Japanischer Spatz (von Katsushika Hokusai)
Nach der früher lange umstrittenen taz-Spendensammlung „Waffen für El Salvador“ – um der dortigen FMNL-Guerilla zum Sieg zu verhelfen, gibt es nun einen „taz-Hedge-Fonds für Spatzen“ – zum Ankauf von sechs Hecken – Hedges, die für Spatzen lebensnotwendig sind. Vier Buschgewächse wurden bereits gepflanzt. Die taz hat seit einiger Zeit ein Café mit einem Café-Garten, den die Spatzen gerne anfliegen, um übriggebliebene Essensreste aufzupicken. Dort sollen die Hecken gepflanzt werden. Ein Dialog in einem Cafégarten aus Silvia Bovenschens Roman „Wer weiß was“ mag verdeutlichen, wie man sich die Situation an einem solchen Ort vorzustellen hat:
Ein Mann und eine Frau unterhalten sich. „Sie arrangierte mit der Kuchengabel die Krümel auf ihrem Teller. Gab ihnen eine geometrische Anordnung. Aber ein mutiger Spatz pfuschte ihr, festgekrallt am Tellerrand, mit spitzem Schnabel ins Werk. ‚Freche Viecher,‘ sagte sie. ‚Sie sind vom Aussterben bedroht,‘ sagte er. ‚Wirklich? Die Spatzen?‘ ‚Ja.‘ ‚Sollte man gar nicht denken,‘ sagte sie. Es befanden sich jetzt schon fünf Spatzen auf dem Tisch, die sich, einige forscher, andere ängstlicher, hüpfend ihrem Teller näherten. Sie starrte auf die durch den Vogel chaotisierte Krümelei auf dem Kuchenteller, als warte sie auf das Aufscheinen einer Nachricht. Als die beiden gegangen waren, stürzten sich sieben Spatzen auf die verbliebenen Krümel.“
Mit ihrem „Hedge-Fonds“ knüpft die taz direkt an ihre anfängliche Partisanen-Unterstützung an, denn Spatzen sind Heckenschützen, d.h. sie brauchen Hecken, um zu überleben, weil sie nur von da aus im Pulk immer wieder kleine blitzschnelle Überfälle starten können – ähnlich den Partisanen, die aus dem Maquis (Buschwald) bzw. dem dichten Wald heraus angreifen. Und wie diesen geht es auch den Spatzen dabei zunächst um Verpflegung. Denn alles, was die einen wie die anderen zum Überleben brauchen, müssen sie dem Feind abringen.
Es gibt Partisanentheoretiker, wie z.B. den BBC-Programmchef Steward Hood, die meinen, dass nunmehr, mit dem Verschwinden des Maquis und der Wälder sowie auch der meisten Bauern in Europa kein Partisanenkampf mehr möglich ist. Ähnliches gilt leider auch für die Spatzen. Der große Einbruch kam mit der Abschaffung der Pferde in Stadt und Land. Fortan hatten sie Probleme, Nahrung zu finden. Als nächstes kam – mit dem „Bauernlegen“ und der industriellen Landwirtschaft – das Roden der Hecken zwischen den Feldern (besonders in den sozialistischen Ländern), das ihnen den Schutz nahm. Und neuerdings geht es ihnen auch in den Städten an den Kragen, denn durch das massenhafte Renovieren von Häusern verschwinden auch all die Nischen und Mauerlöcher, die sie zum Brüten brauchen.
Der gemeine Haussperling ist den Menschen in fast jeden Winkel der Erde nachgefolgt. In Berlin lebt eine Gruppe z.B. im Steglitzer Obi-Baumarkt, der ein Glasdach mit immer offenen Lüftungsklappen hat und unten stehen Säcke und Tüten mit Sämereien zum Verkauf, aus denen sich die Spatzen zu bedienen wissen. Selbst in der Wüste Gobi stellen sich sofort Spatzen ein, wenn irgendwo der Betreiber eines Touristen-Camps ein festes Haus als Restaurant für seine Gäste baut – und er den Vögeln unter dem Dach Nistmöglichkeiten einbaut, was kein Bauherr dort vergisst. Auf Helgoland wurde die Brutpopulation zwei mal durch Krieg und Evakuierung der Bevölkerung ausgelöscht, mit dem Wiederaufbau und der Rückkehr der Bevölkerung kamen jedoch auch die Spatzen sofort wieder auf die Insel.
Ungeachtet ihrer Anhänglichkeit oder gerade deswegen werden sie von ihrem Wirt aber auch immer wieder hartnäckig bekämpft, zum Glück jedoch nicht ständig und überall. Es gibt allerdings Phasen, in denen man die Spatzen besonders hartnäckig verfolgt. Das war z.B. in Preußen während der Trockenlegung des Oderbruchs und anderer Feuchtgebiete ab dem 18.Jahrhundert so: Mit der Verwandlung von Sümpfen in Siedlungsland ging stets der Kampf gegen Schädlinge – vom Wolf über die Malariamücke und den Biber bis zu den Spatzen – einher. Der König von Preußen setzte Prämien dafür aus: Zwischen 1734 und 1767 wurden allein in den Grenzen der Alten Mark Brandenburg fast 12 Millionen Spatzen getötet.
Unter Maria Theresia tat es Österreich den Preußen nach – und begann ebenfalls einen Vernichtungsfeldzug gegen die Spatzen, die fortan als die allergrößten „Getreideschädlinge“ galten. Jedes Haus im Flachland hatte fortan fünf Spatzen-Köpfe abzuliefern und jedes Haus im Gebirge mindestens drei. Bei Unterschreitung des Abgabesolls an Köpfen drohten Geldbußen. 1761, im zwölften Jahr der Aktion, wurde das Soll landesweit um 22.200 unterschritten – indem 12.955 Spatzenköpfe abgeliefert wurden. Etwa gleichzeitig kamen Kochbücher auf den Markt – mit Rezepten zur Zubereitung von Spatzen und anderen Kleinvögeln. Der Linzer Historiker Georg Wacha hat ausgerechnet, dass der 14 Jahre dauernden Schädlingsbekämpfungsaktion in Österreich etwa 200.000 Spatzen zum Opfer fielen. Etwas anders sah es im damals noch autonomen Salzburger Land aus, wo bis zur Französischen Revolution das Fangen oder Schießen von Wildtieren und -vögeln, ausdrücklich auch von Spatzen, der Obrigkeit vorbehalten war und folglich als Wilderei galt.
1958 kam es im Rahmen des „Großen Sprungs nach vorne“ in China zu einer Hygienekampagne, die eine Ausrottung der „vier Übel“ – Ratten, Spatzen, Fliegen und Moskitos – zum Ziele hatte. Das Nachrichtenmagazin der ARD schreibt: „Mao Tse tung will Ernteausfälle bekämpfen und ruft zum Krieg gegen die Schuldigen auf, die angeblich zu viel Getreide vertilgen. Zum Krieg gegen den Spatz! 600 Millionen Chinesen müssen gegen den gefiederten Volksfeind antreten. Sie veranstalten einen infernalischen Lärm, um die sensiblen Vögel so zu ängstigen, dass sie so lange in der Luft umherschwirren bis sie schließlich erschöpft oder tot zu Boden fallen. Am Ende haben die Chinesen an die zwei Milliarden Tiere erschlagen“.
Weiter behauptet die ARD: „Aber Maos Spatzenkrieg gerät zum Desaster: Die Ernteausfälle steigen dramatisch an, eine große Hungersnot beginnt. Kein Wunder: Fressen doch Spatzen sehr gerne Getreideschädlinge! China muss nun Spatzen importieren – ausgerechnet vom ungeliebten Nachbarn Russland. Für Mao eine Riesen-Blamage. Bis heute aber ist der Spatz in China rar geblieben“.
Dafür hat man ihn in Australien und Nordamerika, auf Java und Neuseeland „eingebürgert“, wie Alfred Brehm das nannte. In Nordamerika gibt es heute eine Spatzenunterart, die sich zu Schwärmen mit bis zu einer halben Million Tiere zusammenfindet – um im Herbst aus dem hohen Norden in den Süden bis nach Südamerika zu ziehen. Der BBC-Dokumentarist David Attenborough meint, sie machen kaum etwas anderes als Futter zu suchen, um ihre „extravaganten Lebensstil“ aufrechterhalten zu können. Damit will er sagen, dass sie viel Spaß unterwegs haben und wilde Schwarmformationen bilden, die vorübergehend die Sonne verdunkeln. Da diese Schwärme immer wieder in die Felder einfallen, sind sie bei den Farmern zwischen Kanada und Mexiko jedoch äußerst verhaßt, die deswegen von Agrarflugzeugen Gift über ihre Felder sprühen lassen, woraufhin die Spatzen in Massen verenden. Gleichzeitig gibt es allerdings auch Millionen Amerikaner, die die kleinen und großen Vögel auf ihren Wanderungen von Nord nach Süd und zurück ausgiebig füttern.
