vonErnst Volland 05.07.2010

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In italienischen Museen endet der Rundgang meist in einem Bookshop. Seit einiger Zeit liegt ein auffällig dickes Buch einer jungen Künstlerin neben verschiedenen Publikationen von
Michelangelo und Caneletto, Raphael oder Hieronymus Bosch. Die Künstlerin ist Italienerin, um die vierzig und lebt seit Jahren in New York. Flächendeckend in ganz Italien vertrieben, findet man den voluminösen Band sofort. Das etwa zehn Zentimeter dicke und großformatige Buch ist oft auf Augenhöhe platziert, liegt mehrfach aus, man kann es nicht übersehen.
Das Profil der Künstlerin erscheint auch im Internet. Sie hat in allen wichtigen Museen der Welt ausgestellt oder eine Performance veranstaltet, von Rom bis Sydney, von Tokio bis New York. Allein im Jahr 2001 performte sie in den ersten Häusern der Städte Athen, Houston Texas, London, Mexico City, Montreal, New York (drei Mal), Oslo, Tel -Aviv, Venedig…
Ihre künstlerische Arbeit besteht, verkürzt dargestellt, darin, zwischen zehn und fünfzig schlanke junge Frauen in Strumpfhosen zu stecken, mit einer farbigen Perücke auszurüsten und ansonsten unbekleidet für einige Stunden in einem repräsentativen Raum eines Museums
zu posieren. Während der Performance lässt sie Fotos machen, die für 30 000 Euro pro Blatt Abnehmer finden.
Die Besucher stellen sich während der Show um die wie Schaufensterpuppen starr stehenden Frauen. Selten wird dabei gesprochen.
In einer der führenden deutschen Tageszeitungen aus Frankfurt veröffentlicht die in Rom arbeitende Korrespondentin der Zeitung einen Artikel über eine Performance der Künstlerin in Turin, mit dem Titel Schöne Vegetarierinnen.
Die Autorin spricht von „immer raffinierten tableau vivants“, und man erfährt, dass die Künstlerin einst magersüchtig war. Sie verfügt über ein „Heer von Mitarbeitern“ und diktiere ihrem künstlerischen Personal strenge Regeln.
„Seid distanziert, unnahbar, stark, klassisch, nicht sexy, gleichgültig, stolz. Sprecht nicht. Macht keine schnellen oder theatralischen Bewegungen. Haltet eure Position so lange wie möglich. Wenn ihr müde seid, setzt euch, aber nicht alle gleichzeitig. Haltet durch. Das Verhalten jeder einzelnen färbt auf die Gruppe ab.“
Die Korrespondentin beschreibt auch den Ablauf der Performance:
„An einem zwölf Meter langen Kristalltisch nahmen zweiunddreißig Frauen auf gläsernen Hockern Platz, je nach Alter und Verwandtschaftsgrad beigefarben, bunt oder überhaupt nicht bekleidet. Acht nackte Models trugen nur Volants um den Hals, um Hand- und Fußgelenke.
Alle mussten essen, was die Künstlerin bevorzugt: vegetarische und farblich getrennte Kost. Stundenlang. Schweigend. Kellner in beigefarbenen Anzügen und weißen Pantoffeln trugen zuerst die weißen Speisen auf. Kartoffelbrei, Pasta, Blumenkohl, Ricotta, Fisch.“
In der Küche warteten “Orangen, Karotten, Cachi, Spinat, Oliven, Broccoli. Blaue Trauben, Auberginen, Heidelbeeren, Kirschen, Pfefferschoten, Granatäpfel.“
Dem Artikel war ein Foto beigefügt, es zeigte die Akteure am Tisch.

Ich schicke der Korrespondentin in Rom einen Brief mit folgendem Inhalt:
„Sehr geehrte Frau,
ich las mit Freude Ihren Artikel über die wunderbare Performance. Jetzt habe ich eine Bitte. Ist es Ihnen vielleicht möglich, einen Kontakt mit der Künstlerin herstellen? Ich würde gern eine ähnliche Performance in unseren Kreisen veranstalten, privat, bei mir in der Wohnung. Alles ist mit meinem Mann abgesprochen und das Pekuniäre spielt keine Rolle.
Mit freundlichen Grüßen. Klara H.“
Nach einigen Tagen befinden sich an einem Tag drei Anrufe auf meinem Anrufbeantworter, mit der Bitte um Rückruf. Alle drei sind von der römischen Korrespondentin und sie wünsche dringend mit der Verfasserin des Briefes zu sprechen. Die Künstlerin sei demnächst in Berlin und stünde für eine private Performance zur Verfügung, falls man sich über die Konditionen einige.
Ich antworte nicht unter meinem gewählten Pseudonym als Klara H. auf die Anrufe. Ich beende den Dialog.
Ein halbes Jahr später tauchen überall in Berlin A0 große Plakate an den Litfaßsäulen auf, die von einem kulturellen Höhepunkt des Jahres sprechen. Das Plakat zeigt eine rothaarige junge, etwa 15 jährige Frau en face und in voller Körpergröße, nackt. Das Plakat kündigt eine bisher noch nicht gezeigte Performance der Künstlerin in der Berliner Nationalgalerie an. Die Künstlerin beabsichtigte zum ersten Mal hundert Frauen in der Nationalgalerie zu präsentieren, die sie in einem langwierigen Ausleseverfahren aus der Bevölkerung rekrutierte.
In der Presse ist zu lesen, dass hundert Personen bei ihrer Performance ein persönlicher Rekord ist. Freunde der Nationalgalerie und die Presse verglichen diesen Event mit der alle Besucherrekorde schlagenden Moma-Ausstellung im gleichen Haus.
Von einer weiteren Aktion in Paris berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einige Monate später mit dem Titel
„Lebendige Leiber unter den Trophäen des Luxus,“
Dem Artikel ist ein großes farbiges Foto beigefügt, das die Hälfte des Beitrages ausmacht, auf dem nur mit Slip oder Strumpfhose bekleidete junge schlanke Frauen in Regalen zwischen Vuitton-Koffern sitzen oder liegen.
„Die Markenzeichen der Künstlerin sind Nacktheit und Strumpfhosen. Im Escape Louis Vuitton setzt sie Frauen zwischen teure Koffer und Taschen…..Zur Eröffnung der neuen Prestigeadresse hat sich das Haus die Mitwirkung der New Yorker Performancekünstlerin
gesichert. Dreißig Models-den Louis-Vuitton-Farben entsprechend, mit weißer oder brauner Hautfarbe- wurden von der Künstlerin nicht wie bei anderen Arbeiten, im Raum verteilt aufgestellt, sondern auf dem Regal einer Rotunde zwischen Koffern und anderen Gepäckstücken mit dem berühmten Logo angeordnet.“

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https://blogs.taz.de/strumpfhosenperformance-2/

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