Die Frage, welches die längste Schlange der Welt ist, beschäftigt die Menschen seit jeher. Die Lust an Rekorden gibt es ja überall, aber es ist schon etwas Mystisches speziell mit den Schlangen. Was die heute lebenden Reptilien betrifft, ist die Frage weitgehend geklärt – und weniger spektakulär, als Abenteurerträume und Sensationsmedien es gern hätten. In jüngerer Zeit hat sich am intensivsten mit dieser Frage wohl ein Team aus deutschen Herpetologen und Liebhabern beschäftigt: Henry Bellosa, Lutz Dirksen und Mark Auliya, die ihre Recherche-Ergebnisse in dem sehr gut lesbaren Buch „Faszination Riesenschlangen“ (BLV, 2007) zusammengefasst haben. Die größte – im Sinne von: massigste – Schlange der Welt ist ohne Frage die Große Anakonda aus dem Amazonasgebiet. Das größte sicher nachgewiesene Exemplar hat es auf eine Länge von rund 9 m und ein Gewicht von etwa 200–220 kg gebracht. Schon Werte über 8 m sind gewaltige Ausmaße, die nur von wenigen, sehr alten Weibchen erreicht werden (Männchen kommen kaum über die 3-m-Marke). Etwas länger noch kann wohl der asiatische Netzpython werden; die Tiere sind aber im Verhältnis schlanker und daher weniger massig.
Den absoluten Rekordhalter unter den Schlangen haben aber gerade jetzt Forscher in Kolumbien entdeckt. Arbeitern in einer Kohlemine fielen versteinerte, außergewöhnlich große Wirbel auf. Die Auswertung des Fundes führte zu einem spektakulären Ergebnis, das jetzt von der wohl angesehensten naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift weltweit, der Nature, publiziert wurde: Die steinernen Knochen entpuppten sich als die Überreste einer riesigen Schlange, die damit als vorerst größte Vertreterin ihrer Reptiliengruppe den Platz auf dem Treppchen einnimmt: Etwa 13 m lang wurde das Tier, das von Head et al. (2009) auf den auch nicht ganz unauffälligen Namen Titanoboa cerrejonensis getauft wurde. Titanoboa weist Ähnlichkeiten mit den heutigen Anakondas auf und lebte vor etwa 60 Millionen Jahren. Bis zu 1000 kg Gewicht trauen die Forscher dem Giganten zu, der sich in dem ehemaligen Regenwaldsystem – am Fundort lagern die ältesten bekannten Reste eines tropischen Regenwaldes – wohl u. a. von Riesenkrokos und Megaschildkröten ernährte – ein Szenario, das den Forscher Jason Bourque desselben Teams zu einem eindrucksvollen Bild inspirierte. Damit dürfte die Titanoboa, nach dem kurz zuvor erfolgten Ausscheiden der Dinosaurier, das größte lebende Landtier seiner Zeit gewesen sein.
Im Vergleich: Rückenwirbel einer erwachsenen Großen Anakonda und einer Titanoboa Foto: R. Carson/US News Bureau
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Der Fund ist aber nicht nur wegen seines Sensationsgehaltes und seiner herpetologischen Erkenntnisse spannend, er erlaubt zudem auch Rückschlüsse auf die Klimageschichte – und damit auch zu den Folgen des derzeitigen Klimawandels. Denn bei den wechselwarmen Reptilien ist Körpergröße unmittelbar mit den Umweltbedingungen gekoppelt. Sprich: Es muss schon ordentlich warm sein, damit Schlangen bei solchen Ausmaßen überhaupt aktionsfähig werden können. Da dies mit gesetzmäßiger Konstanz geschieht, rekonstruierten die Forscher, dass die mittleren Jahresdurchschnittstemperaturen im Wald von Titanoboa bei 30–34 °C gelegen haben müssen, also deutlich wärmer als heute und auch wärmer als bisher für diese prähistorischen Wälder angenommen. Das könnte in der Folge unangenehme Konsequenzen in der Diskussion um die Erderwärmung haben: Denn damit würde ein alte These der Klimaforschung hinfällig, dass nämlich die Tropen eine Art Temperaturpuffer bilden, die selbst bei Ereignissen wie globaler Erwärmung eine relativ konstante Temperatur aufweisen und somit Rückzugsräume böten – eine Annahme, die oft beruhigend angeführt wurde, wenn es um die Konsequenzen der aktuellen vom Menschen verursachten Temperaturanstiege ging.