Der Gedanke der Solidarität war mir immer sehr wichtig in der sogenannten Zweierbeziehung, ohne daß ich ihn je verwirklichen konnte. Ich habe es natürlich nicht so genannt. Gern dozierte ich früher über Lessings Verständnis von dem Wort ‚Mitleid‘. Zuletzt war der Begriff ‚Empathie‘ recht beliebt, wurde von mir aber nur widerwillig verwendet, also eigentlich nur, weil ich mit dem viel schöneren Terminus MITLEID am Ende überhaupt nicht mehr landen konnte.
Ein schöner Beginn für eine längere Abhandlung, nicht wahr? Nach einer kleinen Pause für die innere Sammlung lege ich los, heute noch. Freu‘ Dich drauf!
Also… die großen Idenn… welche Rolle spielen sie in der Liebe? Natürlich die Hauptrolle. Die Idee der Solidarität ist dabei, fand ich immer, die schönste. Einmal hatte ich eine Freundin, der es, als ich sie kennenlernte, schlecht ging. Ich dachte sofort: der geht es wie mir, wir sollten uns zusammentun. Im Folgenden hörte ich mir monatelang ihre Probleme an, und das war von Anfang an meine Rolle, oder, um das Wort nicht zu doppeln, meine Position (vulgo: meine Sprecherhaltung). Mir fiel gar nicht auf, daß das Mädchen umgekehrt auf meine eigenen vorgetragenen Probleme niemals reagierte. Schließlich kam ich auf die Idee, ihr diese einfach schriftlich mitzuteilen. Die Frau machte umgehend mit mir Schluß. Meine Probleme und dunklen Schattenseiten hätten sie nicht nur erschreckt und verstört, sondern SEHR erschreckt und verstört. Hätte sie davon vorher gewußt, hätte sie sich niemals mit einem wie mir eingelassen. Sie wolle keinen Problemfall an ihrer Seite, sondern einen weißen Ritter, der ihr, wie Richard Gere in dem Film ´Pretty woman´, im offenen Rolls-Royce Blumen bringe. Sie habe in ihrem ganzen Leben blöde Männer gehabt und nun endlich ´Mr. Right´ verdient, der gut ausehe, mächtig Kohle verdiene und sie, die bisher hochdepressive Freundin, auf Händen durchs Leben trage.
Donnerwetter, dachte ich, das waren gewiß andere Ideen über die Liebe, sozusagen charakterlose. Aber warum hatte sich diese Frau, wenn DAS ihre Ideen waren, ausgerechnet in mich verliebt, zu Beginn? Wahrscheinlich war ich eine falschverstandene abstrakte Form dieser kitschigen, konsumistischen und inhumanen Haltung. Ich symbolisierte für die äußerlich durchaus attraktive, wie soll ich sagen, nervöse Frau erstmal nur STÄRKE, und zwar einzig deshalb, weil ich diese Sprecherhaltung des Zuhörenden eingenommen hatte, also des Therapeuten (wie sie dachte, nach vielen Therapien, was dann ja auch nahelag). Und wer stark war, sehr stark, fuhr auch ein tolles Auto, brachte Blumen und war Chefarzt, im Prinzip.
Womit wir bei der Idee der Stärke wären. Für mich war ein konventioneller Blumenschenker und Opfer der Porsche-Werbung nicht stark, sondern schwach. Ein armseliges Würstchen, im Vergleich zu einem guten und talentierten Schriftsteller etwa. Niemals hätte ich einen über hirnlose Restaurants und teure Hotels so weltläufig wie langweilig schwadronierenden Professor Brinkmann für stark gehalten und den kleinen, schielenden Jean-Paul Sartre für schwach. Stärke war für mich einzig geistig definiert. Und hatte aber, um zum Thema zurückzukommen, mit Liebe sowieso nichts zu tun. Schwäche schon.
Leider stehe ich damit aber alleine da in der Welt. Wer die Schwäche eines anderen liebt, macht sich nicht erst in unseren Zeiten, sondern auch seit 100 Jahren schon, des Mitleids strafbar. Jemanden aus Mitleid lieben, so geht die durchgesetzte Meinung aller, ginge gar nicht, das sei a priori ein völliges Unding. Es gebe wohl manchmal Männer, und die nannte man dann auch nicht zufällig ´arme Schweine´, die wollten von fremden Frauen Mitleid einfordern, nachdem sie von ihrer eigenen Frau verlassen wurden. Aber in Wirklichkeit gehe es ihnen nur darum, den Preis für den verabredeten ordnungsgemäßen Sexualakt (200 Euro) zu drücken. Gottfried Ephraim Lessing hatte vor einem Vierteljahrtausend noch anders argumentieren dürfen, und deshalb war er auch schon während meiner Studienzeit unter Diedrich Diederichsen in Hamburg mein Lieblingsdenker. Lessing sagte, das geläuterte Mitleiden gegenüber der mit einem verbundenen Freundin sei die edelste menschliche Eigenschaft und die am vordringlichsten zu entwickelnde und anzustrebende Tugend. Nun war Lessing aber auch Hamburger. Er lehrte am Johanneum in der Maria-Louisen-Straße 132. Womöglich hatte seine Einstellung auch damit zu tun, also mit der Region. In der alten Hansestadt findet man womöglich selbst heute noch ein mitfühlendes Herz, das Lesssings Tugenden nachlebt, während im schnoddrigen Berlin schon 1759 nur der arrogante Militär im offenen Vierspänner Schlag bei den Frauen hatte.
„Wat, Solidaritäät?!“, fragte der nur mit schnarrender Stimme. Und gab seiner Frau die Peitsche, bei passender Gelegenheit. Aber das ist natürlich auch lange vorbei. Heute geht man viel mehr davon aus, daß Liebe weder mit der Härte der Macht, noch mit Solidarität zu tun hat, noch mit irgend einer weiteren Idee, sondern einzig mit der Liebe selbst, also mit Irrationalität. Bestenfalls die Behaviouristen halten noch manchmal dagegen: man oder frau liebe den, der sich am günstigsten verhalte. Der den größten materiellen Vorteil ermögliche. Ein guter Ansatz, der sich aber außerhalb der Therapiezimmer kaum noch finden läßt. Auch die anfangs erwähnte Freundin wirkte ja mit ihrem Anspruch auf Richard Gere eher komisch (sie kam an dem Tag auch direkt aus dem Therapiezimmer). Nein, durchgesetzt hat sich die Vorstellung, daß sich die Liebe unter den Bürgern und Bürgerinnen unseres Landes komplett irrational entfalte. Das Wichtigste im Leben wäre demnach reines Voodoo. Tja, wenigstens hätte es der globale werbetreibende Kapitalismus gern so…
Ich aber sage: dann lieber Solidarität!
Morgen:
Ein kleiner Exkurs über die Idee der Meinung in der internetgeprägten Generation. Hatte ich heute den ganzen Tag im Kopf, eigentlich, und nicht das eben Geschriebene. Aber ich stand ja bei Euch im Wort, es zuende zu bringen…