vondorothea hahn 12.02.2010

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Ich war auf alles Mögliche eingestellt, als ich nach Washington DC ging: Auf Machtspiele und Intrigen auf dem „Hill“, wie der Hügel heißt, auf dem das Parlament sitzt. Auf technologische Revolutionen. Auf Lobbying. Auf Finanzkatastrophen. Auf Weltpolitik. Auf Attentate. Und auf Kriege.

Aber eines habe ich nicht erwartet: dass ein Naturereignis diese Stadt lahm legen würde.

Ein paar Dutzend Zentimeter Schnee haben mich eines Besseren belehrt. Und in Washington den Zusammenbruch des öffentlichen Lebens ausgelöst. Seit einer Woche geht fast nichts mehr.

Die Schulen sind geschlossen. Die Ministerien sind geschlossen. Die Betriebe sind geschlossen. Die Busse bleiben im Depot. Die Metro verkehrt nur ab und zu – und auch das nur auf den überdachten, innerstädtischen Strecken. Die Flughäfen funktionieren – wenn überhaupt – nur stundenweise. Die Supermärkte sind geschlossen oder haben leer geräumte Regale. Vorstädte sind von der Außenwelt abgeschnitten. Ganze Straßenzüge müssen wegen eingestürzter Strommasten tagelang ohne Strom und Heizung auskommen. Das Parlament hat die Debatte und Abstimmung über mehrere Gesetze verschoben. Und das Fernsehen bringt non stopp Wetternachrichten.

Wer sich zu Fuß bis in die Innenstadt von Washington DC wagt, braucht kniehohe Stiefel mit Profil und sportlichen Elan. Denn auf manchen Straßen liegt auch Tage nach dem letzten Schneefall noch unberührter Schnee. Unterbrochen von meterhohen Schneehaufen. Letztere stammen von Privatleuten, die versucht haben, ihre Autos mit Plastikschaufeln zu befreien.  Wo das nicht gelingt, zeugen zumindest die Schneehaufen von ihrem Treiben.

Natürlich ist dieser Winter besonders hart. Und es mag sogar stimmen, dass es in dieser Stadt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr so viel geschneit hat, wie in den vergangenen Wochen.

Doch zugleich ist unübersehbar, dass in anderen Städten – inklusive in den USA – jedes Jahr große Schneemengen herunter gehen. Ohne dass dort das öffentliche Leben zusammenbricht.

Der Unterschied ist, dass Chicago, Bern oder Moskau sowohl Räumfahrzeuge haben, als auch Personal, das sie bedienen kann. In Washington hingegen, fehlt ein solcher Öffentlicher Dienst für den Winter. Die Supermacht hat sich eine Mondlandung geleistet sowie ferngesteuerte Dronen für den Luftraum über Afghanistan. Aber vor dem Schnee auf den Straßen ihrer Hauptstadt kapituliert sie.

Die Washingtonians ertragen das Eingeschneitsein stoisch. Niemand schimpft, wenn die Metro nicht kommt. Niemand, wenn es keine Eier und kein Obst im Supermarkt gibt. Niemand, wenn die eigene Straße tagelang unpassierbar ist. Im Gegenteil: Die Leute schippen Schnee. Verschieben Termine auf das Tauwetter. Verschicken E-Mails mit dem wettergerechten Gruß: „stay warm“. Bleiben zuhause. Und brauchen ihre Vorräte auf.

Meine neuen Nachbarn, die wissen, dass ich vor dem Schnee keine Zeit für einen Großeinkauf hatte, versorgen mich mit. Dank des Schnees lerne ich sie kennen. Und komme in den Genuss von Fertigsuppen.

PS: Am Montag soll es wieder schneien. Vermutlich bleibt die Hauptstadt der Supermacht auch in der nächsten Woche noch blockiert.

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