vonWolfgang Koch 22.03.2007

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Das innere Leben in Österreich ist dumpf katholisch geblieben. Vielleicht ist die tiefe bäuerliche Frömmigkeit am Land nur einer religiös maskierten Lebensangst gewichen, gut möglich. Neurosen und Psychosen saugen sich jedenfalls weiterhin an jedem Aufschwung zum Übernatürlichen. Am Attersee verehrt man bis heute ein Gnadenbild aus 1622, von dem sich ein blutroter Farbstreifen angeblich nicht mehr wegwischen lässt. Und in der Politik hätten Tiroler, Kärntner, Burgenländer und Steirer am liebsten einen Kaiser wieder zurück, aber auf Landesebene.

Einen Kaiser, ja freilich! In Ermangelung einer alpenländischen Erbmonarchie findet sich die Bevölkerung der genannten Länder schon heute mit einer absolutistischen Demokratie ab, in der Vererbung und Klügel die wichtigste Rolle spielen.

In den Länderrepräsentaten scheint der Virus des Provinziellen einen absolut lohnenden Wirtskörper zu finden. Die Landeshauptleute bilden ein wahres Panotikum der Peinlichkeit, eine präsentable Sammlung von Exoten und Dauerzuprostern, das kaum in das Bild einer modernen Gesellschaft passen will.

Man gewinnt in Österreich Wahlen mit Fussballersprüchen und Ausländerangst. Der NÖ-Landeshauptmarschall Erwin Pröll hat sich vor Jahren als stolzer Ein-Buch-Besitzer geoutet. Seine steiermärkische Parteikollegin Waltraud Klasnik bestand während ihrer Amtszeit um das Jahr 2000 auf die Anrede »Frau Landeshauptmann«, da es schliesslich auch in der Konditorei Colibri »Frau Ober« heisst, wenn man zahlen will.

Die ÖVP, sage ich, hat es geschafft, sich selbst zur perfekten Verkörperung der Provinz zu stilisieren: Dreist verbindet ihr Personal Patriotismus mit Ressentiment. Dreist trampeln ihre Minister auf den Grundfesten der Verfassung herum. Martin Bartenstein etwa regt einmal an, das Gleichheitsprinzip zu kippen und Kindererziehern mehr demokratisches Gewicht als Kinderlosen einzuräumen.

Eine Aussenministerin aus demselben Stall sprach dreist von »Anhaltelagern« für Flüchtlinge, also in der Diktion der christlichsozialen Diktatur 1933-38, die in solchen Camps ihre politischen Gegner vergittert hat. Der Elder Statesman Andreas Kohl liess uns via Kirchenzeitung wissen, dass er gerne »das religiöse Erbe unseres Landes« in der Präambel einer neuen Bundesverfassung erwähnt hätte. – Gebenedeiht sei die Frucht deines Leibes!

Soviel zur komplexen Gemengelage aus Provinz und People’s Party. Das Unschuldsbewusstsein, mit dem die Akteure hier am Werk sind, dürfte seinen Ursprung irgendwo im Aufbegehren einer rückständigen Agrar- und Standesgesellschaft gegen das stets übermächtige Zentrum Wien haben.

Haider konnte sich zwei Jahrzehnte lang als glorioser Vorkämpfer gegen die Vorherrschaft der Hauptstadt produzieren. Heute braucht es den Mann nicht mehr! Heute – da in Ferlach jedes Kind weiss, dass aller Übel aus dem Osten kommt (und der Jud‘ daran seinen Anteil hat) – besorgt die ÖVP das Geschäft genauso gut. Da helfen dem einstigen Rebellen aus dem Bärental auch die schrillsten Töne nichts mehr.

Die österreichische Innenpolitik ist ein Zirkus, in dem Clowns die Peitschen schwingen. Immer droht auch aus neuen Richtungen Gefahr für das G’müt: vor allem aus der Mittelmeerregion. Der Scheinasylant wurde mangels Masse von der Bedrohungsgestalt des Islamisten abgelöst. Doch die FPÖ hat den Wettlauf der Angst verloren. Das Unmenschelnde ist jetzt wieder Allgemeingut.

Die SPÖ bugsierte einen Kandidaten mit Sportfotos in den Landeshauptmannsessel; einer ihrer Budgetsprecher trug blaue Schweinchen auf der Krawatte, um den Gegner zu ärgern; und ihr Vorsitzender degustiert öffentlich Weine, um sich ein pipifeines Image zu verpassen.

Das Provinzielle ist auch bei den Grünen zu Hause: Sie lassen schon mal einen Kabarettisten auf die Rot-Weiss-Rot-Fahne »brunzen«. Und selbst die KPÖ, diese wackerste und zugleich unglaubwürdigste aller Österreichparteien, erlaubt auf ihrem Massenzusammenkünften das Spendensammeln für den Widerstandskampf der von der ölgierigen US-Junta rachsüchtig verfolgten irakischen Ché Guevaras.

Das Zurückgebliebene hat, wie wir sehen, viele hundert Gesichter. Ganz Österreich jubelte dem Auswanderer Arnie Sworzenegger zu, als der Schauspieler Gouvernour von Kalifornien wurde. Kein Mensch dachte auch nur einen Augenblick daran, dass es ein türkischstämmiger Neubürger in Österreich nicht einmal in den Gemeinderat von Hintertupfing schaffen würde.

Es liegt etwas brutal Anmassende in diesem Wir-Gefühl des Österreichers, und dieses Anmassende lebt täglich – massenmedial verstärkt und ausgebeutet – in hunderterlei Regungen fort. Oder haben Sie eine andere Erklärung dafür, warum jedes Jahr scharenweise junge Menschen ihr Land fliehen?

© Wolfgang Koch 2007
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