Die Begriffe Sucht und Abhängigkeit werden häufig synonym angewandt, obwohl Sucht ein veralteter medizinischer Fachbegriff ist, der eigentlich nur noch in der Umgangssprache Verwendung findet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Begriff Sucht (engl. addiction) bereits 1964 durch den Begriff der Abhängigkeit (engl. dependency) ersetzt. Dennoch werden in Deutschland heute beide Begriffe nicht nur in der Boulevardpresse, sondern auch immer noch in amtlichen Publikationen wie dem »Drogen- und Suchtbericht« oder der neuen Broschüre »Moderne Drogen- und Suchtpolitik« der Drogenbeauftragten der Bundesregierung nebeneinander genutzt. Im politischen Raum hat sich hierzulande eine Angleichung an die international übliche Terminologie noch nicht durchgesetzt.
Der Begriff Sucht ist im gesellschaftlichen Diskurs negativ besetzt. Besonders deutlich kann man das an Begriffsbildungen wie Geldsucht, Gewinnsucht, Rachsucht, Ruhmsucht oder Zanksucht erkennen, die alle für moralisch verwerfliche Eigenschaften stehen. Kaum eine Assoziation zu diesen Begriffen ist frei von Abneigung und Abscheu. Begriffe wie Drogensucht und weit mehr noch Rauschgiftsucht sind für nicht wenige hierzulande die verbale Verkörperung eines bedrohlichen Schreckgespenstes.
Der Begriff Suchtmittel
Eine Substanz ist etwas Stoffliches, woraus etwas besteht, das heißt, dass man unter Substanz den chemischen Grundbestand versteht, also die naturwissenschaftlich begründete, zweckfreie Aussage über die chemische Zusammensetzung eines Stoffes. Ein Mittel ist etwas, was die Erreichung eines Zieles ermöglicht; das bedeutet, dass ein Mittel etwas ist, was zur Erreichung eines Zweckes dient.
Substanz ist die zweckfreie Aussage über etwas (z.B. einen Stoff), ein Mittel ist die soziale oder die individuelle Interpretation des Zwecks der Substanz beziehungsweise des Zwecks der Einnahme der Substanz. Schreibt man also einer Substanz einen bestimmten Zweck zu, so wird die Substanz zum Mittel.
Ein ähnliches Verhältnis existiert in der Pharmakologie und in der Toxikologie zwischen den Begriffen Stoff und Arzneimittel. Gemäß Arzneimittelgesetz (§ 3 AMG) sind Stoffe: »1. Chemische Elemente und chemische Verbindungen sowie deren natürlich vorkommende Gemische und Lösungen, 2. Pflanzen, Planzenteile und Pflanzenbestandteile in bearbeitetem und unbearbeitetem Zustand, 3. Tierkörper, auch lebende Tiere, sowie Körperteile, -bestandteile und Stoffwechselprodukte von Mensch und Tier in bearbeitetem und unbearbeitetem Zustand, 4. Mikroorganismen einschließlich Viren sowie deren Bestandteile oder Stoffwechselprodukte.«
Die nächste Kategorie ist sodann der immer noch neutral definierte Begriff des Wirkstoffes, der lediglich bestimmt, dass Stoffe nach der Aufnahme in den Organismus Wirkungen entfalten, wobei die Art der Wirkung und deren Bedeutung für die Gesundheit ohne belang sind. Mit dem Zusatz Arznei werden Stoffe zu Arzneistoffen, die dann »zur Anwendung in bzw. am Menschen oder Tier geeignet sind oder durch das Werturteil: nützlich für Mensch und Tier, charakterisiert sind.« Arzneistoffe werden zu Arzneimitteln dadurch, dass sie »dazu bestimmt sind, Krankheiten bei Mensch und Tier zu heilen, zu lindern, zu erkennen oder zu verhindern.« Der Stoff wird durch seine konkrete Zweckbestimmung zum Mittel.
Suchtstoffe sind demzufolge Stoffe, die nach der Aufnahme in den Organismus eine Sucht auslösen können und Suchtmittel sind nach den gegebenen Begriffsdefinitionen Mittel, die dazu bestimmt sind und mit der Absicht eingenommen werden, eine Sucht auszulösen oder zu erzeugen. Da jedoch kaum jemand eine Substanz einnimmt, um süchtig zu werden, ist die Sucht für den Konsumenten nicht das Ziel oder der Zweck der Einnahme und deshalb ist der Begriff Suchtmittel (als Mittel zur Sucht) im drogenpolitischen und aufklärerischen Kontext völlig fehl am Platz. Wer den Begriff Suchtmittel verwendet, offenbart, dass er akute Defizite in Kenntnissen der deutschen Sprache hat.
In der neuen Broschüre »Moderne Drogen- und Suchtpolitik« der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, die nebst zahlreichen Abbildungen etwa 24 Seiten Text umfasst, verwendet die Verfasserin Mechthild Dyckmans vornehmlich veraltete Begriffe zur erläuterung der amtlichen Präventionsansätze. Das Wort Sucht erscheint 21 Mal im Text nebst 75 Wortverknüpfungen mit dem Wortteil Sucht, neun davon heißen Suchtmittel. Das heute gebräuchliche Wort Abhängigkeit erscheint insgesamt nur fünf Mal im ganzen text. Die gängigen Begriffe psychische Abhängigkeit und physische Abhängigkeit kommen hingegen in der Broschüre nicht vor. Dyckmans versucht offenbar mit veralteten begriffen und dem Unwort Suchtmittel den Menschen in Deutschland die »Moderne Drogen- und Suchtpolitik« der Bundesregierung zu vermitteln. Die Diskrepanz zwischen Titel und Wortwahl im Text ist eklatant.