vonAndreas Herteux 11.12.2022

Objektive Subjektivität

Ein Blog von Andreas Herteux, der sich mit Zeitfragen beschäftigt. Und das immer objektiv-subjektiv. Headerfoto: Berny Steiner / Unsplash

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Kontinuität ist im Verlauf der Weltgeschichte ein stetiger Wunsch, der allerdings immer nur temporär erfüllt wird. Kein Reich erblühte ewig, keine Ordnung besiegte die Historie. Das Ende der Geschichte blieb lediglich eine Illusion. Letztendlich wirkt nur ein ewiges Ringen, das gerade einen neuen Schub der Intensität erlebt, denn alle Kräfte befinden sich mitten in einem Zeitenwandel. Eine Periode, die alles entscheiden kann und auf die so mancher Machtblock klüger reagiert, während sich andere von den Geschehnissen treiben lassen.

Doch, was ist nun so anders? Das liegt in der Natur eines Zeitenwandels verborgen, denn unter einem solchen versteht man einen zeitlichen Abschnitt, in dem sich dessen einzelne Elemente auf eine solche Art und Weise dynamisch gegenseitig beeinflussen, dass diese eine Neuordnung der bisherigen (globalen) Machtverhältnisse bewirken können. Diese Elemente sind:

  • Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Weltmärkten (z. B. asiatische Staaten)
  • Schwäche der bisher dominierenden Machtblöcke (Westliche Welt; z. B. durch Instabilität, schwindendes Vertrauen in bestehende Ordnungen Verlust von Wettbewerbsfähigkeit oder durch geostrategische Entscheidungen von Drittstaaten)
  • Veränderung der Umweltbedingungen (z. B. durch Klimawandel, Pandemien, Ressourcenausbeutung oder Umweltzerstörung)
  • Fehlen von Perspektiven bei einem Teil der Menschheit (z. B. durch Überbevölkerung oder unbefriedigte Grund- und Sicherheitsbedürfnisse)
  • Umgang mit dem technologischen Fortschritt (z. B. Digitalisierung, Verhaltenskapitalismus, Homo stimulus, Biotechnologie, KI, Optimierung des Menschen)

Diese Kriterien lassen sich, soweit man es denn möchte, auf viele große Veränderungsprozesse der Geschichte übertragen: Selbst am Untergang Roms, bei dem die eigene Dekadenz eine Rolle gespielt haben mag, spielten die technologische Rückständigkeit im Bereich der Landwirtschaft aufgrund der eigenen Sklavenhaltung und die veränderten Klimabedingungen sicher eine ebenso große Rolle wie der Druck anderer Völker auf die nun besser organisierten und in größerer Anzahl, ein genehmeres Klima und bessere Geräte führten zu einem massiven Bevölkerungswachstum, vorhandenen Barbaren. Die letzten Worte mögen, was die römische Geschichte betrifft, natürlich leicht unterkomplex angelegt gewesen sein, sollen aber eine grundsätzliche Ahnung von dynamischen Prozessen bieten.

Doch, warum in die Vergangenheit blicken? Dass sich die Welt in einer solchen Periode der globalen Neuausrichtung befindet, dürfte mittlerweile auch der einfache Staatsbürger spüren und sie vielleicht sogar schon fürchten.

Obwohl die Zeichen daher seit Jahren erkennbar sind, scheint es doch tatsächlich manchen Verantwortlichen zu überraschen, dass einzelne Spiele in diesem neuen Kampf um globale Positionierung und Vormachtstellung, ihre jeweiligen Karten ausspielen und sich darum bemühen, sich ein solideres Fundament für künftige Entwicklungen zu schaffen.

Wie gestaltet sich die Zukunft Afrikas? Wie die Asiens? Alle sind beteiligt. Nicht nur die großen, sondern auch die vermeintlich kleinen. Von Katar bis Singapur – niemand sollte während des Sturms schlafen. Eine apokalyptische Vision? Unsinn, lediglich eine Berücksichtigung der Umstände und der eigenen Interessen! Für die einen geht es in glorreichere Zeiten, für eine Teil verändert sich wenig, manche werden deutlich verlieren! Eine bessere Ausgangsbasis für die Neuverteilung schaffen. Das muss das Ziel sein. Nur auf diese Art und Weise sind die russische Aggression, die taktische chinesische Haltung oder die Spielzüge Indiens, zu deuten. Auch die USA verfolgen einen unübersehbaren Kurs zur Konsolidierung der eigenen Macht. Einige werden dabei nicht die erwünschten Erfolge erzielen. Russland wird zu ihnen gehören. Indien und China eher nicht. Zweifellos ist die Neuordnung der globalen Machtverhältnisse aber noch nicht in der Endphase, sondern erst an ihrem Beginn. Trotzdem lässt sich bei allen relevanten Machtblöcken eine gezielte Aktivität erkennen und dabei geht es immer, wenn sollte es auch wundern, nur um die eigenen Interessen.

Ausnahme bildet in dieser Hinsicht Europa, wo langfristige Strategie augenschlich mit kurzfristiger Taktik und Reaktionen auf Krisen verwechselt werden. Gibt es überhaupt eine europäische Idee für die eigene Platzierung in einer neuen Weltordnung? Existiert zumindest eine für einzelne Nationalstaaten? Oder ist es nur Stückwerk? Treibt man nur mit, hier mal im Rahmen chinesischer Investitionen, dort zur Stützung der amerikanischer Wirtschaft? Wird Europa überhaupt als Partner gesehen oder gar nur noch als Beute? Eine provokante Frage? Eine notwendige!

Was nun, Europa? Es ist erstaunlich, dass diese Frage gestellt werden muss, denn geht es nicht um Einfluss, Wohlstand und Macht? Das alles droht dem alten Kontinent gerade langfristig verloren zu gehen und damit auch dem einzelnen Staatsbürger, der dieses bereits jetzt teuer spüren muss. Ja, was nun, Europa? Was nun, Deutschland?

Andreas Herteux ist der Leiter und Gründer der Erich von Werner Gesellschaft, einer unabhängigen Einrichtung für Zeitfragen.

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