Es war einmal vor langer langer Zeit, als noch niemand hierzulande von Heuschrecken oder Hedge-Fonds gehört hatte, da schoss sich ein eben noch stolzer deutscher Konzern mit Öl-Termingeschäften so dermaßen selbst ins Knie, dass er bald danach zu existieren aufhörte. Metallgesellschaft hieß dieser Unglücksrabe, und er hatte ein so komplexes System von Risiko und Absicherung gestrickt, dass ihm vermutlich gar nichts Schlimmes passiert wäre, hätte er nur die paar Dutzend Milliarden Dollar flüssig gehabt, die er aufgrund einer plötzlich aufgetretenen Anomalie der Ölpreis-Entwicklung an Nachschussverpflichtungen leisten musste. So auf Anhieb hatte ich das alles nicht verstanden, als Ziemlich-Jung-Wirtschaftsredakteur mit Hauptaugenmerk auf die Treuhandanstalt, aber dankenswerterweise schrieb das Handelsblatt damals auf vollen zwei Seiten die Entwicklung und die Hintergründe des Metallgesellschafts-Desasters auf, und auch wenn nicht mehr die ganze Story nacherzählen kann, so habe ich sie doch über viele Jahre immer wieder als Musterbeispiel für ordentlichen Wirtschaftsjournalismus erwähnt und mir ein Wort gemerkt: Contango. So hieß nämlich diese Preis-Anomalie.
Da ich seither eher selten mit Warentermingeschäften befasst war, ist mir dieser Begriff 15 Jahre lang nicht mehr unter die Augen gekommen. Bis heute. Da begegnete er mir in der FTD:
Auf dem Ölmarkt macht eine neue Wortschöpfung die Runde: „Super-Contango“. Als „Contango“ wird eine Konstellation bezeichnet, bei der Preise zur Sofortlieferung (Kassapreis) mit einem starken Abschlag zu Terminpreisen handeln. Das ist aktuell der Fall: Händler, die vergangene Woche Öl zur Lieferung im Dezember kauften, bezahlten 40,81 $. Der Verkaufspreis für Öl zur Lieferung im Dezember 2009 lag dagegen deutlich höher bei 54,65 $.
Wem das noch zu kompliziert ist, der findet bei Wikipedia eine wesentlich elegantere Definition für Contango: „Die Äpfel am Bau sind teurer als die Äpfel auf dem Markt.“ Was, wie in einer Grafik eines FT-Artikels vom letzten Monat zu sehen ist, beim Öl seit kurzem, aber dafür umso heftiger der Fall ist.
Nun kann es natürlich sein, dass die Metallgesellschaft tatsächlich vor 15 Jahren ein Opfer mangelnden Risikomanagements geworden ist, und dass all jene Hedge-Fonds und sonstigen Spekulanten, die gerade an den Ölpreis-Rädern von heute und morgen drehen, viel viel schlauer und vorsichtiger sind. Dann würde diese Preis-Anomalie, der Super-Contango, früher oder später einfach wieder verschwinden, ohne den Total-Zusammenbruch eines oder mehrerer dieser Investoren zu produzieren. Dann fährt auch gerade kein Nick Leeson oder Jerome Kerviel eine Bank oder einen Konzern an die Wand, indem er immer verzweifelter darauf wettet, dass dieser Contango zu Ende geht. Dann müssten Sie sich dieses Wort auch gar nicht erst merken. Nach den Erfahrungen, die wir in den vergangenen 18 Monaten mit dem Risikomanagement der aktuellen Marktteilnehmer machen mussten, halte ich allerdings einen großen Kladderadatsch für wesentlich wahrscheinlicher.