In Italien durften Feldsperlinge bis 1997 gejagt, danach aber nur noch mit Netzen gefangen werden – seit 2001 ist auch das nicht mehr erlaubt, seitdem erholt sich ihre Population langsam wieder, dafür werden dort die Haussperlinge langsam von den Italiensperlingen verdrängt. Insgesamt, so kann man jedoch sagen, verschwinden die Spatzen in ganz Mitteleuropa. In Westdeutschland gibt es bereits einige nahezu spatzenfreie Städte. Und neulich berichtete ein Hochschullehrer aus Lodz entsetzt: „Es gibt auch hier keine Spatzen mehr!“
Eine englische Studie kam zu dem Schluß, dass der Mangel an geeigneter Nahrung zur Jungenaufzucht ein bedeutender Faktor für das Verschwinden der Haussperlinge darstellt. Naturferne Bewirtschaftung in öffentlichen Grünanlagen und Hausgärten sowie Gifteinsatz in der Landwirtschaft führen zu Insektenarmut, so dass die Jungvögel häufig verhungern. Nur erwachsene Spatzen ernähren sich vegetarisch, die Jungtiere brauchen zunächst tierisches Eiweiß. Durch den Rückgang naturnaher Flächen in der Stadt – Wiesen oder Stadtbrachen mit Wildstauden – steht aber auch den Altvögeln nur noch ein verringertes Nahrungsangebot zur Verfügung. Die fortschreitende Flächenversiegelung erlaubt ihnen zudem keine Staubbäder mehr. Und im Zuge von Fassadensanierungen werden die Wandbegrünungen entfernt. All dies führt neben dem reduzierten Brutplatzangebot dazu, dass sich der Spatz aus den Städten mehr und mehr zurückzieht.
2002 erklärte der Naturschutzbund (NABU) den gefährdeten Haussperling bereits zum „Vogel des Jahres“. Der NABU hieß anfänglich Bund für Vogelschutz und dann – gleichgeschaltet – Reichsbund für Vogelschutz (RfV). Im Zusammenhang der Autarkiebestrebungen des Reiches rief der RfV schon 1936 dazu auf, mehr Vogelfutter aus einheimischen Rohstoffen zu verwenden, um die diesbezügliche Abhängigkeit vom Ausland zu verringern. Ab 1937 fanden Obstkern-Sammelaktionen in den Schulen statt. Außerdem sollte selektiv gefüttert werden, d.h.: Die unnützen Spatzen sollten nichts abbekommen. Schon 1912 hatte der Bund für Vogelschutz die Rechte an speziellen Futterhäuschen erworben, die „Antispatz“, „Kontraspatz“ und „Spatznit“ hießen.
Mit Kriegsbeginn stellte man auch den Vogelschutz unter Kriegsbewirtschaftung: Spatzen wurden fortan aktiv bekämpft, und Spatzenfallen exklusiv über den Reichsbund vertrieben. Für die Winterfütterung mußten die Ortsgruppen im Frühjahr den voraussichtlichen Bedarf an Hanfsamen und Sonnenblumenkernen melden, die RfV-Zentrale meldete die Gesamtmenge dann an staatliche Stellen und wurde im Herbst entsprechend beliefert. Von Giengen beziehungsweise Stuttgart aus wurden dann die Gruppen beliefert, teils wurde das Winterfutter über die Ortsstellen der Volkswohlfahrt und des Winterhilfswerks verteilt – gegen Vorlage des RfV-Ausweises. Dieses Verfahren wurde bis in den letzten Kriegswinter hinein durchgehalten. Noch im Jahre 1944 wurden je 5000 Futterhäuschen und Nistkästen durch die Geschäftsstelle Giengen abgegeben.
Selbst im Februar 1945, als die Infrastruktur des Reiches weitgehend zerstört war und die Bahnkapazitäten eigentlich für Truppentransporte in Beschlag genommen wurden, verschickte der RfV Hanfsamen per Bahnfracht an seine Gruppen im noch unbesetzten Restreich. Auch an der Front und in der Etappe war der Vogelschutz eine willkommene Ablenkung von den Gräueln des Krieges. Für die deutschen Soldaten in Norwegen z.B. wurden im Auftrag des Oberkommandos der Kriegsmarine in einer Auflage von 200.000 Stück Anleitungen zum Bau von Nistkästen und ein Blatt über Futtergeräte produziert. Zahlreiche Wehrmachtsangehörige schickten Fotos von der Winterfütterung vor den Bunkern oder Nistkästen am Westwall nach Giengen. Trotz aller Vogelleidenschaft waren aber auch sie dem Spatz nicht sonderlich wohlgesonnen.
Kürzlich veröffentlichte der US-Soldat Jonathan Trouern-Trend ein Tagebuch, in dem es um seine Vogelbeobachtungen im Irak geht, u.a. werden darin mehrmals auch Spatzen erwähnt, aber nur en passant quasi: Sein dünnes Buch heißt „Birding Babylon“.
2004 fand in London die letzte sogenannte „Defra Haussperlings-Konferenz“ statt. Neben einer ganze Reihe von Ornithologen nahmen auch die zwei Sparrow-Watcher und „Private Experts“ Donald E. Lyven und Denis Summers-Smith an der Konferenz teil. Ersterer, ein Maler, betreibt eine „Sparrow-Website“, und letzterer, ein Ingenieur, veröffentlichte mehrere Bücher über Spatzen weltweit:
The „House Sparrow“ 1967
„The Sparrows: A Study of the Genus Passer“ 1988
„In Search of Sparrows“ 1992
„The Tree Sparrow“ 1995
„On Sparrows and Man: A Love-hate Relationship“ 2006
Nach der Londoner Spatzen-Konferenz veröffentlichten Lyven und Summers-Smith ihre Korrespondenz im Internet. Beide waren frustriert über die Langsamkeit, mit der die Wissenschaftler die Ursachen für das Verschwinden der Spatzen erforschen sowie auch über die lähmende Konkurrenz zwischen den englischen Natur- bzw. Vogelschutzorganisationen RSPB und BTO, die ebenfalls beide Spatzenforschung betreiben. Mister Summers-Smith vermutet, das die Vertreibung der Spatzen aus London nicht zuletzt daran liegt, dass immer mehr heckengeschützte Vorgärten zu Privatparkplätzen der Hausbewohner umgewandelt werden – und dies geschehe derart zügig, dass die Spatzen sich nicht so schnell auf die Veränderung einstellen können. Auch Mister Lyven ist der Meinung, dass die Zerstörung der Habitate von Spatzen für ihr Verschwinden verantwortlich ist. Darüberhinaus gibt er der Presse die Schuld, weil sie viel zu viel über Politiker und Sportler berichtet und viel zu wenig über Spatzen, deren Verschwinden am Beginn einer ganzen Reihe weiterer Probleme stehe, die auf unsere Städte zukomme.
In Berlin leben zwar immer noch relativ viele Spatzen, aber auch hier werden die Populationen kleiner. In Bayern und Nordrhein-Westfallen will man sie bereits auf die „Rote Liste“ der gefährdeten Arten setzen. Seit 1999 gibt es in Westdeutschland eine Gruppe von „Private Experts“, die in einem für Spatzen kommod gemachten Bauernhof Spatzenforschung betreiben: Ihre Arbeiten über „Geschichte, Leben und Alltag“ dieses Vogels veröffentlichen sie unter: www.haussperlingsforschung.de.
Im Spiegel fand sich kürzlich ein Plädoyer des englischen Biologen Kevin Gaston, der „statt seltene Arten wie den Panda lieber Allerweltsgeschöpfe wie Spatz oder Regenwurm schützen will“. Er nennt sie „Schlüsselarten“. Wenn es weniger von ihnen gibt, haben auch die spezialisierten Arten ein ernstes Problem. Dazu erforschte er die häufigsten Vogelarten in Großbritannien: Spatzen und Stare. Sie stören sich an der Veränderung ihres Ökosystems durch Menschen kaum. Dennoch sind ihre Populationen in England in den vergangenen 30 Jahren um die Hälfte geschrumpft. „In London nahm die Anzahl der Brutpaare von 1994 bis 2004 um 60 Prozent ab. In Deutschland ging der Bestand über die vergangenen Jahrzehnte, je nach Region, bis um die Hälfte zurück, in Hamburg um 85 Prozent.“ Nur in wenigen Metropolen, schreibt der Spiegel, „scheint der Spatz sich zu halten, in Berlin etwa – vermutlich weil unsanierte Altbauten und viel Grün in der Stadt ausreichend Nischen für Nester, außerdem Spinnen und Käfer für die hungrigen Nachkommen bereithalten“.
