Von links nach rechts: lebende Poller in weiß, Zierpoller aus schwarzem Gußeisen und eingetopfte Natur in grüner Reihe
Zum Thema „Stadtnatur“ konnte man am Wochenende gegen Eintritt unzählige Veranstaltungen und ausgewählte Orte abklappern. Berlin ist eine grüne Stadt. Als der Senat neulich eine Gruppe New Yorker „Urbanisten“ mit dem Schiff von Tegel abholte, fragte einer anschließend: „Where is the City?“ Vom Schiff aus hatten sie fast nur Grünanlagen gesehen. Nun waen diese flächendeckend ins Stadtmarketing aufgenommen worden. „Stadtnatur“: Warum zieht es immer mehr Pflanzen und Tiere in die Stadt und warum werden die Städter immer pflanzen- und tierversessener?
Grad werden tausende von Baumscheiben von den Anwohnern aufs Liebevollste „begrünt“. In Kreuzberg gibt es immer mehr Imkerinnen. Man nimmt es bald leichter, wenn um einen herum dieser oder jener Mensch vor die Hunde geht, als wenn zwei, drei Pappeln gefällt werden. Dagegen gründet sich sofort eine Baumschützer-BI. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen Stadt und Land: Während hier die Menschen vor allem damit beschäftigt sind, der Natur den Garaus zu machen, geht es in der Stadt vornehmlich darum, sich gegenseitig auszubeuten. Von Mensch zu Mensch. Die „Stadtnatur“, die sich vom Land in den urbanen Nischen einschleicht, läßt man in Ruhe, man braucht sie als Erholungsflächen und Lieferant guter Gefühle. Es wärmt das Herz, wenn ein Fuchs selbstbewußt die Manteuffelstraße entlangschlendert und die Platane am Görlitzer Bahnhof ihr Blätterdach zu einer wunderbaren Ründe formt.
Berlin gilt als Stadt der Nachtigallen und die „Nachtigallen-, sowie auch die Bienenforschung ist hier stark vertreten. Etliche andere Einrichtungen, wie das Fischereiamt, die Revierförstereien und die Schwanenstation, kümmern sich um Bestandsschutz. Auch um die Verbreitung des Spatzes muß man sich keine Sorgen machen. Zu den „Highlights“ der Stadtnatur gehören der Botanische Garten und die Kreuzberger Kinderbauernhöfe. Sie waren jedoch nicht an diesem „langen Tag“ beteiligt. Vielleicht, weil sich jeder Bürger inzwischen in die (städtische) Botanik einmischt und sich auch immer seltsamere Tier-Mensch-Beziehungen entwickeln. Neben der Soziologie, die an einer „politischen Ökologie“ arbeitet, und der Kulturwissenschaft, die sich für die „Artenbildung durch den Gesang“ (bei Vögeln) begeistert, läßt das natürlich auch die Künstler nicht kalt.
Auf „arte“ widmete sich neulich ein Filmemmacher der Naturvielfalt in der menschenlosen „Todeszone“ von Tschernobyl: „Ein wahres Paradies,“ urteilen die Biologen. Ein noch unbebautes Stück „Todesstreifen“ (hinter der Bundesruckerei) hatte sich jetzt zum „langen Tag der Stadtnatur“ eine Gruppe von Kunststudenten vorgenommen: Sie steckten künstliche Blumen auf Gräser, flochten Pappelzweige zusammen und versahen Lindenäste mit gelben Armschützern. Es sah witziger aus als es sich hier anhört. An der Spree gerieten wir in ein ganzes Öko-Seminar, in dem es um „nomadisches“, „partisanisches“ und „immobiles Gärtnern“ ging. Der Künstler Winfried Schiffer begann hier seine Garten-Tour. Sein Vorbild ist der japanische Mikrobiologe und Bauer Masanobu Fukuoka, der beim Gärtnern Wert darauf legt, dass es nicht in Arbeit ausartet: „Nicht fragen, was man tun sollte, sondern sich fragen, was man unterlassen kann.“ Der „Guerillagärtner“ Winfried Schiffer verteilte „Samenbomben“ an alle Teilnehmer seiner Rundtour, die zunächst zum Görlitzer Park führte, wo er hinter dem Säufertreff Kartoffeln anpflanzen will.
Am Moritzplatz ist man schon weiter: die Kartoffeln und hundert andere Nutz- und Zierpflanzen gedeihen dort bereits. Sie wachsen alle in transportablen Behältern. Die Künstlergruppe, die diesen „Prinzessinnengarten“ betreibt, der mit 10.000 Euro gefördert wurde, nennt sich „Nomadisch Grün“. Wir erfuhren dort, dass es in Burma „schwimmende Gärten“ gibt, man verkauft nicht ihre Früchte, sondern verschifft die Gärten als ganzes. Und in Berlin experimentiert das Kaufhaus „Lafayette“ in der Friedrichstraße mit einem „vertikalen Garten“ an der Hausfassade.
Der Künstler-GmbH „Nomadisch Grün“ geht es um „Landwirtschaft in der Stadt“ – es ist damit ein Umsetzung der in US-Ghettos entstandenen „Stadtgärten“, wie sie von Elisabeth Meyer-Renschhausen an der Humboldt-Universität erforscht wurden. In Detroit, das inzwischen 60% seiner Bewohner verloren hat, will man im Stadtzentrum jetzt sogar großflächig Landwirtschaft betreiben. Das wäre jedoch aus Armutsgründen das Ende des „langen Tags der Stadtnatur“, denn damit sind wir wieder bei der Primärproduktion, der Ausbeutung der Natur, angekommen. Elisabeth Meyer-Renschhausen rieb sich denn auch die Augen in den New Yorker „Gemeinschaftsgärten“: „Befinde ich mich wirklich im reichsten Land der Erde…oder irgendwo in einem Teil der Dritten Welt?“ Ist „der lange Tag der Stadtnatur“ am Ende nur der Übergang zu einer neuen „Subsistenzwirtschaft“ – aus dräuender Not – ein Atemholen von Natur und (Agri-)Kultur?
Noch einmal die selbe Fußgängerzone in Buenos Aires wie oben. Photos: Peter Grosse