwendungen hat, die von Menschen genutzt werden, dem kommt ziemlich viel Macht zu. Wie lässt sich diese Macht jedoch sichern, die es ermöglicht umfassende Datenkraken aus dem Boden zu stampfen? Mit der Geheimhaltung des Quellcodes, in dem Software geschrieben wurde. Niemand kann wissen, wie Microsofts Betriebssystem Windows funktioniert und wie dessen Funktionen umgesetzt werden, weil Microsoft den zugehörigen Quellcode geheim hält – und seinen Nutzer*innen nur fertig zusammengesetzte Programme ausliefert, die nur von Maschinen verstanden werden können.

„Dann kauf’ ich halt einen Mac, der funktioniert ja ohnehin auf Anhieb“, mag sich jetzt der*die ein oder andere denken. Doch auch die elitären Luxusprodukte von Apple befreien nicht aus den Fängen des geschlossenen, sogenannten „proprietären“ Quellcodes: Der aller größte Teil des Mac OS ist ebenfalls verschlossen. Gibt es also keinen Ausweg aus dem kapitalistischen Verkaufsmodells, was Nutzer*innen dem guten Willen der digitalen Unternehmen ausliefert? Oh doch! Die Lösung heißt freie Software – hat aber keine Lobby. Grund genug, sie einmal genauer zu beleuchten.

Freie Software ist das Gegenstück zu proprietären Anwendungen. Ihr Quellcode liegt offen und steht unter freien Lizenzen, etwa der GNU General Public License (GPL). Für die meisten Leser*innen und Leser dürfte das vollkommenes Neuland sein, darum einige Erklärungen:

Die „Free Software Foundation“ (FSF) und das „GNU“-Projekt, gegründet von Richard Stallman, definieren die Freiheiten, die Nutzer*innen von freier Software gewährleistet werden, wie folgt:

“Ein Programm ist Freie Software, wenn Nutzer eines Programms über vier wesentliche Freiheiten verfügen:

  • Die Freiheit, das Programm auszuführen wie man möchte, für jeden Zweck (Freiheit 0).

  • Die Freiheit, die Funktionsweise des Programms zu untersuchen und eigenen Datenverarbeitungbedürfnissen anzupassen (Freiheit 1). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.

  • Die Freiheit, das Programm zu redistribuieren und damit Mitmenschen zu helfen (Freiheit 2).

  • Die Freiheit, das Programm zu verbessern und diese Verbesserungen der Öffentlichkeit freizugeben, damit die gesamte Gesellschaft davon profitiert (Freiheit 3). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.”

Freie Software muss also nicht zwangsläufig kostenlos sein (ist sie in den allermeisten Fällen aber), sie gewährt Nutzer*innen jedoch umfassende Rechte, die sie bei der Benutzung von proprietären Programmen am Eingang abgeben müssen. Die Benutzung von freier Software ermöglicht die Loslösung von kapitalistischen Zusammenhängen, meiner Ansicht nach ist sie die Grundlage für digitale Emanzipation.

Wo lässt sich freie Software also Einsetzen – und ist sie überhaupt alltagstauglich? Wer nur mit der Benutzung von Windows, Google Chrome oder Microsoft Office vertraut ist, dem stellen sich diese Fragen sicher nicht ungerechtfertigt. Doch für praktisch alle Einsatzgebiete gibt es freie Software. Wer nach einer Alternative zu Windows sucht, wird ziemlich sicher mit einer der unzähligen Variationen („Distributionen“) des freien Betriebssystems GNU/Linux fündig, diese heißen etwa Debian GNU/Linux, OpenSUSE oder Linux Mint. Anstelle von Microsoft Office ermöglicht LibreOffice das erstellen von verschiedensten Dokumenten.

Die ohnehin überteuerte „Creative Cloud“ von Adobe lässt sich mit kostenlosen und quelloffenen Programmen wie GIMP (Fotobearbeitung), Inkscape (Logos und Vektorgrafiken), Kdenlive (Videoschnitt) oder Scribus (Layouts) ersetzen. Der einigermaßen bekannte und umfassend unterstützte, aber traurigerweise immer weiter an Markanteil verlierende Browser Firefox ist ebenfalls quelloffen und frei. Selbst für das proprietäre Facebook gibt es mehrere Alternativen, beispielsweise das soziale Netzwerk „Mastodon“.

Freie Software ist zahlenmäßig sogar in der Überzahl, gegenüber proprietären Programmen – sie hat aber keine große Lobby, ist nicht standardmäßig auf den Rechnern von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen vorinstalliert und leider nur in Nischencommunities bekannt. Dabei bietet sie umfassende Möglichkeiten, ist durch die solidarische Arbeit der Community meist sicherer, stabiler, besser getestet. Sie lässt sich ohne Probleme im Alltag nutzen.

Wer mir das nicht glaubt, gebe ich gern ein Beispiel: Meine persönliche Nutzung des Betriebssystems Debian GNU/Linux auf dem Desktop. Alle Programme, die ich täglich einsetze sind quelloffen und frei, nur ein proprietärer WLAN-Treiber wird von einem Hardwarehersteller benötigt, der sich schämen sollte, doch auch solche Ausnahmen lassen sich leicht installieren. Warum sollte ich großen Firmen vertrauen, deren Geschäftsmodell auf Unwissenheit basiert, warum sollte ich mich den Chancen, die mir freie und quelloffenen Software auftut verwehren.

Sicherlich, wer GNU/Linux nutzen möchte, muss einen gewissen Aufwand eingehen. Doch GNU/Linux ist längst nicht mehr nur etwas für Nerds und Geeks. Es wird Zeit, dass sich so viele Menschen wie möglich aus den Fängen der proprietären Software befreien – und ich hoffe, hiermit einen kleinen Anstoß dazu geben zu können.

Freie Software heißt aber noch mehr als „nur“ die Einsicht in den Quellcode. Sie ist eine soziale Bewegung, eine Bewegung der Solidarität, Gleichheit und Menschlichkeit, die wohl eine der stärksten Communities in einer Welt stetig steigender Macht großer Unternehmen darstellt.
Auch Menschen, die keine umfassenden IT-Kenntnisse vorweisen können, reden hier auf Augenhöhe mit. Auf Augenhöhe mit den Entwickler*innen, auf Augenhöhe aber auch mit Konzernen wie etwa Google, dessen Server und vermutlich auch Desktops mit freier Software betrieben werden (auch Google möchte sich nicht von Microsoft abhängig machen).

Diese soziale Grundlage, diese Bewegung, die freie Software geschaffen hat, ist es, was sie für mich so interessant macht. Deswegen möchte ich hiermit einladen in eine Welt der freien und gleichberechtigten Computernutzer – auf das sich diese Maßstäbe auch in der Realität niederschlagen!


*Nein, eurer verschwörungstheoretisches Geschwurbel ist nicht gerechtfertigt ihr Leerdenker.


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