vonFabian Schaar 20.02.2025

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Politik, Gesellschaft und das Dazwischen.

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Hinweis: Dieser Meinungsbeitrag erschien zuerst auf meinem persönlichen Blog.

Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Ich bin wahlberechtigt im ostsächsischen Bundestagswahlkreis Görlitz. Hier tritt AfD-Chef Tino Chrupalla an – in einer Hochburg seiner Partei. Eine Prognose der Webseite Zweitstimme.org schreibt dem radikal-populistischen AfD-Politiker derzeit ein mögliches Erststimmen-Ergebnis von 41 bis 59 Prozent zu.

Für mich ist es bedrückend, dass möglicherweise jede:r zweite in meinem Wahlkreis für den Chef einer derart radikalen Partei stimmen könnte. Ja, auch bei vergangenen Wahlen waren die Ergebnisse für die AfD in Ostsachsen ebenfalls dramatisch hoch. Mittlerweile hat sich die Lage aber derart verschärft, dass der alte Leitspruch „auch in Sachsen sind die Demokrat:innen in der Mehrheit“ langsam ins Wanken gerät.

Déjà-vu

Während in anderen Wahlkreisen über die Sache gestritten werden kann, fragt man sich als demokratischer Wähler im Osten Sachsens oft viel mehr: Wie lässt sich der AfD-Kandidat noch verhindern? Anders ausgedrückt: Muss ich taktisch wählen? Schon bei den Landtagswahlen 2024 stand das für mich auf der Tagesordnung. Auch in dem kleineren Landtagswahlkreis Görlitz 3 lief es damals auf ein Duell zwischen CDU und AfD hinaus.

Besonders kapp war das Rennen zur Landtagswahl allerdings auch nicht: Mit 46 Prozent der Erststimmen landete der AfD-Kandidat Roman Golombek noch immer annähernd sieben Prozentpunkte vor dem Kandidaten der CDU. CDU-Mann Conrad Clemens ist heute sächsischer Kultusminister – wenn auch ohne Direktmandat. Im Wahlkampf war der CDU-Kandidat meiner Wahrnehmung nach wesentlich präsenter als sein Kontrahent von der AfD. Dennoch war der Rückhalt für die Rechtsaußen-Partei stärker.

Die Landtagswahl wurde für mich zu einer Lose-lose-Situation: Meine Stimme für den CDU-Kandidaten konnte das Direktmandat des AfD-Manns nicht verhindern. Und auch die CDU ist mit ihren Einstellungen sehr weit von meinen persönlichen Ansichten entfernt. Eine Partei die mir näher steht, hat das bei der Landtagswahl also nur über die Zweitstimme erfahren.

Schmerzgrenze

Wo bei der Landtagswahl noch eine Funke Hoffnung schien, mache ich mir für die Bundestagswahl keine Illusionen: Chrupalla wird den Bundestagswahlkreis Görlitz gewinnen. Und selbst wenn sich alle demokratischen Kräfte gegen ihn auf eine Kandidatur geeinigt hätten – der Kampf um das Direktmandat wäre wohl gleich ausgegangen.

Chancen hin oder her – dazu kommt noch: Auch die CDU macht taktisches Wählen derzeit wirklich nicht einfacher. Noch immer liegt die Union als zweitstärkste Kraft hinter der AfD. Doch spätestens mit den Abstimmungen über den Fünf-Punkte-Plan und über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union kann ich meine Stimme an die CDU vor mir selbst schwerlich rechtfertigen: Warum sollte ich für die CDU stimmen, um die AfD zu verhindern – nur damit die Union im Bundestag gemeinsam mit Rechtsradikalen abstimmt?

Taktisch zu wählen, birgt nur begrenzte Möglichkeiten gegen rechts. Und eine Schmerzgrenze besteht für mich dabei auch. Zur anstehenden Bundestagswahl scheint sie mir erreicht.


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