Schafft die SPD noch die, sagen wir mal, Wende? Ich persönlich denke: Steinmeier – zu farblos. Münte – zu ratlos. Steinbrück – zu sehr mit Finanzen und Wirtschaft beschäftigt. Und dann das strategische Dilemma mit Großer Koalition, Ampelkoalition und dem ganzen Genörgel von der Linkspartei.
Die SPD wäre gut beraten, sich mal die Lage bei den Sozialdemokraten in den Niederlanden anzuschauen. Lustigerweise stellt auch die PvdA mit Wouter Bos den Finanzminister. Die standen schon vor den Europa-Wahlen am Rand des Abgrunds – und sind nun ein paar Schritte weiter. Gegenüber dem Jahr 2004 brachen die Sozialdemokraten völlig ein: sie fielen von 23,6 auf 12,2 Prozent. Wenn man dann an die Wahlbeteiligung von etwas mehr als einem Drittel denkt, dann standen jetzt kaum mehr als vier Prozent der Niederländer noch hinter dieser Partei. Und dabei regieren die Sozialdemokraten meist landesweit mit und in den vier großen Städten (Amsterdam, Den Haag, Rotterdam und Utrecht) stellen sie häufig den Bürgermeister. Der in der Vergangenenheit allerdings auch nicht gewählt sondern von den Parteien in Den Haag in Hinterzimmern ausgekungelt wurde.
Inzwischen gibt es arge Zerfallserscheinungen. Nach der Wahl wurde bekannt, dass der unbekannte Spitzenkandidat Thijs Berman lediglich die sechste (!) Wahl war. Das gab Wouter Bos zu. Eine der Kandidatinnen war die Gewerkschafts-Vorsitzende Agnes Jongerius (FNV). Sie sei angerufen worden – aber die Sache war innerhalb von „zwei Minuten für mich erledigt“.
Ein besonderes Kunststück war die Kandidatenliste. Obwohl das PvdA-Programm in Sachen Europa einigermassen kritisch war (um etwa die besonders antieuropäische Sozialistische Partei links und Geert Wilders rechts abzuwehren), waren die ersten vier Kandidaten nun wieder proeuropisch. Erst Kandidat Nummer 5 passte richtig zum Programm. Die Folge: die PvdA fiel von sieben auf drei Sitze. Heute publizieren die Zeitungen und Website, dass dieser Vorgang einen „einmaligen Effekt auf die Wähler“ hatte. Die Wähler waren verwirrt. Das beweist auch diese Zahl. Die Universität von Amsterdam hat herausgefunden, dass drei Wochen vor der Wahl neun Prozent der Wähler die PvdA-Botschaft begreiflich fanden – drei Wochen Kampagne später war die Zahl auf fünf Prozent gesunken. Eine Wahlkampagne fehlinvestiert.
Jetzt ist guter Rat teuer. Erst einmal soll eine Arbeitsgruppe rund um Staatssekräterin Sharon Dijksma das Europa-Wahlergebnis analysieren. Warum gerade sie erschliesst sich mir nicht. PvdA-Unterrichtsminister Ronald Plasterk nannte seine Partei „zu elitär“. Eine Partei für „besser Ausgebildete“. Jetzt müsse man die Menschen in den Stadteilen erreichen, in denen früher 80 Prozent PvdA gestimmt habe.
Es gibt aber noch eine dramatischere Idee. Nämlich die PvdA mit den linken Parteien SP, GrünLinks und D66 fusionieren zu lassen. Geschichtlich wäre das interessant: die SP war mal maoistisch, wurde dann realistisch und wuchs in den vergangenen 15 Jahren rasant, in GrünLinks sind Teile der kommunistischen Partei aufgegangen und sozialliberale Partei D66 hat sich nach vielen JoJo-Jahren mal wieder aufgerappelt.
Die niederländische Parteien-Landschaft ist momentan arg zersplittert, es wird schon spekuliert, ob bei den kommenden Wahlen – 2011 – fünf Parteien eine Koalition bilden müssen. Ich schätze allerdings, dass SP, GrünLinks und D66 jede für sich gute Gründe haben, um diese große Linkspartei nicht zu bilden. Ein Grund ist, dass alle drei wachsen (die SP zuletzt mit Problemen, aber in der Tendenz über Jahre hinweg schon) und die PvdA in der Krise ist. Eine Krise, die sie so auch die SPD in Deutschland ereilen könnte.