vonAndreas Herteux 15.08.2022

Objektive Subjektivität

Ein Blog von Andreas Herteux, der sich mit Zeitfragen beschäftigt. Und das immer objektiv-subjektiv. Headerfoto: Berny Steiner / Unsplash

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Die Menschheit steht vor einem Zeitenwandel. Unübersehbar, in das Leben fast jedes Einzelnen eingreifend und niemanden verschonend. Große Zeichen, kleinere Wirkungen. Noch größere Einschläge, unumkehrbare Konsequenzen. Von Krise zur Krise.  Stetige Veränderung des ureigenen Lebens. Niemand bleibt mehr Zuschauer. So viele Entwicklungen und alle beeinflussen Sie sich so dynamisch gegenseitig, dass sie zu einer Neuordnung der bisherigen globalen Machtverhältnisse führen können. Eine spannende Zeit, soweit es gelingen mag bloßer Betrachter zu bleiben. Ein entscheidende Periode für die Freiheit und den Wohlstand vieler. Ja, man hätte es kommen sehen können:

  • Den Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Weltmärkten (z. B China und Indien) und die damit verbundenen Versuche, die Welt neu zu ordnen oder sich noch rechtzeitig einen Platz am Tisch der Großen, man denke hier an Russland, zu sichern.
  • Die Schwäche der westlichen Welt (z. B. durch Instabilität, schwindendes Vertrauen in bestehende Ordnungen Verlust von Wettbewerbsfähigkeit), die sich stetig abzeichnete und stets nur durch Belanglosigkeiten temporär dem Blickfeld entschwand.
  • Die Veränderung der Umweltbedingungen (z. B. durch Klimawandel, Pandemien, Ressourcenausbeutung oder Umweltzerstörung), die nun einmal fundamental für alles Leben sind.
  • Das Fehlen von Perspektiven bei einem Teil der Menschheit (z. B. durch Überbevölkerung oder unbefriedigte Grund- und Sicherheitsbedürfnisse); die ewig ungelöste Frage.
  • Den Umgang mit dem technologischen Fortschritt (z. B. Digitalisierung, Verhaltenskapitalismus, Homo stimulus, Biotechnologie, KI, Optimierung des Menschen), der von vielen erst diskutiert werden wird, wenn er bereits fest im Alltag etabliert ist.

Das alles sind grundlegende, sich gegenseitig beeinflussender Faktoren, manchmal bedingend, gelegentlich hemmend, selten auch verdeckend, die unsere Zeit prägen und die dazu beitragen, bisherige Machtverhältnisse umzustürzen und neue zu schaffen.

Die Last des Einzelnen

Alles schon einmal gehört, nie konsequent durchdacht.  Mal mag das eine Element in den medialen Fokus geraten, dann wieder ein anderes.

Von Schuldenkrise zu Flüchtlingsströmen über den Klimawandel sowie Pandemie zu globalen Spannungen und Kriegen – einzige die technologische Entwicklung musste in den letzten Jahren medial etwas zurücktreten, wird aber in der nächsten Dekade eine solche Aufmerksamkeit erhalten, wie vielleicht niemals zuvor in der Geschichte.

Fraglich bleibt, ob die westliche Welt nach und während dieser turbulenten Zeiten noch federführend oder die bereits begonnene Verschiebung der globalen Machtverhältnisse bis dahin schon unumkehrbar sein wird. Nein, untergehen wird der Westen nicht, aber vielleicht auch keine dominante Rolle mehr spielen. Das wiederum würde sich massiv auf den Wohlstand und die sozialen Gefüge auswirken. Es wird der Einzelne sein, der verliert. An Freiheit, an Selbstverständlichkeit, an Einkommen, an Vermögen, an Sicherheit und vielleicht auch an der Gesundheit. Was fern war und abstrakt klingt, ist plötzlich nah. Es wartet im Supermarkt, auf der Heizkostenabrechnung, bei der Straße mit den vielen Schlaglöchern.

Trotzdem mag mancher, auch im Inneren, den demokratischen Staaten den Untergang wünschen, die Lust an der jammernden Selbstzerstörung ist manchen Zeitgenossen bekanntlich näher als die Veränderung der Lebensbedingungen aus eigener Tatkraft heraus, aber es bleibt dennoch eine kleine Minderheit, die nicht versteht, dass es die eigenen Lebensgrundlagen sind, die von dem besagten Hauch, der inzwischen seine Wandlung zum Sturm genommen hat, schlicht hinfort geweht werden.

Das Verwelken der freiheitlichen Ideologie?

Ja, die freiheitliche Ideologie ist auf dem Rückzug und kennzeichnet sich primär durch die selbstverursachte Schwäche, doch welche Vorteil hat der Kritiker davon, wenn er deswegen vielleicht schweigen, frieren und hungern muss? Missmut muss man sich auch leisten können. Das Schlechteste am Guten ist immer noch besser als das Beste am Schlechten.

Und doch ist keine Entwicklung unabwendbar oder gar beschlossen. Eine Möglichkeit den Zeitenwandel noch in die richtigen, man verzeihe hier den egoistisch-westlichen-Ansatz, Bahnen zu lenken, wäre die Idee des Wertekapitalismus, welche die Tendenz noch zu Gunsten der freiheitlichen Ordnung wenden könnte. Ein Block und Bollwerk für die Freiheit, aber auch für den eigenen Wohlstand. Für das eigene Überleben.

Werte als Bändiger des Kapitalismus?