Hier lebt auch ein Spatzenexperte: der Wirt des kürzlich geschlossenen „Café Jenseits“ am Heinrichplatz in Kreuzberg – Clement de Wroblewski. Er erzählte mir: „Am Heinrichplatz fütter ich sie seit 1995 täglich. Es gibt da in der Mitte einen Baum, eine Flatterulme, die ideal für Spatzen ist, weil sie im mittleren Teil so dicht wie eine Hecke ist, und dann gab es an meinem Café bis zur Renovierung des Hauses im vergangenen Jahr auch noch eine Rankpflanze, ein Knöterich – in dem sie sich ebenfalls gerne aufhielten. Meine Freundin Katrin und ich, wir wohnen in Schöneweide und da erforsche ich nun die Spatzen seit 2005 systematisch. Ich habe da einen großen Futterplatz für sie gebaut, aber nicht nur für sie, auch für Elstern, Grünfinken und mehrere Meisenarten. Die Elstern kriegen Katzenfutter und die Spatzen Hirsekolben von mir.“
Dem Spatzenschwarm bei Wroblewski schloss sich einmal ein entflohener Kanarienvogel an, bei einem anderen Schwarm war es ein Wellensittich. Bei uns zu Hause schloss sich umgekehrt ein Spatz einem kleinen Schwarm von Webervögeln an, die mit Sperlingen verwandt sind. Ich hatte ihn gefangen, weil er alt und Asthmakrank war und nur noch bis Kniehöhe hochfliegen konnte, und das auch nur noch kurze Strecken. Als ich ihn nach vier Jahren freiließ, hatte das gute Exotenfutter und die warme Wohnung sein Asthma anscheinend kuriert. Spatzen können in Gefangenschaft angeblich bis zu 15 Jahre alt werden.
„Je mehr die Spatzen gefüttert werden und je mehr sie einer stabilen Ernährungssituation vertrauen, desto öfter brüten sie im Jahr“, hat Wroblewski festgestellt. „In Schöneweide kommen jetzt – im Frühjahr – 8 bis 10 Spatzen, im Herbst sind es rund 80. Am Heinrichplatz fängt es auch mit 8 bis 10 Vögeln an, zum Schluß sind es 40 bis 50. Hier wie dort haben sie ihre festen Zeiten: In Schöneweide streue ich schon nachts Sonnenblumenkerne. Um 15 Uhr ist die zweite Fütterung – da warten sie bereits ungeduldig. Am Heinrichplatz sahen sie mich schon, wenn ich aus dem Auto stieg. Auf 16 Uhr 45, haben wir uns geeinigt, kam ich, um sie da zu füttern. Aber bereits um 10 Uhr tapperten sie in das Café, um zu kucken, ob es nicht schon was gibt. Abends, bis zum Einbruch der Dunkelheit, kamen sie dann auch noch mal rein und kuckten. In Spanien, wo wir ein Haus haben, sind die Spatzen scheuer als hier, sie nehmen dort auch kein Futter an und bilden kleinere Gruppen“.
Ähnliches gilt auch für Frankreich und Italien, wo auf dem Land fast jeder jagt und Singvögel gerne gegessen werden. Der Spatzenforscher Wroblewski fragte sich: Wann kommen die Spatzen morgens an? Man weiß: Die Erde rotiert rechtläufig – in Richtung Osten – in 23 Stunden, 56 Minuten und 4,09 Sekunden relativ zu den Fixsternen ein mal um ihre eigene Achse. Man spricht dabei von einem siderischen Tag. Dem gegenüber ist der Sonnentag (und dessen mittlerer Wert, der bürgerliche Tag), d.h. die Zeitspanne, mit der die Erde um die Sonne rotiert, rund vier Minuten länger. Die Spatzen folgen nicht dem siderischen Tag, dadurch verrückt sich ihre morgendliche Ankunft von Tag zu Tag. Sie schicken zunächst einen Späher/Wächter los und der fliegt dann wieder zu ihnen zurück, danach kommt der Rest des Schwarms.
„Ich habe die Zeit immer nach dem Wächter bemessen – und der kommt täglich vier bis fünf Minuten früher zum Platz, wo ich die Spatzen füttere. Ihr Verhalten richtet sich nach der Erdrotation – dem ‚bürgerlichen Tag‘. Es wird nicht vom tatsächlichen Sonnenstand beeinflußt. Der Tag wird dadurch für sie länger – als unser siderischer. Sie kommen also immer früher – bis zur Sommersonnenwende. Danach kommen sie später. Das ist das eigentlich Problematische. Bei meinen Spatzen Zuhause werde ich 2010 Präzisionsmessungen vornehmen, und dabei auch die Schwankungen der Erdachse in Rechung stellen. Bis jetzt waren ‚meine‘ Spatzen aber noch nicht wieder da. Keine Ahnung, wo sie im Winter abgeblieben sind.“
Während Wroblewski meint, dass sie im Winter gar nicht groß rumfliegen, um Futter zu suchen, weil das zu energieaufwendig ist, („viele Spatzen gehen im Winter ein, sie müssen sich unglaublich kümmern.“) gehen andere Berliner Spatzenbeobachter davon aus, das sie in den Gartensiedlungen rund um Berlin überwintern, wo es noch viele immergrüne Hecken, Bäume und Rankgewächse in den Gärten gibt und sie außerdem mehr als in den Innenstadtbereichen gefüttert werden. Alfred Brehm schrieb: „Im Winter bereiten sie sich förmliche Betten, weich und warm ausgefütterte Nester nämlich, in denen sie sich verkriechen, um gegen die Kälte sich zu schützen. Zu gleichem Zwecke wählen sich andere Schornsteine zur Nachtherberge, ganz unbekümmert darum, daß der Rauch ihr Gefieder berußt und schwärzt.“
In Ungarn untersuchten die Biologen András Liker und Veronika Bókony kürzlich die Verhaltensunterschiede von Stadt- und Land-Spatzen – anhand von 56 gefangenen „wilden Haussperlingen“, mit denen sie einige Intelligenz-Experimente anstellten. Die Stadt-Spatzen schnitten dabei besser ab als die Land-Spatzen. Die Wissenschaftler vermuten, weil die in der Stadt lebenden Vögel häufiger Situationen ausgesetzt sind, die ihnen neue Strategien zur Problemlösung abverlangen. Das ähnelt einer Bemerkung von Alfred Brehm – über den Feldsperling: „weil ihm der innige Umgang mit den Menschen mangelt und Gelegenheit zur Ausbildung fehlt, ist er nicht so klug als dieser.“ Die beiden ungarischen Spatzenforscher stellten außerdem fest, dass Spatzen in größeren Gemeinschaften gewitzter als in kleinen sind. „Sie lösen im Schwarm neue Herausforderungen wesentlich schneller als in Kleingruppen“. Und dann gibt es noch ein ähnliches Experiment von Biologen der University of Nevada: Dazu nahmen sie zehn Tage alte Singvögel aus Alaska und aus Kansas, ließen sie gleich aufwachsen und unterzogen sie dann verschiedenen Lerntests, dabei meinten sie festzustellen, „dass Tiere, die in rauem Klima leben, oft klüger sind als ihre Artgenossen aus gemäßigten Breiten,“ wie der Spiegel berichtete.
Bei einer englischen Spatzenunterart kommt es vor, dass das Weibchen sich zwei Männchen nimmt – einen fest und einen quasi als Liebhaber, dessen Samen stößt sie jedoch nach kurzer Begattung und mit Hilfe des anderen Männchens wieder aus, so dass er nur Vater von höchstens ein bis zwei Jungen wird. Die Experten, unter ihnen David Attenborough, sind sich noch unsicher, welcher Art von Herausforderung sie mit dieser seltsamen Dreierbeziehung begegnen. Zum Problem der Bildung einer neuen Art bzw. einer Unter- oder Schwesternart führte der Berliner Biologe Cord Riechelmann 2008 in einem Seminar der Kulturwissenschaftler an der Humboldt-Universität aus, das dies durch den Gesang geschehe: Der Gesang – der Stare z.B. – wird innerhalb einer Schar weiterentwickelt, wobei die Vögel Geräusche ihrer Umgebung mit „verarbeiten“. Zieht nun ein Teil des Schwarms sagen wir von Ljubljana nach Klagenfurt, dann entwickeln sich die Gesänge der Dagebliebenen und der Weggeflogenen auseinander – bis sie sich nicht mehr verstehen und dann auch nicht mehr paaren können. Das ist z.B. bei den Nachtigallen auf der Westseite der Oder und den Sprossern auf der Ostseite der Fall, die sich zwar gelegentlich paaren – aber es kommt nichts mehr oder noch nichts dabei raus. Mindestens Menschen und Singvögeln geht es in der Abtrennung, im Exil, im Ausland, also ähnlich: Ihre „Sprache“ beginnt sich zu unterscheiden. Und zu den Singvögeln gehört auch der Spatz, wiewohl er laut Alfred Brehm „ein unerträglicher Schwätzer und erbärmlicher Sänger ist“.
