vonDetlef Kuhlbrodt 10.09.2007

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Ich rief B. an. Er ist Historiker, er kennt sich aus. Ob wir die RAF-Dokumentation von Stefan Aust und Helmut Büchel nicht zusammen gucken wollten?
„Es ist doch viel besser, wenn du dabei bist. Da kannst du mich dann gleich auf die Falschheiten aufmerksam machen, denen ich als historischer Laie sonst möglicherweise auf den Leim gehen würde“ und Ähnliches sagte ich, um ihn für den Abend in meine Wohnung zu locken, denn alleine gucken bringt nicht soviel Spaß.

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Früher war B. mal linksradikal gewesen, was immer das auch heisst. Studentisch organisiert in Frankfurt glaube ich oder Gießen. Das hieß: Pamphlete verfassen; im ersten Stock des Studentenvertretungshauses mit den anderen Studentenvertretern berauscht große Reden über die Revolution schwingen. In der Nacht hatten sie das Fenster aufgemacht und vom Fenster herunter für das imaginäre Volk, das da nicht stand, revolutionäre Reden gehalten.
Keine Ahnung.
War bestimmt super.

Eigentlich wäre er in der Zeit, von der der erste Teil der Dokumentation erzählt, die meiste Zeit betrunken und behascht gewesen, sagte er und dann wohl erst ab Ende der siebziger politisch einsatzfähiger gewesen. Er hatte aber noch seinen Abschluß gemacht und sich erst danach lange Zeit der Gesellschaft verweigert, wie man so sagt. Seit einigen Jahren arbeitet er wieder in soziokulturellen Zusammenhängen auf ABM-Basis.

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Wir guckten also. Die einzelnen Stationen, Plots, die Personen, die einschlägigen Szenen kannte man – im Grunde genommen gibt es ja fast jeden Tag auf irgendeinem Kanal eine RAF-Dokumentation und das schon seit Monaten.

Vor dem Fernseher kam man sich also so ähnlich vor, wie ein Theaterkenner, der sich die xte Inszenierung eines bestimmten Stoffs anguckt und sich kennerisch über Variationen freut. Es gab zum Beispiel ganz tolle Filmaufnahmen aus der Frühzeit des „2.Juni“; wie die da alle so stoned, entschlossen, arrogant, auf dem Boden herumlümmeln. Wilde bunte Freaks aus den frühen 70ern.
Wie Pop- oder Filmstars waren sie sich (auch die RAFler) ihrer Aussenwirkung bewusst und sahen gut aus.

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Als Zeitzeugen waren Astrid Proll und Bommi Baumann wieder ganz großartig; sprachen lebendig und sehr anschaulich über die Frühphasen. Bei Bommi (ich nenne ihn so, weil wir vor zehn Jahren mal an einem Buch arbeiteten, aus dem dann leider nichts wurde) dachte ich: es wäre toll, wenn er ein Hörbuch rausbringen würde, weil sich die Art, wie er spricht kaum in Schrift übertragen läßt.

In der RAF-Doku, die ich eine Woche zuvor (sie war zum 20ten Jubiläum des Deutschen Herbstes gedreht worden) gesehen hatte, hatte unter Horst Mahler zum Beispiel gestanden „Ex-Raf“; in dieser nur „RAF“. Heinrich Böll, Günter Wallraff, Franz-Josef Strauss und der Ex-Chefredakteur der BILD-Zeitung Boenisch, die eine Woche zuvor viel vorkamen, waren diesmal gar nicht dabei. Auch Volkes Stimme, die in anderen Dokus dafür plädiert hatte, die RAFler umzubringen (das wäre noch viel zu wenig…), fehlte dies Mal.

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Dafür gab’s Sachen, die entweder neu waren oder die ich vergessen hatte; Gefängnispersonal und Richter und wie sehr Ulrike Meinhof von ihren Genossen gemobbt worden war, oder wie sie dann in einem Brief an ihre Genossen, Selbstkritik übte, zugab, durch ihre Sozialisation notwendigerweise Faschistin zu sein.
Am härtesten am Ende ein Tondokument von Ulrike Meinhof, vier Tage vor ihrem Tod. Im Stammheimer Prozeßsaal. In ihrer Rede beschimpft sie – sinngemäß – die Strafverfolgungsbehörden dafür, dass den Gefangenen, die ihre Position verändert hätten, keine Möglichkeit gegeben werde, dies zu erkennen zu geben. Ihnen bliebe nur die Wahl zwischen Verrat und Schweigen/Tod. „Und das nenne ich Folter“.
Keiner der Richter und Staatsanwälte bemerkt, dass sie wohl aussteigen wollte. Sie sind so fixiert auf die „Folter“, dass sie sie mehrmals ermahnen und sie dann von der Sitzung aussschließen. (wenn ich mich richtig erinnere – ich war schon ein bißchen müde)
Als es dann um die Schleyer-Entführung ging, dachte ich kurz, jetzt ist der erste Teil garantiert gleich zu Ende; idealer Cliff-Hanger. Es war tatsächlich so.

Den zweiten Teil gibt es heute abend.
Um 20:15.
Im Fernsehen.

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