Kapitalismus und Werte? Kann das funktionieren? Holen wir hierfür ein wenig aus und beginnen mit der Ebene der privaten Wirtschaft.

In der Regel sind Werte, worunter wir Standards wie Arbeitsbedingungen, Mitbestimmungsrechte, freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Umweltschutz verstehen, für Unternehmen eher hinderlich, wenn es um Gewinnmaximierung geht. Die freie Marktwirtschaft ist in der Regel nüchtern und kalt. Werte sind, so schlimm es auch klingen mag, oft Ballast.

Lässt sich der Kapitalismus aber nicht so umgestalten, dass Sie ein gewinnender Faktor werden? Genau hier setzt der Wertekapitalismus an und das ist seine Grundidee. Werte müssen als Produktionsfaktor etabliert werden, ohne den die Gewinnmaximierung sehr viel schwieriger wird.

Vereinfacht gesagt, setzt der Wertekapitalismus auf die Gier der freien Wirtschaft und manipuliert sie. Er schafft eine Wirtschaft, in der der Erfolg maximiert wird, wenn definierte Standards erfüllt werden. Es ist ein Konzept, bei dem alle gewinnen – außer eben jene, die sowieso nichts von Standards, Freiheit oder Demokratie halten.

Technologie als Schlüssel

Wie das tatsächlich funktioniert? Praktisch gesehen ist die Technologie der Schlüssel zur Zukunft. Fast überall auf dem Sprung wartend, ist eine Fülle von fundamentalen Durchbrüchen in den nächsten Jahren selbst für Laien absehbar. Wenn nicht in der westlichen Welt, dann in der unterschätzten östlichen.

Deshalb ist es sinnvoll, dass demokratische, freie Nationen einen gemeinsamen Wertefonds, einen Wertehüter, gründen, der gezielt in sie investiert, entsprechende Marktmacht aufbaut und viele Patente hält. Wer den rasanten Aufstieg von Verhaltenskapitalisten wie Google oder Amazon verfolgt hat, weiß, dass eine solche Entwicklung, und wenn sie mit dem gezielten Aufkauf von Unternehmen und Patenten beginnt, innerhalb kürzester Zeit angestoßen werden könnte. Der Wertefonds kauft, fördert, beteiligt sich, hält – und bestimmt die Spielregeln so deutlich mit. Als Marktteilnehmer.

Aus dieser Entwicklung entstehen technologische Standards, die von denen, die sie nutzen wollen, lizenziert werden müssen. Durch diese Lizenzierung können Werte nun zu einem Produktionsfaktor werden, indem ihre Einhaltung zum Vertragsbestandteil wird. Ohne entsprechende Akzeptanz, kein Geschäft. Die Nutzung der neusten Chip-Technologie? Gerne, aber nur, wenn die Produktionsketten stimmig sind und die Herstellung selbst in entsprechenden Ländern, die zumindest auf gutem Wege sein, erfolgt. Das alles wäre nur kühles Vertragswerk. Ohne Nachweis, keine Nutzung.  Kein Unternehmen ist gezwungen, dies zu tun. Es ist eine freie unternehmerische Entscheidung, aber der Wunsch nach Gewinnmaximierung wird letztlich dazu führen, dass solche Klauseln akzeptiert werden, denn wenn ein Standard nicht genutzt werden kann, so ist oft ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit die Folge.

Die Gewinne würden zum einen investiert, zum anderen an die Geberstaaten ausgeschüttet. So könnten beispielsweise Sozialsysteme oder Infrastrukturen finanziert werden. Über die Verwendung der Mittel müssten aber letztlich die beteiligten Staaten und ihre Bürger entscheiden.

Demokratische Kontrolle

Ob damit nicht ein Moloch entstehen wird? Eine Staat zwischen der Staaten? Nein, denn der Hüter der Werte wäre indirekt demokratisch legitimiert, müsste transparent handeln und rechenschaftspflichtig sein. Möglicherweise könnte das Kontrollorgan, eine Art Aufsichtsrat, direkt von den beteiligten Völkern gewählt werden. Wir haben also eine andere Konstellation als z.B. bei großen Konzernen oder autoritären Staaten.

Letztendlich bleibt der Schlüssel, der technologische Fortschritt damit in den Hände freiheitlich orientierte Länder in einer, vielleicht etwas weniger globalisierten Welt, die immer mehr in sich selbst investieren, so wachsen und gedeihen und auf diese Art und Weise auch andere Staaten von sich überzeugen könnte. Keine Entwicklungs-, dafür Investitionshilfe. Die Demokratie wird dem neuen Wohlstand folgen.

Bollwerk gegen die Autorität

Autoritäre Systeme wären dagegen von der technologischen Entwicklung in Teilen abgeschnitten, müssen sich anpassen oder aber in den Konkurrenzkampf eintreten. Letzteres geschieht auch schon seit Jahrzehnten, nun aber wären die Gegner nicht einzelne Staaten oder schwache Bünde, sondern ein Bollwerk der besseren Wirklichkeit mit all ihren Fehlern und Schwächen.

Durch die Verknüpfung von Werten und Kapitalismus erhöhen sich daher die Chancen der freiheitlich orientierten Welt massiv.

Und ja, mag dieser Weg noch vor einigen Jahren als interessante sowie unterhaltsame Utopie abgetan worden sein, so hat sich nun die allgemeine Lage inzwischen so verändert, dass er eine erwägbare Variante darstellt, um das Wohl des Einzelnen dauerhaft zu sichern.

Der Zeit verwandelt Utopien in Möglichkeiten. Ergreifen wir sie!

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