Auf „Chemie Online“ wird der angehende Naturwissenschaftler mit folgenden prüfungsrelevanten Fragen konfrontiert:
1. „In Europa kommen Haussperling (Passer domesticus) und Feldsperling (Passer montanus) nebeneinander vor. Seit einiger Zeit ist bekannt, dass der Feldsperling ursprünglich aus China stammt. Nach dem Ende der letzten Eiszeit hat er über Sibirien in weniger als zehntausend Jahren Europa besiedelt. Hier traf er auf den bereits ansässigen Haussperling. Eine Bastardierung von Haus- und Feldsperling ist bisher noch nicht beobachtet worden. – Erklären und begründen Sie diese Beobachtung aus evolutionsbiologischer Sicht.“
2. „Am 24. April 1870 ließ ein Vogelhändler 20 Feldsperlinge, die aus Deutschland stammten, im Lafayette Park in St. Louis im amerikanischen Bundesstaat Missouri frei. Erst nahm diese kleine Population in und um St. Louis zu, dann breitete sich der Feldsperling rasch nordwärts aus. In den vierziger Jahren erreichte er bereits Illinois. Mittlerweile sind seine Bestände in einem Verbreitungsgebiet von rund 20.000 Quadratkilometer auf ca. 150 000 Tiere angewachsen. – Geben Sie plausible Erklärungen für die schnelle Ausbreitung des Feldsperlings sowohl in Europa als auch in Amerika. Ordnen Sie diese 20 freigelassenen Feldsperlinge evolutionsbiologisch ein und charakterisieren Sie eine derartige Population. Erläutern Sie außerdem begründend, welche Unterschiede bei den Nachkommen dieser amerikanischen Population und der europäischen Population hinsichtlich der genetischen Vielfalt möglicherweise zu erwarten sind.“
All die hier erwähnten Spatzenfragen und -forschungen haben dies gemein, dass sie sich mit der Art befassen – mit Populationen und nicht mit Individuen. Die Ameisenforscher Hölldobler und Wilson unterscheiden zwei Arten von Wissenschaftler: Die Theoretiker interessieren sich für eine bestimmte Frage und suchen dann nach dem Organismus, mit dem diese sich am Besten beantworten läßt. Die Genetiker wählen z.B. Fruchtfliegen und die Psychologen Ratten. Für Fruchtfliegen oder Ratten an sich interessieren sie sich nicht. Die Naturforscher hingegen interessieren sich für eine bestimmte Kategorie von Tieren um ihrer selbst willen. Zu diesen zählt z.B. der holländische Primatenforscher Frans de Waal. Er ist der Meinung, „dass jedes Tier seine eigene Geschichte zu erzählen hat und diese sich auch als theoretisch interessant erweisen wird, wenn man das Tier nur gründlich genug studiert hat“.
Im Vorwort zur ersten Auflage seiner „Allgemeinen Kunde des Thierreichs“ schrieb Alfred Brehm: „Unser reiches Schriftthum besitzt viele thierkundliche Werke von anerkannter Trefflichkeit, aber wenige, in denen die Lebenskunde der Thiere ausführlich behandelt ist. Man begnügt sich, zumal in den oberen Klassen, mit einer möglichst sorgfältigen Beschreibung des äußeren und inneren Thierleibes, ja, man gibt sich zuweilen den Anschein, als halte man es für unvereinbar mit der Wissenschaftlichkeit, dem Leben und Treiben der Thiere mehr Zeit und Raum zu gönnen als erforderlich, um zu beweisen, daß der in Rede stehende Gegenstand ein lebendiges, d.h. nicht bloß ein fühlendes und bewegungsfähiges, sondern auch ein handelndes und wirkendes Wesen ist. Die Ursachen dieses ebenso ungerechtfertigten wie einseitigen Verfahrens sind unschwer zu erkennen. Unsere Meister der Thierkunde zieren die Hochschulen oder wirken an den öffentlichen Sammlungen. Hier haben sie eine für die Zergliederungs- und Systemkunde verlockende Menge von Stoff zur Verfügung, und wenn sie diesen Stoff wirklich bewältigen wollen, bleibt ihnen zur Beobachtung des Lebens der Thiere keine Zeit – ganz abgesehen davon, daß zu solcher Beobachtung ein Jäger- und Wanderleben eine der ersten Bedingungen ist.
Wir danken gedachten Forschern überaus wichtige Aufschlüsse über den äußeren und inneren Bau des Thierleibes, und hierdurch Erklärung gewisser Lebensäußerungen; wir sehen in ihnen immer die das Ganze überblickenden und ordnenden Meister der Wissenschaft und sind geneigt, die jagenden und sammelnden Reisenden jenen gegenüber als Gehülfen und Handlanger zu betrachten, obgleich wir uns nicht verhehlen können, daß nur sie es sind, welche uns mit dem ganzen Thiere bekannt machen. Denn erst das lebende Thier ist ein »fühlendes und bewegungsfähiges« Wesen: das todte, ausgestopfte, in Weingeist aufbewahrte ist und bleibt immer nur ein Gegenstand. Die Reisenden und die unsere Fluren jagend durchstreifenden Forscher also sind es, von denen wir Schilderungen des Thierlebens fordern müssen und fordern dürfen. Ihnen ist die Aufgabe geworden, vor allem das lebende Thier ins Auge zu fassen; für die wissenschaftliche Behandlung des todten Thieres finden sich andere Kräfte: denn auch für das ersprießliche Gedeihen der Thierkunde ist Theilung der Arbeit unerläßliche Bedingung. Solche Ansichten haben mich bestimmt, das vorliegende Buch zu schreiben. Durch Lehre und Vorbild meines unvergeßlichen Vaters bin ich von Jugend auf zur eigenen Beobachtung der Thiere veranlaßt worden und habe hierzu später, während langjährigen Wanderlebens im Norden und Süden sowie in meinem späteren Wirkungskreise, manche Gelegenheit gefunden, die vielen anderen verschlossen blieb. Dessenungeachtet hielt ich meine Beobachtungen allein zu einer Veröffentlichung nicht für wichtig genug und glaubte deshalb, sie mit den Erfahrungen anderer verschmelzen zu müssen. Hierdurch mußte die Arbeit das Gepräge einer allgemeinen Thierkunde erhalten, und da diese Allgemeinheit nun einmal angebahnt, beschloß ich, den ursprünglichen Plan so zu erweitern, wie er jetzt in der Ausführung vorliegt.“
Ähnlich sah das auch Konrad Lorenz – bei seiner ethologischen Forschung vor allem an Gänsen und Dohlen. Der Schriftsteller Marcel Beyer schreibt in seinem Buch über Konrad Lorenz, das „Kaltenburg“ heißt: Er habe „von der Vorstellung nie ganz gelassen, man müsse jeden einzelnen Vogel persönlich kennenlernen, wenn man etwas über die Eigenart des jeweiligen Tieres in Erfahrung bringen will.“ Konrad Lorenz‘ Berichte und Erzählungen z.B. über seine Gans „Martina“ machten ihn berühmt. Der Bayrische Rundfunk kam nun jedoch in einer Sendung über ihn und seine Forschung zu einem ähnlich dummen Urteil über Konrad Lorenz wie Wikipedia über Alfred Brehm: „Seine Beobachtungen sind zwar akribisch, aber häufig nur an einzelnen Tieren gewonnen. Dergleichen gilt heute als nahezu wertlos, weil sich solche Beobachtungen statistischen Berechnungsverfahren entziehen.“ Dieser Wertewandel hat etwas mit der jüngst erfolgten Dominanz der genetisch ausgerichteten Biologie als Leitwissenschaft und ihrer gleichzeitigen Amerikanisierung zu tun. Wenn es gilt, beim „Anderen“ zwischen Essenz und Existenz zu unterscheiden, sollte man sich immer für die Freiheit, d.h. für die Existenz entscheiden. Die Genetiker, Pharmakonzerne und Agrarindustrien müssen sich dagegen stets für das Gegenteil stark machen. Das „amerikanische Denken“ (ein Pleonasmus am Ende?) verlegt nur allzu gerne die Essenz in die Existenz.
