Bei erneuten Protesten gegen die Macht der Finanzmärkte und für mehr Demokratie kommt es zum Zoff um die Deutungshoheit. Auch die NPD mobilisiert
FRANKFURT taz | „Wir sind 99%“, verkündet ein Plakat im Frankfurter „Occupy“-Camp. Unbemerkt hat jemand über Nacht darüber gesprüht: „1%, die arbeiten“. Keine Aufregung. Heißer Tee und Kaffee zum Aufwärmen sind für den Moment, wenige Stunden vor Beginn der nächsten „Occupy“-Demonstration, wichtiger. Auch der Aufruf des NPD-Kreisverbandes Frankfurt, sich unter die Demonstrierenden zu mischen, sorgt nicht mehr für viel Gesprächsstoff an diesem Samstagmorgen.
Doch nicht nur die NPD und „Occupy“ haben zum Protest aufgefordert. Auch ein Zusammenschluss euroskeptischer Gruppierungen namens „Aktionsbündnis Direkte Demokratie“ hat für den Morgen eine Demonstration angemeldet – vor dem Haupteingang des Protestcamps.
Einige Zelte mussten abgebaut werden, um dem Bündnis Platz zu machen. „Hier im Camp will man mit denen nichts zu tun haben“, distanziert sich Claudia Keth aus dem Camp. „Soweit ich weiß, sind das nationale bis rechtspopulistische Gruppierungen.“
Um elf Uhr füllt es sich auf dem Platz vor dem Camp. Etwa 250 Protestierende des Aktionsbündnisses treffen ein. Den Vorwurf des Rechtspopulismus weisen die Beteiligten von sich. Wertkonservativ sei er, meint ein älterer Herr, das sei alles. Occupy sei ihm viel zu populistisch.
Trommeln gegen Redebeiträge
Als die Redebeiträge beginnen, kommt es zu einem Zwischenfall. CamperInnen stören die Kundgebung mit Trommeln, Becken und Megaphonen. Nur schwer können die Worte der Redner noch verstanden werden. „Wir gehören nicht zu dem Aktionsbündnis!“, ruft eine 21-jährige Camperin, Mitorganisatorin der „Occupy“-Demo, und fordert auf, die Seite zu wechseln. „Lies dir mal deine sozialistischen Forderungen auf deiner eigenen Website durch!“, ruft ein Mann aus dem Bündnis erbost zurück.
Veranstalter Bernhard Seitz vom Aktionsbündnis findet die Störung traurig. Er denke, dass Bürger aus unterschiedlichen politischen Lagern sich alle äußern sollten. „Wir haben doch ein gemeinsames Anliegen.“ Dabei sind die Slogans der beiden Antagonisten kaum zu unterscheiden. „Für mehr direkte Demokratie“ ist auf einem Schild des Aktionsbündnisses zu lesen. Und „Nein zur €-Diktatur!“
Auch die Guy-Fawkes-Masken, Symbol der „Occupy“-Bewegung, tauchen in der Menge auf. John Damianov von der Partei der Vernunft, einer der Parteien des Aktionsbündnisses, erklärt: „Wir wollen direkte Demokratie und weder aus Brüssel noch von Berlin aus regiert werden.“ Der „Occupy“-Bewegung würde er sich durchaus anschließen, aber nur unter der Bedingung, dass sie die EU grundsätzlich ablehnen.
Konrad, der von Anfang an im Camp dabei war, wirft dem Aktionsbündnis vor, es wolle den Erfolg der Bewegung nur für seine eigenen Zwecke nutzen. „Warum sonst demonstrieren die direkt vor unserem Lager und tragen die gleichen Masken wie wir?“
Festlicher Empfang im Zeltlager
Kurz darauf leert sich das Camp. Nur wenige bleiben zurück, um die Zelte zu bewachen. Der Rest setzt sich vom Frankfurter Rathenauplatz in einem wesentlich größeren Demonstrationszug via Deutsche Bank zurück zum Camp in Bewegung. Etwa 4000 Menschen, jung und alt, ziehen mit den CamperInnen durch die Stadt – fast so viele wie vergangene Woche. NPD-AnhängerInnen sind dem Aufruf ihres Kreisverbandes nicht gefolgt.
Zurück auf der Wiese vor der Europäischen Zentralbank herrscht Volksfeststimmung. So voll war es noch nie im Camp. Das Küchenzelt ist besonders hübsch hergerichtet. Fast wie eine Partei, die für ihre Mitglieder die Tore öffnet, bieten die CamperInnen den Demonstrierenden Weintrauben, Kekse und Brötchen an. Nur der Sekt und die Häppchen fehlen. Der feste Kern des Zeltlagers kommt mit der breiten Bewegung ins Gespräch.
„Haut denen auf den Deckel!“, motiviert eine 76-jährige Renternerin die CamperInnen. Sie sei selbst jahrzehntelang im Bankwesen beschäftigt gewesen und kenne den Betrieb. Dann fragt sie, was denn noch fehle im Lager. Kekse, Schokolade? Sie könne natürlich auch Obst vorbeibringen.