Berliner gehen heute um 20.15 Uhr selbstverständlich zur Reformbühne Heim & Welt, wo Jakob Hein und ich, gemeinsam mit der nun wieder vollständigen Besatzung, also Jürgen Witte, Uli Hannemann, Falko Hennig und Ahne, neue Texte verlesen. Und Gäste begrüßen: Baufresse Andreas Gläser und die wunderbare Marlen Pelny leisten uns heute Gesellschaft. Alle anderen können einen angenehm ruhigen, zwar wenig überraschenden, aber dafür gut wegkuckbaren TATORT sehen, den ich nach längerer Zeit mal wieder für den Tatort-Fundus rezensiert habe:
Currywurst-Blues
Das Einschussloch ist kaum auszumachen. Man wundert sich, dass so eine kleine, unblutige Verletzung tödlich gewesen sein soll. Doch so ist es: Die alte Erika Roeder liegt tot im Bett, aber nicht das Herz hat ihr den Garaus gemacht, sondern ein Gasdruckrevolver. Wer könnte ein Interesse am Tod der alten Dame haben? Die, wie sich herausstellt, allerdings keineswegs nur als liebenswürdige Oma durch eines der klassischen Wohnquartiere für einfache Leute in Köln schlich, sondern als Hausbesitzerin mit offenbar, vorsichtig formuliert, eigenem Kopf – und eigenen Interessen.
So ermitteln Max Ballauf und Freddy Schenk rasch einen Kreis potenzieller Verdächtiger, die aus unterschiedlichen Gründen sehr wohl ein Motiv für den Mord gehabt hätten, und, so viel sei verraten, am Ende ist es dann halt einer gewesen.
Ein klassischer Whodunit also, den uns der WDR zum 50. Dienstjubiläum eines der populärsten TATORT-Teams präsentiert. Der zudem sämtliche Erfolgsingredenzien der Kölner enthält: Freddy und Max menscheln sich wieder durch die Handlung, dass kein Auge trocken und kein Argument unerwähnt bleibt. Und wieder nicht nur in Bezug auf den Fall selbst, sondern auch privat, diesmal geht es um ihre Currywurstfreundschaft. Denn Max, der ja schon seit ein paar Folgen den Postmidlife-Blues schiebt, steht vor Entwicklungen, die sein Leben über den Haufen werfen könnten (ein Coniunctivus irrealis, selbstverständlich, wir sind hier schließlich in Köln). Einerseits verliebt er sich in die charmante Polizeipsychologin (ein stiller Gruß nach Kiel?), andererseits bekommt er einen Job beim BKA in Wiesbaden angeboten (um dem einsamen Murot ein bisschen Kumpelhaftigkeit zu bringen?). Der drohende Umzug lässt Freddy hübsch eifersüchteln, und wenn man nicht wüsste, dass die nächsten Folgen schon abgedreht sind und ein Ende des Erfolgsteams schon im Vorfeld Schlagzeilen gemacht hätte, könnte man sogar kurz mal glauben, es käme tatsächlich zum Äußersten.
Und natürlich, Köln wäre sonst ja nicht Köln, wird all das vor einer gesellschaftskritischen Rahmenhandlung ausgetragen, diesmal gleich doppelt. Zum einen hat die Gentrifizierung längst auch den Rhein erreicht, und lustig schunkelnde Rentner sollen aus ihren angestammten Wohnungen und Innenhöfen vertrieben werden, um (selbstverständlich!) geldverwöhntem Mediengesocks Platz zu machen. Zum anderen ist eines der verdächtigen Kölner Originale, für das dann kein Platz im Quartier mehr wäre, eine gestandene Transe mit Hang zu Volksliedern und Sozialtick. So bekommt der Zuschauer einen Schwung Argumente rund um die „Stadtteilaufwertung“ ebenso zu hören und zu sehen, wie er auch manches über Müh und Plag des Transentums erfährt, beides mit der nicht zu würzigen Dosis Gesellschaftskritik, die in Köln eben auf dem Rezeptblock steht.
Dass das Ganze trotz so vieler Fertigzutaten dennoch kein fader Instant-Einheitsbrei geworden ist, sondern durchaus ein ordentlicher Krimi, liegt vor allem am großartigen Edgar Selge, der seine transsexuelle Trudi derart feinfühlig und ohne zu dick aufzutragen (von der Schminke naturgemäß einmal abgesehen) anlegt, dass es eine reine Freude ist. Leicht hätte dieser Part ins Kitschige kippen können, aber Selge versteht es, seine Figur mit schlafwandlerischer Sicherheit vor (fast) jedem Abgleiten zu bewahren und damit einen der interessantesten TATORT-Charaktere der jüngeren Zeit zu schaffen.
Auch wird das Diskurs-Prinzip diesmal nicht gar so penetrant zu Tode geritten. Trudis sexuelle Ausrichtung ist letztlich angenehm beiläufig in die Handlung integriert, und auch die Volkshochschulstunde zur Gentrifizierung kommt eher behutsam daher.
Schließlich sind es auch Max, Freddy, Franziska und Gerichtsmediziner Roth, das eingespielte Kölner Team also, die ihre ganz eigene unverwüstliche Qualität wunderbar ausspielen. Eine ordentliche Jubiläumsfolge also, und dabei eine der leiseren Töne.
Für einen großen TATORT fehlt es dann doch an Konsequenz und Eigensinn, dafür will der Film es zu sehr allen Recht machen und bleibt auch zu vorhersehbar in seiner Kölner Imbissbudenkuscheligkeit. Für einen Quotengaranten aber ist „Altes Eisen“ ein äußerst ansehbarer Streifen geworden, vor allem Dank eines überragenden Edgar Selge und eines Teams, das zwar für keine Überraschungen mehr steht, einem dafür aber ans Herz gewachsen ist und einen, ob man nun will oder nicht, praktisch selbst zum Teil des Kölner Klüngels macht.
Darauf eine Currywurst und ein Kölsch!