Gerade umgekehrt – und das konsequenter als die meisten Ethologen – verfahren die Nicht-Experten u.a. in den Internet-Tierforen. Im Folgenden möchte ich deswegen eine wochenlange Diskussion einiger junger Frauen im „Vogel-Portal Forum“ zusammenfassen. Man könnte hierbei von einem „Mail-Roman“ sprechen :
Zora: „Hallo! Seit einer halben Stunde bin ich Spatzen-Amme. Bei uns im Garten brüten Spatzen am/im Hausdach. Man kommt auf keinen Fall hin, um das Junge wieder reinzulegen. Es ist wirklich nicht möglich. Meine Untermieter haben es heute morgen auf dem Boden gefunden. Haben es in ein Körbchen mit Heu gesetzt, und unten auf den Boden gestellt. Leider konnten sie nicht beobachten, dass da Spatzen kamen und fütterten. Es hat seit heute morgen dann leider nur 3 Würmchen (Größe ca. 1 cm) bekommen. Habe ihm nun grad innerhalb der halben Stunde gleich nochmals einiges nachgefüttert. Dürften jetzt nochmals gut 5 cm Wurm gewesen sein. Es sperrt gut, und ein paar Tropfen Wasser per Pipette hat es auch bekommen. Einen ‚Klecks‘ hats auch gemacht, günstigerweise als ich es grad umsetzte, der Kot sieht sehr gut aus. Alles drin, was drin sein muss (also bisschen Wasser, bisschen Weiß, und der Kotstrang ein schönes Würstchen in der Farbe dunkeloliv, würd ich mal sagen). Frage: Was ausser Würmer kann ich füttern? Wieviel cm Wurm braucht es am Tag? Was für Körnchen könnte ich anbieten? Eingeweicht oder gemahlen, und dann gequollen? Was muss ich sonst noch beachten für die nächsten Tage? etc.. Brauche wie immer eure Hilfe bei solchen Sachen. Wünscht mir bzw. dem kleinen Spatz Glück…“
Shiva: „Hallo Cora! kannst mich gerne anrufen,auch jetzt noch! Habe auch Spatzen hier. Zur Not heute Abend: hartgekochtes Ei, zerdrückt mit Haferflocken vermischt,feucht machen,eventuell mit Quark anreichern.Das müßte bis morgen reichen.Und schau vielleicht in der ‚Wildvogelhilfe org‘ nach,da steht was über die Aufzucht von Spatzen. Halt ihn bitte auch warm, die Kleinen haben noch keine eigene Körperwärme und er erfriert Dir bei 20 Grad! Am besten Wärmflasche in ein Handtuch gewickelt oder Heizkissen und Körnerkissen drauf. Das Heizkissen hält das Körnerkissen warm,geht ganz gut.Viel Glück und melde Dich ruhig, ich muß eh bis 24 Uhr aufbleiben.“
Zora: „Ich habe gestern Abend schon den Mann vom Nabu angeschrieben, ob er jemanden kennt, der vielleicht auch kleine Spatzen hat… aber er hat sich leider noch nicht gemeldet. Mir tut das Spätzchen schon arg leid, dass es so allein ist. Nun ja, ich werd mein Bestes geben. Ein Glück hab ich ja Urlaub – sonst wüsste ich nicht weiter. Daumen drücken also bitte weiter erwünscht.“
Darksilvergirl: „also grünen kot kannte ich nicht. schwarz und weiss mit leichtem gelbton war mir bekannt. allerdings bekam der spatz, den ich zuletzt gesehen hatte, meines wissens nur drohnen, heimchen und beoperlen. aber ein foto vom Kot wäre sicher gut.“
Bubo: „Hallo Cora, Dein erstes Bild habe ich mal ausgedruckt und unserer besten Füchsin von allen unter die Augen gehalten – an den Rechner kommt sie in letzter Zeit fast nie. Sie meinte, das Alter auf etwa eine Woche schätzen zu können. Aussehen tut er normal, die Irokesenfrisur ist auch völlig ok in dem Alter.
Zora: „Ich hab in meinem Kalender einfach mal den Aufnahmetag als 6. Tag deklariert, und wäre demnach heute beim 8. Bis jetzt sieht ja also alles noch gut aus, ich hoffe, ich schaffe das bis zum ‚vollendeten‘ Spatz, der in Freiheit in unserem Garten leben kann. Ach ja, ich hab jetzt auch mal zwischendurch kleine Fliegen-Maden abgekocht gegeben – also ganz sicher tot. Ich hoffe, dass es dennoch eine gute Eiweißbombe ist. Danke also derweil fürs Helfen/beurteilen, etc…“
Elch: „Zu dem Spatzenköttel. Nein, der gefällt mir nicht. Zu wässrig, zu lang. Meines Erachtens hat sich der Kleine doch eine leichte Darmentzündung eingefangen. Nestlingskot ist normalerweise rund, in eine recht feste Hülle verpackt. Cora, gib ihm mal ordentlich Bird-Bene Bac zum Futter und wenn das nicht zum Nestlings-Beutel-Kot führt, wäre wohl doch Ambitab angesagt.“
Zora: „Ohwe, da hab ich ja was angestellt mit den Würmern. Diese Laktobazillen, die ich im Insekten/Eifutterbrei drin hab, sind so was wie Bird Bene Bac, es heißt PT-12. Das bekommt er also fast den ganzen Tag.“
Noch mal Zora: „So, von vor 20 Minuten ein neuer Haufen. Das 2. Bild zum Größenvergleich, der Teller ist ne Kaffeeuntertasse. Ich geb jetzt noch bei jeder Fütterung eine kleine Menge von den Laktos zusätzlich. Ansonsten unverändertes Verhalten – fit, bettelt, sperrt und frißt prima, kackt bei jeder Fütterung. Und hier nochmal 2 Bilder, Vergleich Vorgestern und Heute.“
Darksilvergirl: „hm nein sieht net gut aus die kacke. rund und sehr hell mit leichter farbe je nach fütterung wäre richtig. und ist immer noch zu viel flüssigkeit dabei.“
Shiva: „Sieht aber selbst gut aus, der Kleine! Kannst ihn ruhig verwöhnen, wie Elli schon schrieb,die werden in der regel später wieder zu ‚Faß mich bloß nicht an‘-Vögeln! Aber in dieser Phase kuscheln die gerne .Meine einzelnen Spatzen hatten immer ein kleines Kuscheltier mit drin ,und sie lieben es am Abend zugedeckt zu sein,ein weiches dünneres Tuch zum Beispiel in das man sich schön einkuscheln kann. Das wird schon ,Du machst das ganz gut. Die Fütterungsabstände, ja, in etwa eine Stunde.Wieviel fütterst Du denn pro Mahlzeit? An der Seite am Hals siehst Du doch den Kropf, oder? Da kannst Du sehen wie voll er ist. Meine Spatzen fressen fast immer bis sie fast platzen,da muß ich regulieren! Ich denke bei Deinem so 3-5 Beoperlen je nach Größe und ein paar Ameiseneier braucht er.Haben will er bestimmt mehr.“
Bell: „Der Kot auf dem letzten Bild, sieht ja schon ziemlich perfekt ‚verpackt‘ aus. Freu mich, daß Dein Spatzenkind wächst und gedeiht. Ich hatte leider nie das Glück, daß meine Fundvögelchen 2 Tage überlebten.“
Pandion: „Hallo Zora, zu den Heimchen, die du bestellt hast: wenn es große Heimchen sind, schneide den Kopf ab und die langen Sprungbeine. Ich würde die Heimchen aber nicht einfrieren, denn so neu gekaufte sind meist vom Nährwert her nicht viel wert. Das beste ist, wenn Du die Heimchen noch fütterst. Mit Haferflocken und Löwenzahn. Das steigert ihren Nährwert. Weiterhin viel Glück Euch beiden! Du machst das richtig gut!
