vonAndreas Herteux 08.07.2023

Objektive Subjektivität

Ein Blog von Andreas Herteux, der sich mit Zeitfragen beschäftigt. Und das immer objektiv-subjektiv. Headerfoto: Berny Steiner / Unsplash

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Die jüngsten Auftritte des Bundesvorsitzenden und bayerischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger haben die Freien Wähler (FW) deutschlandweit bekannter gemacht, allerdings auch noch enger mit seiner Person verknüpft.

Gerade urbane Milieus, die nicht in den südlichen Bundesländern oder in Rheinland-Pfalz, wo die politische Organisation, wie in Bayern, im Landtag vertreten ist, zeigen sich nicht selten irritiert über eine konservativ-liberale Partei, die auf dem Vormarsch erscheint und auch 2025 nicht vollkommen unrealistische Chancen auf den Einzug in den Bundestag, an dem man 2021 noch mit 2,4% scheiterte, hat.

Doch wer sind die Freien Wähler, woher kommen sie? Grundsätzlich erzählt bereits der Name an dieser Stelle eine Geschichte. Die Freien Wähler als Organisation gab es nach dem 2. Weltkrieg schlicht nicht, sondern sie entstanden unabhängig voneinander vor Ort, weil es ganz typische lokale Probleme zu lösen galt: Wasser- und Stromversorgung, Kindergärten, Sanierung – all die großen und kleinen Probleme, die zu Tage treten, wenn es um das Gemeinwesen geht. Diese vielen Freien Wähler hatten aber Gemeinsamkeiten: Sie waren parteiunabhängig, scheuten, wie es der Aiwanger-Vorgänger und heutige Ehrenvorsitzende Armin Grein formulierte, „das Parteibuch wie der Teufel das Weihwasser“ und kümmerten sich ausschließlich um das politische Geschehen in ihrer direkten Umgebung, also auf kommunaler Ebene. Die Probleme vor Ort erfassen und sie sachbezogen sowie frei von Ideologie lösen, ohne auf irgendwelche Vorgaben einer Parteizentrale Rücksicht nehmen zu müssen – das war und ist der Markenkern der Freien Wähler. Und wie hätte es, bei einer basisdemokratischen Bewegung dieser Art auch anders funktionieren sollen? Sind die Rahmenbedingungen nicht immer unterschiedlich und oft gar nicht dafür geeignet, immer eine allgemeine Lösung, vorgegeben von einer höheren Parteihierarchie, für Herausforderungen zu wählen?

Von Anfang an waren sie in den Dörfern und Kleinstädten dabei erfolgreicher als in den großen Metropolen. Auch heute sind sie zwar, im Besonderen im Süden, eine kommunale Macht auf dem Lande, aber weniger in den großen Städten. Die Freien Wähler besitzen daher eine tiefe Verwurzelung an der Basis und sind tatsächlich oft sehr nahe an den Menschen, zumindest bei denen im ländlichen Raum, auch, wenn dieses manchmal zu Unrecht und mit nicht wenig Polemik auf das berühmte Bierzelt reduziert wird.

Organisiert waren die Freien Wähler dabei am Anfang nicht. Vielmehr war es keine Seltenheit, dass man nicht einmal die aktiven Kümmerer aus dem Nachbardorf kannte. Das änderte sich in Bayern, der heutigen Lokomotive der Partei und dem Bundesland, in dem die Freien Wähler seit 2018 an der Regierung beteiligt sind, erst mit dem Versuch die einzelnen Kräfte zu vereinen, um so politisch mehr Gehör zu finden und auch die Dominanz der CSU einzuschränken. Federführend war an dieser Stelle wiederum Armin Grein, der erste Landrat der Freien Wähler, der mit anderen zusammen, 1978 einen Landesverband schaffen konnte, der allerdings völlig bewusst erst einmal nicht zu Landtagswahlen antrat, sondern ein außerparlamentarisches Schwergewicht darstellte, das politisch nicht mehr ignoriert werden konnte und Einfluss auf die Entwicklung der Kommunen nahm.

