vonAndreas Herteux 07.09.2021

Objektive Subjektivität

Ein Blog von Andreas Herteux, der sich mit Zeitfragen beschäftigt. Und das immer objektiv-subjektiv. Headerfoto: Berny Steiner / Unsplash

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„Denk ich an die Zukunft in der Nacht,

der Unmut in mir schnell erwacht.

Er verfolgt mich auch am Tage,

wenn ich den Gedanken wage.

So sehr ich die Welt verändern will,

so steht sie doch nie, niemals still,

und dreht sich weiter in dem ihren Lauf.

Wann nur, wann hören diese Sorgen auf?

Was nur machen, was nur tun?

Keine Zeit sich auszuruhen!

Eine winz’ge Stimm’ allein?

Die kann niemals wichtig sein!

So beschränkt man sich auf’s Klagen,

lässt den Unmut am Gemüte nagen,

nimmt ihn mit in dunkle Nacht

und wird dann um den Schlaf gebracht.“

 

In wenigen Wochen geht es wieder an die Urnen. An welche? Für manchen Zyniker wird es keine Rolle spielen, aber konkret soll es um das Behältnis für den Wahlzettel und nicht um den letzten Aufbewahrungsort für menschliche Überreste gehen. Bundestagswahl 2021, insgesamt Nr. 20.

Obwohl zahlreiche Stimmen stetig von Schicksalswahlen sprechen, sind es in diesem Falle tatsächlich welche, denn die Welt hat gerade die Schwelle zu einem Zeitenwandel überschritten. Oder simplifiziert ausgedrückt; die Periode der Verwaltung des Vergangenen ist vorrüber, das Ende der Geschichte wird – mal wieder – verschoben und jede politische Entscheidung sowie Weichenstellung hat langfristige, vielleicht unumkehrbare Konsequenzen, die kaum mehr korrigiert werden können, denn die Grundlagen für Macht- und Wohlstandsverteilung werden gerade, Eisenbahnschienen gleich,  manifestiert. Verlegten Stahl herauszureißen ist später schwierig. Nicht unmöglich, aber mit größten Kraftanstengungen verbunden, die derjenige, für den es notwendig erscheint aber in der Regel nicht mehr aufbringen kann. Ein Teufelskreis.

So dramatisch, so wahr. Obwohl die Zeichen, wie die gesellschaftliche Erosion und die  Milieukämpfe, die fälschlicherweise oft als bloße Spaltung fehlinterpretiert wird und damit selbstredend ungelöst bleiben, unübersehbar sind, fehlt das Bewusstsein für einen Epochenwechsel, für eine neue Ära.

Vielleicht war das immer so und ja, selbst Goethe behauptete einst, dass man ein Zeitalter nicht aus diesem heraus erkennen könne, aber kann sich der Dichter hier nicht geirrt haben? Ist da nicht immer zumindest dieses Gefühl? Ein Hauch, ach was, ein Geruch der unwiderruflichen Veränderung, der sich erst später genauer bestimmen lässt. Doch warum auf die Historiker warten? Wagen wir doch einen Blick auf die kommenden Herausforderungen, die künftig prägend sein und den Lauf des Schicksals lenken werden:

 

  • Der Umgang mit dem technologischen Fortschritt

Neue Technologien werden uns alle vor völlig neue Herausforderungen stellen. Nur wann sie diskutieren? Sobald sie fest etabliert sind und die Medien sie in den Mittelpunkt rücken? Welche? Dazu gehören der Aufstieg des Verhaltenskapitalismus als dominierende Art des Kapitalismus, die Transformation des Homo sapiens zum Homo stimulus oder ungeklärte Fragen zu neuen Technologien wie der Biotechnologie, der Überwachung, eventuell im Sinne eines sozialen Kreditsystems oder der künstlichen Intelligenz. Diskutieren wir später? Wann?

  • Der Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Weltmärkten

Sowohl China als auch, was für einige überraschend sein mag, Indien könnten die Europäische Union in den nächsten Jahrzehnten nicht nur wirtschaftlich überholen, was im Fall des Landes der Mitte bereits geschehen ist, sondern zusammen mit weiteren aufsteigenden Staaten ein asiatisches Jahrhundert einleiten, in dem die Vorherrschaft des Westens final ihr Ende finden wird. Ja, der mögen manche nicht nachtrauern, aber konkret wird sich das vermutlich in massiven Wohlstandsverlusten manifestieren. Ohne eigene Kraft keine Revolution. Wenngleich sie auch am Bahnsteig enden mag, so erscheint es doch entscheident, ob besagter Bahnsteig heruntergekommen ist oder im Glanz der Neuwertigkeit erstrahlt. Der größte Verlierer könnte aber die Freiheit sein, denn wenn der Erfolg des Autoritären zur Blaupause wird, so wird sie, einem zarten Windhauch gleich, vielleicht für immer verwehen und was verloren, lässt sich nur schwer wiedergewinnen.

  • Die Schwäche der westlichen Welt

Jede Vorherrschaft geht einmal zu Ende. So ist das wohl, so soll es sein. Muss es das aber? Aus der Retroperspektive immer, aber mitten im Spiel? Fakt bleibt; die westliche Welt ist instabil, was sich beispielsweise im schwindenden Vertrauen in die bestehenden Ordnungen manifestiert. Woran das wirklich liegen könnte, könnte man in Erfahrung bringen, wenn man denn wollte. Gleichzeitig ist ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und ein Vergehen des internationalen Einflusses unübersehbar. Auch hier, es wurde bereits erwähnt, mag mancher jubilieren. Doch wem jubelt er damit zu? Doch letztendlich der Autorität, oder? Diese wird der Gewinner sein. Schwierig, schwierig. Dann doch lieber die Fehler des Westens korrigieren, nicht? Eine Möglichkeit hierfür wäre die Einführung eines Wertekapitalismus.

  • Die Veränderung der Umweltbedingungen

Ja, der Klimawandel ist in aller Munde und doch ist er nur ein Punkt auf einer langen Liste, die durch Rohstoffknappheit, den kommende, leider oft sehr stillen, Kampf um diese, Ressourcenausbeutung, Umweltzerstörung oder dem Auftreten von Pandemien, Katastrophen und noch vielem mehr ergänzt werden muss. Ohne die Natur geht es nicht, allerdings, und das sollten wir nicht gänzlich vergessen, kann die Natur ganz gut ohne uns.

  • Fehlen von Perspektiven bei einem Teil der Menschheit

Die globale soziale Frage bleibt, auch wenn Themen wie Überbevölkerung oder fehlende Grund- und Sicherheitsbedürfnisse im Moment in der medialen Betrachtung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Der Mensch ist und bleibt der Mittelpunkt des Menschen.

 

Eine Welt der Veränderungen braucht Gestaltung, keine Verwaltung

Wir stehen vor einem Zeitenwandel und dieser hat längst eine neue Epoche ausgelöst: die des kollektiven Individualismus. Gewaltige Herausforderungen warten auf uns und nur die richtige Politik kann sich ihnen stellen, sie überhaupt erkennen und vielleicht sogar in Teilen meistern.

Daher plädieren wir, und hier spreche ich auch als Leiter der Erich von Werner Gesellschaft, diese bei Ihrer Wahlentscheidung zu berücksichtigen und nie zu vergessen, dass die Einflussmöglichkeiten des Einzelnen nicht mit der Abgabe einer Stimme endet. Besser jetzt handeln, als später hinnehmen. Schon allein, um die schlafraubenden Sorgen erfolgreich vertrieben zu können.

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