Zora: „wie ich sowas hasse – Kopf und Beine abschneiden… iiiihgitt. Zu allem Unglück ist mir der Spatz nun auch noch verunfallt. Ist so zappelig und wuselig, dass er mir aus der Hand gefallen ist, zwar ’nur‘ so 30 cm tief, aber dennoch. er schont ein Beinchen etwa. Ich hoffe, das wird schnell wieder. Mensch, ist das aber auch was, mit so einem Tierchen.“
Bell: „Och ist der knuffig! Mit dem planschen wird es bestimmt nicht mehr lange dauern. Der Spatz, den ich mal hatte (vor Fensterscheibe geflogen) hat es gern getan, natürlich nicht ohne eine Riesenschweinerei dabei zu veranstalten.“
Zora: Heute hab ich das Spatzen-Übergangswohnheim eingerichtet. Der Kleine trainiert schon immer wieder seine Flugmuskulatur, und ich denke, er hebt bald mal ab. Er hat heute auch bereits einige wenige Körnchen (bzw. Eifutterkrümel) selbst gepickt, als ich ihm die Schale ganz nah rangehalten hab. Natürlich reicht das noch lange nicht zum Sattwerden, aber ein Anfang vielleicht.“
Shiva: „Verhungern wird er nicht in der Zeit, wo Du nicht da bist, da er ja schon selber was nimmt. Er verhungert ja auch nachts nicht, oder? Wasser reicht auch, wenn Du kommst,eine Wasserschale ihm in deiner Abwesenheit hin zu stellen, würde ich nicht riskieren, er könnte baden, zu naß werden und sich nicht wärmen können oder gar ertrinken. Ist mir mal mit Schwalben passiert, mache mir heute noch Vorwürfe, ich hätte nie gedacht das man in so flachem Wasser ertrinken kann.“
Zora: „Also, der Spatz hat den gestrigen Tag scheinbar bestens überstanden. Er fliegt heute schon ziemlich munter umher, manchmal nicht gaaaanz so koordiniert, aber das wird wohl nun schnell kommen. Sobald er ein bisschen Kondition und etwas mehr Geschick beim Fliegen zeigt, werd ich den Käfig auf dem Balkon platzieren. Aber dafür muss er halt schon ein gutes Stück fliegen können, weil ich ja im ersten Stock bin, und er sollte ja schon wieder hochkommen, wenn er runter in den Garten fliegt. Bis dahin wirds dann wohl auch immer besser mit dem alleine Fressen klappen, hoffe ich.“
Shiva: „Ich würde auf jedem fall warten bis er absolut futterfest ist, wär doch schade wenn er den Weg auf deinen Balkon nicht mehr findet und dann nicht richtig fressen kann, bzw. nichts suchen kann.“
Elch: „Cora, auswildern dann, wenn er gut fliegen und sicher landen kann, vollständig alleine frißt ( er wird dann nicht mehr sperren) und wenn er die Liebe zum Menschen verliert (für mich immer ein Horror, so ein Vögelchen fliegt irgendein Kind an, ‚ach wie süß‘, das es dann in einen Käfig sperrt). Eines hab ich noch vergessen: Das Gefieder muß so gut sein, dass er nach dem Baden noch in der Lage ist, aufzufliegen.“
Noch mal Elch: „Es gibt massive Unterschiede bei der Entwicklung der Jungtiere. Und jetzt mußt du davon ausgehen, dass ‚deiner‘ ja aus dem Nest gefallen war (oder wegen Entwicklungsrückstand von den Alten rausgeschmissen?). Halt dir bitte vor Augen, dass die, die wir finden meist nicht die gesunden und fitten sind, sondern die Kümmerlinge oder welche mit einem Problem. Das wird schon, gib ihm Zeit“!
Zora: „Schon wieder einen Fortschritt zu verbuchen: Heute zum ersten mal beobachtet, dass Spatz erst ein Sandbad, und kurz darauf auch ein kurzes Wasserbad nahm.“
Elch: „Liebe besorgte Spatzenmutter! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch das verpimpeltste Spatzenkind die Sprache der anderen Spatzen auf Anhieb versteht. Und wenn die Warnlaute von sich gaben, machte sich selbst ein Spatzenkind, das im Vogelzimmer vor niemandem, und sei er noch so groß Angst hatte, flach wie eine Flunder, Alarmbereitschaft im Blick.“
Zora: „Das beruhigt mich doch dann ungemein. Er sitzt auch oft am Fenster und guckt.“
Noch mal Zora: Bis heute hatte ich einen Spatz. Der entwischte mir, als ich mich durch die Balkontür dängte, ich war natürlich aufgeregt und besorgt um ihn. Schaute ständig, rief jedem Spatz (von Weitem sehen sie sich teilweise ja doch recht ähnlich) hinterher. Und tatsächlich, nach einer Stunde oder so schoss der Spatz wieder auf den Apfelbaum nebenan. Er knusperte an Blättern und Rinde, putzte sich und war scheinbar froh. Ich nicht. Er kam dann auch mal rübergeflogen, nahm eine Fliege von mir, aber sowie ich mich Richtung Balkontür bewegte war er fort. Ich schaute wieder und rief, und er kam auch nochmal in den Apfelbaum, auf den Schuppen nebenan, aber dann flog er wieder fort. Nach einigen Stunden beschloss ich, den Käfig ‚außen-gerecht‘ umzugestalten und mit Futter draussen am Balkon hinzustellen. Ich befürchtete dann aber schon (inzwischen fast 6 uhr abends) dass der Spatz nicht mehr herkommen würde. Dann klingelte das Telefon, meine Schwester war dran. Sie wohnt Luftlinie so ca. 300 m weit weg, über einige Häuserreihen, die Hauptstrasse und einer kleinen Senke hinweg. Sie fragte, wie es meinem Spatz ginge, und ich erzählte es ihr. Da meint sie: „Der war bei mir. Ich: „Hä??? Ja, der flog sie an und sass noch kurz auf ihrer Terasse, pickte dort an den weissen Johannesbeeren rum. Dann flog er wieder fort. Ich machte mir natürlich Sorgen, wegen so einer Zutraulichkeit! Das hätte ich nicht erwartet. Sie meinte, das läge sicher daran, dass wir uns sehr ähnlich sehen (wollte mich halt beruhigen). Nach einer halben Stunde noch ein Anruf: ‚Ich glaub, es ist besser, du holst ihn wieder,‘ sagte sie. Er liesse sich von meinem siebenjährigen Neffen füttern und hockte allen auf den Schultern. Ich gleich rüber, habe ihn auch schnell eingefangen, und wieder mit zu mir genommen.“
Elch: „Das gibt mir aber jetzt zu denken! Habe vor Jahren mal Hänflinge im Freiflug gehabt, die noch nicht menschenentwöhnt waren. Drei tobten im Garten herum, einer war weg. Da klingelte nach einer geraumen Zeit das Telefon und meine Freundin meinte, es sei ein ‚Alien‘ in ihrer Küche, ich solle mal gucken kommen. Hänfling, er hatte sie im Garten entdeckt, ist zu ihr hin, ließ sich in die Küche tragen. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob er sie nicht erkannt hat, denn sie war oft dabei, wenn die Vögel versorgt wurden, die Stimme kannte er, das Aussehen. Ob die wirklich ein Personengedächtnis haben?
Tine: Hallo Zora, auch wenn ich wenig zu Deinem Spatzenkind gepostet habe (habe leider keine Ahnung von Spatzenkind-Aufzucht), so verfolge ich Deinen Bericht doch aufmerksam – Danke für die detailierte Berichterstattung. Du hast das toll hinbekommen!“
Zora: Spätzchen ade, scheiden tut weh – dachte ich heute morgen, als ich dem Spätzchen ein paar aufgetaute Maden kredenzte, und bei dieser Gelegenheit einfach die Käfigtür offen stehen ließ. Später, ich ging eben mal ins Wohnzimmer, und von dort aus sah ich Spätzchen fressen – draußen auf dem Balkontisch. Zusammen mit einem Spatzenmännchen. Beide waren beim nächsten mal gucken wieder weg. Ich hoffe auf ein Happy-End und wünsche ‚meinem‘ Spatz alles Gute.
Shiva: „hast Du wirklich gut gemacht,Zora! Wünsche deinem Spätzchen auch alles Gute. Und laß Dir sagen,beim nächsten Päppelkind regt man sich nicht mehr so auf. Ist wie im richtigen Leben ,die ersten werden überbehütet,beim zweiten geht es dann schon besser. Na klar, Sorgen macht man sich schon, ob sie es schaffen aber nicht mehr so panisch wie beim ersten.Und wo mal einer angedockt ist kommen unweigerlich welche nach.“
Zora: „Also, wo er übernachtet weiss ich nicht. Aber tags kommt er jedenfalls ab und an zum fressen und auch nach wie vor mal eine kurze Ruhepause im Käfig legt er ein. Bin doch jedesmal sehr froh, wenn ich ihn sehe.Wenn ich jetzt bei dem schönen Wetter mal ne Weile aufm Balkon liege, dann hat der nix Besseres zu tun als sich daneben aufm Tisch breit zu machen und zu dösen. Legt sich wirklich auf den Bauch, senkt die Lider und ruht sich aus.“
Noch mal Zora: „Also, ich hab ihn die letzten Tage nicht mehr gesehen. Aber ich war auch nicht so viel am Balkon draussen, wie zuvor. Ich hoffe nun, dass es ihm gut geht, und dass er irgendwo Anschluß gefunden hat und gesund und munter ist. So, und nun war ich ja noch vor kurzem etwas verunsichert, weil er ja immer noch so viel da gewesen ist. Und jetzt? Jetzt wäre ich natürlich schon sehr froh, wenn er sich mal blicken lassen würde, damit ich weiss, dass ihm nichts passiert ist :an: Man kanns mir wohl nicht recht machen. Viel Glück Spatz.“
Das wünschen die anderen Forumsteilnehmerinnen dem Spatz ebenfalls – und damit endet ihre Diskussion, die ich hier um Zweidrittel gekürzt wiedergegeben habe.