Die Frage, ob man nicht doch jenseits der Kommunen aktiv und auch zu Bezirks- und Landtagswahlen antreten sollte, wurde jahrzehntelang intensiv diskutiert und gilt als eine der beiden Gretchen-Frage der politischen Organisation, die noch heute die Gemüter spaltet. Schließlich entschied man sich 1997 mit einer Mehrheit von 54,1% dafür, auch auf Landesebene anzutreten, musste dafür aber, weil dem Landesverband keine natürlichen Personen angehörten, eine parteiähnliche Parallelstruktur schaffen, die organisierte Wählergemeinschaft – ein Kompromiss, denn so wurde man keine Partei, konnte aber trotzdem antreten.

Im 2006 gab es schließlich in Bayern den Führungswechsel von Armin Grein, der altersbedingt nicht mehr antreten wollte, zu Hubert Aiwanger, der 2010 auch auf Bundesebene stattfand. 2009 wurde aus der organisierten Wählergemeinschaft eine Partei – eine schwierige Entscheidung und die zweite Gretchenfrage, die sich schon darin äußert, dass es weitaus mehr organisierte und nicht-organisierte Freie Wähler gibt als Mitglieder der Partei Freie Wähler. Es wäre nun zu komplex und ausufernd, zu erläutern, welche politischen Konstruktionen aus diesem Grund nebeneinander existieren; die Basis ist weitaus größer als es die reine Zahl an Mitgliedern vermuten lässt – und damit auch die Meinungsvielfalt. Eine Parteilinie im eigentlichen Sinne gibt es nicht, der größte Teil des erwähnten Fundaments ist schlicht pragmatisch auf kommunaler Ebene aktiv und würde derartiges auch niemals akzeptieren.

In der Summe sind die Freien Wähler aus Teilen der Bevölkerung erwachsen und damit eine „Schöpfung von unten“, besitzen einen starken Rückhalt in den ländlichen Kommunen und vertreten, da sie eng mit ihrer Basis verknüpft sind, denklogisch auch primär deren Themen, die sie vor Ort als Teil der Gemeinschaft aufnehmen. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Abschaffung der Straßenbaubeiträge in Bayern, welche die Bürger im ländlichen Raum massiv entlastet hat. Für viele Städter vielleicht belanglos, für die Landbevölkerung elementar. Vielleicht wird aus diesem Zusammenhang auch klarer, warum beispielsweise die Ideen der Ampel-Regierung im Bereich Heizen und Wohneigentum die Freien Wähler, immerhin eine Organisation, die sich von Beginn an deutlich zu Umwelt- und Klimaschutz bekannt und auch den Atomausstieg im Wahlprogramm hatte, zu einer entsprechenden Gegenposition animieren: Aus der Perspektive der FW sind diese nicht pragmatisch, nicht zweckführend und nicht bürgernah.

Letztere Ansicht mag in urbanen Milieus auf weniger Verständnis und auch auf inhaltlichen Widerspruch treffen, allerdings leben in Deutschland heute etwas weniger als 40% der Bevölkerung auf dem Land oder in Kleinstädten. Auch diese müssen in einer Demokratie gehört und repräsentiert werden. Der Rest muss sich, bei aller verbalen Schärfe, in Kompromissen finden. Zum Wohle der Demokratie, zum Wohle des Souveräns.

Zur Geschichte der Freien Wähler sei am Rande noch das Buch „Die Freien Wähler – Erfolgsgeschichte der Demokratie“ (Erich von Werner Verlag, ISBN-13: 978-3948621889, 21.04.2023) empfohlen, das erstmals einen tieferen Blick auf die politische Organisation wirft. Zur Transparenz sei angemerkt, dass der Autor dieser Zeilen an der Entstehung beteiligt war und den Publikations- und Vermarktungsprozess aktiv begleitet.

Die Freien Wähler (FW) – Eine Erfolgsgeschichte der Demokratie

 

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