von 12.11.2010

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Elektronik wird neu erfunden (Foto: aristide/flickr.com/Lizenz: by)

Stromkabel sind die Adern unserer modernen Welt. Milliarden von Kilometern umspannen den Globus. Sie ziehen sich durch die Weltmeere, unter Wüsten hindurch bis hinauf in die höchsten Gebäude unserer Zeit. Ohne sie würde nichts funktionieren. Es wäre dunkel, kalt und dieser Text würde höchstens in einer Bibliothek bei Kerzenlicht zu lesen sein. Doch was, wenn Kabel bald überflüssig werden und der Strom, wie Radiowellen oder Internetsignale, durch die Luft saust? Wie würde sich die Welt verändern? Werfen wir einen Blick auf diese Technologie und die mögliche Zukunft mit WiTricity.

Seit dem Jahr 2004 beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe am Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit der Vision des kabellosen Stroms, dessen Überlegungen auf den kroatischen Erfinder und Elektro-Ingenieurs Ikone Nikola Tesla zurückgehen. Das MIT vermarktet die Idee und Technik seither unter dem Namen WiTricity. Forscher prüfen zur Zeit zwei Theorien:

Strom besteht aus elektromagnetischen Wellen, die in unterschiedlichen Frequenzen schwingen. Ähnlich wie bei Licht oder Schall könnte man diese Wellen mit einem Parabolspiegel bündeln und über weite Strecken durch die Luft senden. Diese Anwendung setzt jedoch ein freies Sendefeld voraus und scheitert an der Erdkrümmung und der Intensität der gebündelten Strahlen. Ein Vogel, der durch einen solchen Strahl gleitet, könnte sich derart stark erhitzen, dass er letztendlich gebraten wird und platzt.

Die zweite und deutlich erfolgversprechendere Idee baut auf den Frequenzen der Elektrowellen auf. Eine Spule wird in der Frequenz des Stroms zum Schwingen gebracht. Die Schwingung wird daraufhin von einer anderen Spule aufgenommen und die übertragene Energie wird in Strom umgewandelt. Diesen Aufbau nennt man „magnetische Resonanz im Nahfeld“. 2007 wurde am MIT erstmals erfolgreich Strom über eine Strecke von zwei Metern gefunkt. Der Vorteil: die Spulen schwingen auf neun bis zehn Megahertz und können somit nicht in die Körper von Lebewesen eindringen. Auch andere elektrische Geräte und Magnetkarten nehmen bei einer solchen Frequenz keinen Schaden.

Aber was wäre wenn? Gehen wir davon aus, die Technik reift weiter und macht Kabel, Batterien und Akkus überflüssig. Handys, Computer und Elektroautos könnten sich autark in der Welt bewegen ohne jemals wieder an eine Steckdose gekoppelt werden zu müssen. Ist das ein Segen? Die Welt würde Milliarden Tonnen an Ressourcen sparen. Keine leeren Batterien mehr, die unachtsam in gelben Säcken landen. Auftanken per Vorbeifahren an Sendemasten auf der Autobahn. Kostenersparnisse auf dem Bau, da nur noch ein lokaler Stromsender für das Haus benötigt würde. Keine Steckdosen und Verlängerungskabel mehr. Nie wieder Ärger mit der Freundin, weil der Handy-Akku in der hitzigen Diskussion den Geist aufgibt. Eine entkabelte Welt, in der Benzin, Kupfer, Plastik und so manch giftige chemische Substanz endlich überflüssig werden könnte.

Im Gegensatz dazu gibt es jedoch die Gefahr von gezielten Anschlägen auf die Stromnetze – das Stören von Frequenzen ist kinderleicht. Fällt der Hauptsender in einem Wohnhaus aus, funktioniert kein einziges elektronisches Gerät mehr, ganze Wohnblöcke müssten wegen einer defekten Spule wieder zur Kerze greifen. Von den möglichen gesundheitlichen Gefahren ganz zu schweigen: Elektrosmog, Krebsgeschwüre und eine durch die Frequenzen ansteigende Körpertemperatur sind denkbar.

Es scheiden sich also die Geister, ob eine solche Technologie Fluch oder Segen bedeutet. Stellen wir das Sparen von Ressourcen über die etwaige Gefahr, im Dunkeln zu sitzen? Ist uns Fortschritt wichtiger als Gesundheit? Wir werden es erst wissen, wenn der Strom tatsächlich durch die Luft fliegt.

Mehr Informationen zu WiTricity unter: www.witricity.com

Text: Benjamin Runge
Fotolizenz: by

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