In den Sechzigerjahren zog ich auch einmal einen Spatz groß, der aus dem Nest gefallen war. Ich hatte keine Ahnung vom Füttern eines solchen Jungvogels, aber meine Eltern halfen mir – wir probierten einfach alles aus. Und er entwickelte sich gut. Im Sommer kam er mit aufs Land. Und dort mauserte er sich zu unserem interessantesten Haustier. Bei Spaziergängen im Wald flog er voraus, landete aber immer wieder auf der einen oder anderen Schulter und erzählte uns von da aus alles mögliche. Er unterhielt sich gerne mit uns. Im Haus stürzte er sich auf den Frühstückstisch, landete dabei auch mal im Honig und in der Marmelade – und mußte jedesmal mühsam gewaschen werden. Auch stürzte er sich gerne auf den in der Sonne liegenden Dackel und zupfte ihm graue Haare aus dem Fell. Mittags schlief er bei meinem Vater zwischen Schulter und Wange. Einmal schlüpfte er nachts unter den Bauch des Meerschweinchens, das ihm daraufhin gedankenverloren die Flugfedern anknabberte. Der Spatz, den wir Benjamin nannten, konnte fortan nur noch schlecht fliegen, er blieb aber fröhlich und unternehmungslustig und begleitete uns z.B. einfach zu Fuß auf unseren Spaziergängen. Am Liebsten fuhr er im Auto mit, wobei er sich auf die Rückenlehne des Fahrers setzte und sich auf den Verkehr konzentrierte.
Monatelang erzählten wir anderen Leuten nur noch Geschichten, in denen er die Hauptrolle spielte. Und er dachte sich auch fast täglich neue Aktivitäten aus, die uns begeisterten, auch wenn sie aus seiner Sicht schief gingen. Schon bald war er unser beliebtestes Familienmitglied. Wenn einer von uns nach Hause kam, war seine erste Frage: „Wo ist Benjamin?“ Wir kamen zu der Überzeugung, dass er sich als Mensch begriff, Vögel ließen ihn anscheinend kalt, und der Größenunterschied zwischen sich und uns schien ihm nichts aus zu machen. Als er starb, der Hund hatte im Halbschlaf um sich geschnappt und ihn aus Versehen dabei mit den Zähnen erwischt, trauerten wir wochenlang um den Spatz, auch der Hund. Er wurde in unserem Familiengrab auf dem Grundstück beerdigt. Er hieß wie gesagt Benjamin.
Umgekehrt nennt man hierzulande einen Menschen, den man liebt und die Schwaben ihre Lieblingsspeise Spatz, und viele Leute heißen hierzulande Spatz mit Nachnamen. Die Spatzen haben allerdings regional unterschiedliche Namen: Im Niederdeutschen nennt man sie Lüning oder Lunk. Zwischen Münster und Köln Möschen oder Müsch(e). Im südlichen Rheinland Spa(a)r oder Sparn. In Bayern Sper(c)k oder Sperl. Im Frankenwald Spatz. Und in Dresden (wo der sächsische König zugleich auch polnischer König war) Robel oder Wrobel.
Der Spatzenforscher Wroblewski (sic) hat Einwohnerbücher von 1920 bis 1930 nach der Häufigkeit des Personennamens Spatz durchforstet: Mit dem Namen Sperlich/Sperling gab es damals in Berlin 351 Personen, in Wien 36, in Hamburg 49 und in München 12. Auf Sperl hörten in Berlin 11, in Wien 126 und in München 39 Personen. Spatz/Spatze hießen in Berlin damals 10, in Wien 45 und in München 26 Einwohner. Und Spa(a)r(r) oder Spahr hießen in Berlin 16, in Hamburg 10 und in München 4 Familien. Den Namen Lühning bzw. Lünin(e)k schließlich gab es in Berlin im fraglichen Zeitraum 12 mal und in Hamburg 18 mal.
Diese Namen für Spatzen und Menschen deuten bereits auf ein langes und enges Zusammenleben zwischen ihnen hin. Laut Alfred Brehm resultierte daraus für diese Vögel eine „ungemein hohe geistige Bildung. Sind sind Weltbürger. Wer die Sperlingsvögel insgemein zu den hochbegabten Gliedern ihrere Klasse zählt, gewährt ihnen nicht mehr als Recht. Dem großen Gehirne entspricht der scharfe Verstand, das tiefe Gemüth, die Lebendigkeit des Wesens, welche Eigenschaften der großen Mehrzahl aller Sperlingsvögel zugesprochen werden müssen. Wer sie kennt, wird sie gewiß nicht geistesarm schelten, er müßte denn die Beweise des Gegentheils, welche sie tagtäglich geben, nicht gelten lassen wollen. Die meisten von ihnen sind allerdings gutmüthige und vertrauensselige Vogel, welche falsche Beurtheilung wohl möglich erscheinen lassen; alle aber bekunden bei entsprechender Gelegenheit volles Verständnis für maßgebende Verhältnisse. Sie lernen ihre Feinde kennen und würdigen, Gefahren ausweichen, wie sie mit ihren Freunden innigen Umgang pflegen und deren Wirtlichkeit wohl beherzigen: sie ändern also ihr Betragen je nach den Umständen, je nach Zeit und Oertlichkeit, je nach den Menschen, mit denen sie verkehren, nach Verhältnissen, Ereignissen, Begebenheiten. Sie sind groß in ihren Eigenschaften und Leidenschaften, gesellig, friedfertig und zärtlich, aber auch wiederum ungesellig, streitlustig, dem sonst so geliebten Wesen gegenüber gleichgültig; sie sind feurig in der Zeit ihrer Liebe, daher auch eifersüchtig, eigenwillig und ehrgeizig; sie kämpfen, wenn es gilt, mit Klaue und Schnabel wie mit der singfertigen Kehle, im Fluge wie im Sitzen, mit denselben Artgenossen, in deren Vereine sie friedlich sich bewegen, denen sie die größte Anhänglichkeit widmen, um derentwillen sie sich vielleicht dem Verderben preis geben. So lebendiges Gefühl ist ihnen eigen, daß es nicht selten ihren Verstand übermeistert, einzelne vollständig überwältigt, ihnen alle Besinnung und selbst das Leben raubt. Niemand wird dies in Abrede stellen können; denn jeder, welcher beobachtete, hat Erfahrungen gesammelt, welche es beweisen: sei es, daß er wahrnahm, wie ein Sperlingsvogel einem hülfsbedürftigen, schwachen und kranken Barmherzigkeitsdienste übte; sei es, daß er bemerkte, wie gezähmte Käfigvögel aus dieser ganzen Ordnung ihrem Pfleger und Gebieter alle Liebe bethätigten, deren sie fähig sind, wie sie trauernd schwiegen, wenn derselbe abwesend war, wie sie freudig ihn begrüßten, sobald sie ihn wieder sahen; sei es endlich, daß er mit Verständnis einem der herrlichen Lieder lauschte, durch welche gerade diese Vögel uns zu bezaubern wissen. Ein vortreffliches Gedächtnis, welches den meisten zugesprochen werden darf, trägt wesentlich dazu bei, ihren Geist auszubilden und zu vervollkommnen. Daß so lebendigen und leidenschaftlichen Thieren fast ununterbrochene Regsamkeit zur Nothwendigkeit wird, ist begreiflich. Träumerischer Unthätigkeit entschieden abhold, bewegen sie sich, wirken und handeln sie ohne Unterlaß vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Jede Begabung wird erprobt, jede Befähigung geübt…“
Photo: Carsten Dieme
Der thüringische Zoologe hat sich in seinem zehnbändigen Werk, das ab der zweiten Auflage „Brehms Thierleben“ hieß, ausführlich mit Spatzen beschäftigt. Wikipedia behauptet nun aber – ebenso schlicht wie unbegründet, dass er „das Verhalten von Tieren aus heutiger Sicht fehlinterpretierte.“
Die Wissenschaftshistorikerin Julia Voss sieht das anders. Sie fragte sich anläßlich der jüngst erfolgten Neuauflage von 91 Geschichten aus „Brehms Tierleben“: „Was waren die Tiere vor Brehm? Die Antwort ist kurz: Maschinen. Von Gott wie von einer großen Schraube aufgezogen, surrten sie die Bahnen ihres Daseins hinunter, fraßen, schliefen, vermehrten sich, nur von wenigen Instinkten gezogen, bis die innere Feder die Spannung verlor und der Tod eintrat. Im göttlichen Maschinenpark, als den man die Natur sah, wurde ein Pfau wie eine übernatürliche Spieluhr bewundert, der Stromschläge austeilende Zitteraal wie ein erhabener elektrischer Apparat. Verstand aber besaß keines der feinsinnigen Geräte, auch kein Gefühl und keine Seele; der Himmel blieb ihnen deshalb versperrt.
