vondorothea hahn 27.04.2010

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Gestern bin ich in Guantánamo gelandet. Seither baumelt ein Badge mit meinem Foto um meinen Hals, der mich als Journalistin ausweist, und auf dem in großen Lettern steht: „Escort required“. Für Insider auf dem US-Militärstützpunkt in Kuba bedeutet das: „nicht aus dem Auge lassen“.

Ich habe auch einen zwölf Seiten langen Text mit Verhaltensregeln für JournalistInnen auf dem Militärstützpunkt erhalten. Er beginnt mit Kleidervorschriften für den Gerichtssaal von Guantánamo (geschlossene Schuhe und lange Hemdsärmel) und geht weiter mit Dutzenden von Verboten.

Als nächstes muß ich einen Vertrag unterschreiben, den mir eine Presseoffizierin in Tarnuniform überreicht. Darin steht, dass ich die Risiken und Gefahren eines Militärstützpunktes kenne und dass ich auf Entschädigungsforderungen gegen die USA verzichte. Auch – so steht es in dem vorgedruckten Text – im Falle von Krankheit, Verletzung oder Tod.

Verboten ist in Guantánamo vieles für JournalistInnen: Der Kontakt zu Kubanern und Haitianern. Das Fotografieren von Landschaften, von Türschlössern und von Wassertanks. Und die Übermittlung von Bildern und Filmen, die die US-Armee nicht vorab kontrolliert hat. Im Militärjargon nennen sie das: „Operation Security“. Wenn der Kontrolleur bei der „OpSec“ Bilder sieht, die ihm nicht in den Kram passen, löscht er sie. Um das zu erleichtern, dürfen Journalisten in Guantánamo nur Digitalkameras benutzen.

Bei einem „Briefing“ im Pressesaal erklären PAO (Public Affairs Officers) in Uniformen der US-Army Journalisten aus aller Welt, wie wir unseren Job machen sollen: Vor Interviews und Fotos sollen wir einen Soldaten um Rat fragen. Bei Aufnahmen sollen wir Portraitierte nur von hinten zeigen. „Ab dem Nacken abwärts“, rät ein PAO: „das erspart uns Arbeit“.

Die US-Armee hat die Pressereise organisiert. Sie will drei Dutzend Journalisten aus aller Welt zeigen, wie die Militär-Justiz ihres Landes funktioniert. Auf dem Programm steht ein Hearing in dem Verfahren: USA gegen den Kindersoldaten Omar Khadr. Es ist das erste Militärgerichtsverfahren der Ära Obama. Es ist ein Prozeß an einem Ort, den es eigentlich längst nicht mehr geben sollte. Schließlich hat Präsident Obama bei seinem Amtsantritt versprochen, das Lager von Guantánamo zu schliessen. 15 Monate später befinden sich immer noch geschätzte 177 Männer in dem Hochsicherheitslager, das die USA wenige Monate nach den Attentaten vom 11 September eröffnet haben. Weiterhin gilt auch die Regel maximaler Geheimhaltung. Die US-Armee veröffentlicht nicht einmal die Zahl ihrer Gefangenen.

Der Kanadier Omar Khadr soll – als er 15 war – in Afganistan einen US-Soldaten mit einer Granate getötet haben. Deswegen hat er ein Drittel seines Lebens in Guantánamo verbracht. Heute ist er 23. Aus dem hageren Jungen, der 2002 schwer verletzt unter den Trümmern eines Hauses in Afghanistan hervorgezogen wurde, ist ein großer, breiter Mann mit einem vollen Bart geworden.

Ab Mittwoch dieser Woche werden 30 Zeugen von Anklage und Verteidigung vor der Militärjustiz auf dem Militärstützpunkt zu seinem Fall aussagen. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Rolle Folter (in Afghanistan und auf der US-Basis von Guantánamo) für das Zustandekommen der – inzwischen widerrufenen – Geständnisse von Khadr gespielt hat.

Sollte der Verteidigung vor Gericht tatsächlich der Folter-Nachweis gelingen, hätte die Anklage ein Problem. Nicht nur in ihrer Argumentation gegen Khadr. Sondern auch gegen andere Guantánamo-Gefangene. In der US-Rechtsprechung gelten erfolterte Geständnisse als „Frucht eines giftigen Baumes“. Vor Gericht sind sie nicht relevant.

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