vonJakob Hein 23.09.2010

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Also: die Steinbach-Erika hat es jetzt auf den Punkt gebracht. Endlich sagt’s mal einer, auch wenn’s nur eine Frau ist. Denn der so hoch gelobte Bartoszewski-Władysław hat nämlich einen ganz schlechten Charakter. Sicher, man darf das nicht mehr so ohne weiteres sagen über einen Mann, der

–         als Aktivist des Żegota-Komitees die Rettung von 75.000 Juden bewirkte

–         der in Auschwitz inhaftiert war

–         der am Warschauer Aufstand teilnahm

–         der 1949 von der polnischen Staatssicherheit sechs Jahre ins Gefängnis gesperrt wurde

–         der seit 1980 in der Gewerkschaft Solidarnosc mitarbeitete, bis er 1981 deswegen verhaftet wurde

–         der danach bis 1990 im Exil leben musste

–         und der sich heute als außenpolitischer Berater für die deutsch-polnische Verständigung einsetzt.

Aber wo kommen wir da hin, wenn eine aufrechte deutsche Feldwebel-Tochter nicht mehr jeden Polen nach Lust und Laune in der Öffentlichkeit herabwürdigen kann? Wenn plötzlich jemand eine Art Gutmenschen-Bonus bekommt, bloß weil er hier und da mal was gemacht hat, was heute gerade im politischen Establishment als richtig gilt. Das wäre ja so, als dürfe man plötzlich dem Nelson Mandela nicht mehr vorwerfen, grässlich aus dem Mund zu stinken. Oder als dürfe man nicht mehr sagen, dass die Mutter Teresa einen schrecklichen Geschmack in Bezug auf Klamotten und Schuhe gehabt habe. Oder dass Jesus Christus auch gerne mal einen durchgezogen habe. Man wird das doch alles wohl noch mal sagen dürfen, auch das der Himmler zum Beispiel ein großartiges Soufflé gekocht hat und dass die Schwulen an AIDS schuld sind und dass getrocknete Leguanscheiße einen wunderbaren Fußbodenbelag macht und dass Venus im Haus des Saturn Flusskrebse gebiert.

All das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen. Oder zum Beispiel „Hallo“. Man wird doch wohl noch mal „Hallo“ sagen dürfen und noch mal. Hallo. Und zum Beispiel Bundeskranzlerin. Wird man wohl doch mal sagen dürfen. Oder zugeschissene Hühnerstange. Oder Balterokessen-Blarm. Das wird man auch wohl mal sagen dürfen. Oder dass man das Frühwerk von Rilke gerade im Schatten des aufkommenden Jahrhunderts unter dem Aspekt der Aufklärung als Antwort auf metaphysische Tendenzen versteht. Hallo. Hal-lo. Hal-looo? Das wird man alles, alles noch mal sagen dürfen.

Wir sollten Erika Steinbachs Kampf unterstützen, denn wenn sie ihn gewonnen hat, dann ist dem, was man über diese Frau sagen kann, wirklich keine Grenze mehr gesetzt. Denn wenn sie zum Beispiel gesagt hätte, der Bartoszewski sei ein feiner Kerl, dann dürfte man sie immer noch eine reaktionäre Betonschlampe nennen. Aber so. Hallo?

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