Dann kam Alfred Edmund Brehm. Mit der Meerkatze Hassan und der Paviandame Atile kehrte er im Jahr 1852 als Chalihl-Effendi von einer fünfjährigen Nordostafrikareise zurück und hielt auf einer Naturforscherversammlung seinen ersten Vortrag: das Familienleben der Nilkrokodile. Zu Hause im thüringischen Renthendorf klaute Hassan Eier aus dem Hühnerstall, Atile saß auf dem Fenstersims, und Brehm schrieb Geschichten, wie es sie vorher nicht gab. Von wütenden, lügenden oder liebenden Tieren, ihren Sorgen und Ängsten, den Schattenseiten und Großtaten.“
In Charles Darwins Werk „Die Abstammung des Menschen“ gehörte „Brehms Tierleben“ zu den am meisten zitierten Schriften. Die Darwinforscherin Julia Voss erklärt sich das so: „Wenige Jahre zuvor, 1859, hatte Darwin selbst mit ‚Über die Entstehung der Arten‘ die Grenze zwischen Mensch und Tier eingerissen, und wer seitdem von den Tieren redet, spricht auch vom Menschen. In dem Deutschen fand er einen, der den gleichen Schluß gezogen hatte: Wenn der Mensch vom Tier abstammte, mußte er auch Verstand, Leidenschaft und Gefühl von ihnen geerbt haben. Mit einer berührenden Radikalität gab es für Brehm keine menschliche Regung, die er nicht auch einem Affen, Maulwurf oder Mistkäfer zutraute.
Was Austersein oder ein Maulwurf leben bedeuten, ist in den fast hundertfünfzig Jahren seit Brehm nicht eindeutig geworden. Im Autor des Tierlebens findet der Leser die Antworten eines gewissenhaften Erzählers, der seinen auf Reisen und in zoologischen Gärten angehäuften Beobachtungsschatz mit geradezu erschütternder Belesenheit ergänzt. Zu jedem Tier referiert er die Schriften anderer, von Dichtern und Wissenschaftlern bis hin zur Bibel, deren tierreiches Altes Testament im Zitat neben Plinius, Goethe oder Humboldt für surreale Komik sorgen kann. Seine Bibelkundigkeit verdankte Brehm im übrigen dem Vater, einem protestantischen Pastor und Ornithologen.“
Seine Arbeitsweise gilt zumindest mir noch immer als vorbildlich. Inzwischen ist freilich die Literatur über Tiere kaum noch zu bewältigen. Und was die Spatzen betrifft, da hält man sich heute eher an das wissenschaftliche Standardwerk „Handbuch der Vögel Mitteleuropas“ (HBV), in dem allein dem Haussperling und dem Feldsperling fast 100 Seiten gewidmet sind. Wenn es um Verbreitung, Nahrungssuche, Wanderungen, Gesang, Fortpflanzung. Brut- und Sozialverhalten, Bestandsentwicklung etc. der Art „Passeridae“ (Sperlinge) geht, schreiben die HBV-Autoren im Präsens, Beobachtungen von einzelnen Tieren oder kleinen Schwärmen werden dagegen im Imperfekt erzählt – d.h. zumeist aus regionalen „Ornithologischen Mitteilungen“ zitiert. Das liest sich dann so:
„An einer Bushaltestelle öffneten Haussperlinge durch Flattern vor dem Photosensor die automatische Tür zum Warteraum, zu dem sie vorher durch eine Schwingtür gelangt waren. (Breitwich 1991)“
„…suchten 3 Rolltreppen tief in der Londoner U-Bahn nach Nahrung (Thomas und Earp 1983),“
„…schüttelten auf Bahnsteigen Papierabfälle, solange Brotkrumen herausfielen (Cugnase 1973),“
„…klammerten sich über Stunden einer über dem anderen an Hotelfassaden und warteten auf das Balkonfrühstück der Gäste (Kalmus 1984),“
„…suchen, inzwischen weit verbreitet, Kühlergrills parkender Kraftfahrzeuger und selbst das Innere von Motorhauben nach Insekten ab (z.B. Wiehe 1988).“
„15 Haussperlinge drangen am Wochenende in ein Schlachthaus ein, verzehrten ¾ Kilogramm Kalbsleber fast vollständig und pickten Rinderhälften an (Gebhardt 1952).“
„…gaben Hilfeleistung bei einem mit dem Flügel an einem Dorn hängengebliebenen Artgenossen durch 3-4 Minuten langes Picken an der festsitzenden Gefiederstelle (Zatloukal 1984).“
„…gaben Hilfestellung bei ausfliegenden Jungen durch Anstoßen eines auf den Rhein hinausfliegenden, das dann seine Richtung änderte (Riggenbach 1969).“
„…und durch Abstützen eines anderen Jungen, das zu Boden fallen drohte, mit dem Rücken (Gerber 1965).“
Diese Beobachtungen von ungewöhnlichem Vogelverhalten im Imperfekt stehen gewissermaßen für die Brehmsche „Spatzenintelligenz“, wohingegen die ausführliche Darstellung im Präsens das Spektrum des Artverhaltens von Sperlingen umreißt. Dieses Wissen ist sozusagen von bleibendem Wert und ähnelt dem, was Konrad Lorenz den „Instinkt“ der Tiere nannte, wohingegen das erstere sozial und situativ erworben scheint – und sich auch wieder verlieren könnte. Konrad Lorenz nennt es „subjektives Erleben“. So dass z.B. das Wissen einiger Spatzen um den Photosensor, der ihnen die Türen zum Warteraum öffnet, wieder verloren geht.
Das Vorübergehende einer bestimmten Spatzenintelligenz-Leistung schlägt sich bei den HBV-Autoren auch grammatikalisch nieder: Zwar handelt es sich bei den Akteuren in all den hier aufgeführten Beispielen um einzelne Spatzen oder kleinere Gruppen von ihnen, dennoch sind sie darin als Subjekte ebenso verschwunden wie als Individuen in der Darstellung ihres Artverhaltens-Repertoires, da diese wie oben erwähnt immer „mittelwertiger“ ausfallen muß, um relevant zu sein. So wird z.B. kein „Nature“-Artikel ohne mindestens eine statistische Graphik veröffentlicht.
Photo: tierregistrierung.de
LETZTE MELDUNGEN:
1. (NABU) Der Haussperling, auch Spatz genannt, ist der am häufigsten gesichtete Vogel in Deutschland. Das ist das Ergebnis der Vogelzählaktion „Stunde der Gartenvögel“ 2009. Mit dieser Aktion hat der Naturschutzbund Deutschland Menschen in ganz Deutschland aufgefordert, die Vögel in ihrer Umgebung zu zählen, und zwar getrennt nach Vogelarten. 45 000 Vogelfreunde deutschlandweit beteiligten sich daran – mit fast einer Million Beobachtungen. Die Auswertung der Vogelzählaktion 2010 dürfte ähnlich ausfallen, fest steht schon jetzt, dass u.a. der Feldsperling „deutlich häufiger als im Vorjahr gesehen wurde“.
2. (Peter Berz, z.Zt. in Wien) Vorige Woche sind wir die Herrengasse heraufgegangen. Da hört Ingrid von weitem einen Spatzen. Wir kommen näher, da sitzt er auf dem rechten Flügel des riesigen goldenen Doppeladler über dem Eingang eines Hauses, direkt gegenüber einer kleinen Grünfläche mit Ranken, wo letztes Jahr noch hunderte Spatzen zilpten, heuer keiner, nur Er als der letzte.
In einem lichtbildgestützten Vortrag, den er dort, genauer gesagt im Kloster Kirchberg, hielt – über „Mimikry. Biologie des Imaginären“ findet sich eine Bemerkung von Konrad Lorenz, die erhellt, warum unser Spatz „Benjamin“ sich vielleicht für einen Menschen hielt:
„Lorenz erzählt von einer Dohle, ‚der ein Mensch den Elternkumpan ersetzte und die vollständig ‚Menschenvogel‘ geworden war‘. Als sie geschlechtsreif wurde, richteten sich ihre ‚geschlechtlichen Triebe nicht etwa gegen den früheren Elternkumpan, sondern vielmehr mit der vollkommenen Unberechenbarkeit des Sich-Verliebens ganz plötzlich gegen irgend einen verhältnismäßig fremden Menschen, irgend eines Geschlechts, ganz sicher aber gegen einen Menschen. Es scheint sogar, als ob der frühere Elternkumpan als ‚Gatte‘ nicht in Erwägung käme. Woran aber bestimmt so ein Vogel unsere Artgenossen als Menschen?‘
Das also passiert, mit Donna Harraways letztem Buch gesprochen: When species meet. Lorenz: ‚Hier harren noch eine ganze Reihe hochinteressanter Fragen der Beantwortung!'“