vonDetlef Guertler 31.12.2008

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Eigentlich sollten Weihnachts- und Neujahrsansprachen ja getragen-besinnlich daherkommen. Nur ja nichts, was die festtägliche Stimmung und Verdauung stören könnte! Während sich Horst Köhler (Deutschlands bester Beweis für die Mediokrität jener Gruppe leitender Angestellter, die noch vor kurzem als Top-Manager gefeiert wurde) zu Weihnachten wie üblich an diese Vorgabe hielt, schießt Angela Merkel zum Jahreswechsel scharf. Da gibt es nämlich eine Passage in ihrer Neujahrsansprache, die geradezu als Renaissance des deutschen Sendungsbewusstseins verstanden werden kann. Der Wortlaut:

Die weltweite Krise berührt auch Deutschland. Finanzielle Exzesse ohne soziales Verantwortungsbewusstsein, das Verlieren von Maß und Mitte mancher Banker und Manager – wahrlich nicht aller, aber mancher – das hat die Welt in diese Krise geführt. Die Welt hat über ihre Verhältnisse gelebt. Nur wenn wir diese Ursachen benennen, können wir die Welt aus dieser Krise führen. Dazu brauchen wir klare Grundsätze: Der Staat ist der Hüter der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung. Der Wettbewerb braucht Augenmaß und soziale Verantwortung. Das sind die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Sie gelten bei uns, aber das reicht nicht. Diese Prinzipien müssen weltweit beachtet werden. Erst das wird die Welt aus dieser Krise führen. Die Welt ist dabei, diese Lektion zu lernen.Und das ist die Chance, die in dieser Krise steckt, die Chance für internationale Regeln, die sich an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft orientieren. Ich werde nicht locker lassen, bis wir solche Regeln erreicht haben.

Das heißt doch nichts anders als: Am deutschen Wesen soll die globale Ökonomie genesen. Was bei uns als soziale Marktwirtschaft so erfolgreich ist, soll nun auch als soziale Weltmarktwirtschaft verbreitet werden – und Angela Merkel als Fahnenträgerin vorneweg.

Das fände ich, mit Verlaub, großartig. Denn genau das fordere ich seit nunmehr ziemlich genau sechs Jahren. Zum Beispiel so:

Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist das produktivste, menschenfreundlichste, stabilste und zukunftsfähigste, also kurz: das beste System, das auf dem Weltmarkt der Systeme im Angebot ist.

Oder so:

Die Bilanzierung nach deutschem HGB verspotteten US-Wirtschaftsprüfer in der Vor-Enron-Ära gerne als „Mickey-Mouse-Accounting“. Aber ganz offenbar ist das US-System auch dann besser geeignet, wenn man in der Bilanz Erträge darstellen möchte, die es in der Realität gar nicht mehr gibt. Um in der gleichen Wortwahl zu bleiben: Wenn die Deutschen Mickey-Mouse-Accounting betreiben, betreiben die Amerikaner „Kater-Karlo-Accounting“.

Oder so:

Ordnungspolitik deutscher Provenienz ist der bislang einzige als gangbar erwiesene Mittelweg zwischen den gefährlichen Extremen von Staatswirtschaft und Laissez-faire-Kapitalismus: Die Politik sorgt dafür, dass die Wirtschaft dafür sorgt, dass die Menschen gut essen, trinken, wohnen etc. können. Erst setzt die Politik den Rahmen für die Entfaltung der ökonomischen Dynamik, und dann darf die Wirtschaft in der Wirtschaft stattfinden. Dass die Staatswirtschaft gefährlich ist, dass sie alleine nicht funktioniert, braucht heute wohl keine Begründung mehr. Die Freunde der reinen Marktwirtschaft sind hingegen heute noch so unbelehrt wie Erich Mielke 1989.
Und, ach, noch ganz viele Beispiele mehr, alle aus meinem Buch „Vorbild Deutschland“, das im Februar 2003 bei Eichborn veröffentlicht wurde. Und weil das Buch vergriffen ist, gibt es hier und heute erstmals, als Neujahrsgeschenk sozusagen, das ganze Manuskript von damals als kostenlosen Download (pdf).
In diesem Sinne ein gutes neues Jahr!

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