vonHeiko Werning 27.12.2009

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Glücklich, wer eine TV-Aufzeichnungsmöglichkeit zur Hand hat. Denn dann kann man am heutigen Sonntagabend um 20.15 Uhr entspannt die Reformbühne Heim & Welt im Kaffee Burger in Berlin-Mitte (Torstr. 60) mit ihrem formidablen Gaststar-Aufgebot in Form von Konrad Endler, Robert Rescue & Todosch genießen, nebst den üblichen Gastgebern, diesmal vertreten durch Ahne, Falko Hennig, Jürgen Witte und mich, und sich anschließend trotzdem den TATORT: “Altlasten” anschauen, denn das lohnt diesmal außerordentlich. Ein kleines Meisterwerk, in der jüngeren Zeit nur noch übertroffen vom TATORT: “Weil sie böse sind” am kommenden Sonntag, aber dazu mehr in der nächsten Woche, denn beide Filme durfte ich wieder für den immer lobenswerten Tatort-Fundus rezensieren. Hier meine Meinung zu “Altlasten”:

Würde und Last des Alters

Es ist eher ein Zufall, dass einem Amtsarzt vor der Einäscherung des verstorbenen achtzigjährigen Willy Schubert auffällt, dass dieser nicht einfach dem Alter und seinen diversen Krankheiten erlegen ist, wie der Hausarzt in den Totenschein geschrieben hatte, sondern dass da erheblich nachgeholfen wurde. Und so übernehmen Lannert und Bootz von der Stuttgarter Mordkommission. Aber wer könnte ein Interesse daran haben, den alten Herrn umzubringen? Das fragt sich auch die Familie, die auf die Nachricht vom Mord an ihrem Angehörigen fassungslos bis abwehrend reagiert. Die Ermittlungen decken allerdings rasch auf, dass Motive durchaus vorhanden wären. Tochter Eva etwa hat ihren kranken Vater lange Zeit aufopferungsvoll gepflegt, allerdings auch selbst alle Hände voll zu tun, denn sie hat zwei eigene Kinder großzuziehen, von denen eines auch noch behindert ist. Und sie möchte beruflich als Lehrerin wieder Fuß fassen und hat dafür ein gutes Angebot von ihrer Schule bekommen. Ihr Mann Holger hat die Anwaltskanzlei des alten Schuberts übernommen, ist aber mit den Prinzipien des Alten keineswegs glücklich. Der nämlich hatte sich – traumatisiert durch eigene schreckliche Erfahrungen – geweigert, Täter zu verteidigen und sich einen Ruf als „Opferanwalt“ aufgebaut. Holger dagegen möchte auf Ruhm und Honorare aus Anwaltschaften auch für Schwerverbrecher nicht verzichten und hat eben auch ein anderes Rechts-Ethos, nach dem jeder, auch wenn er abscheulichste Verbrechen beging, in einem Rechtsstaat Anspruch auf eine angemessene Verteidigung hat. Stand Willy Schubert dem Schwiegersohn also im Weg? Zumal es kurz vor dem Tod des Alten zum Streit kam? Oder war es der Bruder, der, zumindest nach den Maßstäben seiner Eltern, eher ziellos durchs Leben treibt und eine Erbschaft rein materiell gut gebrauchen könnte? Und wie ist der Hausarzt einzuschätzen, der den gewaltsamen Tod nicht bemerkt haben will, aber erdrückt wird von der Budgetierung, weil er hauptsächlich alte und damit medikamenten- wie kostenintensive Menschen im Patientenstamm hat?

Lannert und Bootz ermitteln im engeren Umfeld von Willy Schubert und geraten damit direkt in sehr grundsätzliche Fragen vom Miteinander der Generationen. Vor allem die zwischen ihren eigenen Ansprüchen zerrissene Eva bildet die Problemlage ab und steht im Zentrum des Films: Gleichzeitig möchte sie eine gute Mutter und Tochter sein, sich aber außerdem auch selbst in ihrem Beruf verwirklichen. Keine leichte Aufgabe, wie wir, dank des intensiven Spiels von Inka Friedrich und des klugen Drehbuchs von Katrin Bühlig, unmittelbar miterleben. Denn es ist keineswegs so, dass mit dem Tod des Vaters die Bahn frei wäre: Auch die Mutter, jetzt Witwe, braucht die Hilfe ihrer Tochter, zumal sie zunehmend etwas tüddelig wird und sich nun allein wohl nicht mehr gut zurechtfindet. Während dadurch die Beziehung zwischen Tochter und Mutter immer gespannter werden, entwickelt Lannert Sympathie mit der alten Dame, die zunehmend Vertrauen zu ihm fasst. Es ist ganz besonders auch diese zarte Bekanntschaft dieser zwei so unterschiedlichen Menschen, die „Altlasten“ zu einem ganz besonderen TATORT werden lassen. Ein leiser Krimi mit Zwischentönen, der sich viel Zeit lässt für seine Geschichte und seine Personen, dabei eine fast kammerspielartige Dichte erreicht – und überstrahlt wird von der herausragenden Bibiana Zeller als Witwe Brise Schubert. Mühelos schwebt sie zwischen lieber Oma, verzweifelter Witwe, zorniger Mutter, tüddeliger Greisin und lebenskluger Weiser durch den Film, tief berührend und dabei nie rührselig. Da Richy Müller seinen Lannert zwar präsent, diesmal aber ausnehmend zurückhaltend angelegt hat (auch wenn die Kamera abermals nicht widerstehen kann, ausführlich in seinen Gesichtsfalten zu versinken), kann Brise Schubert ungestört in allen Facetten schillern und damit die Last des Alters ebenso zeigen wie den Schatz an Lebenserfahrung.

Dagegen treten alle anderen Aspekte des Films zurück, und das ist auch gut so. Auch Bootz agiert eher unauffällig, hat allerdings eine eigene kleine Nebenhandlung, die einen gewissen Kontrast zum Hauptthema bietet. Weil sie wenig aufdringlich gehalten ist und zudem für einige humorvolle Momente sorgt, ist sie keineswegs störend: Denn auch Familie Bootz hat eine Schwiegermutter, und die ist zu Besuch und eher der Gegenpart zur freundlich-weisen Oma, nämlich ein Drachen, wie er im Buche steht, immer zum Angriff auf den Schwiegersohn bereit, der sich ihrer Meinung nach nicht gut genug um seine Familie kümmert. Als Familie Bootz dann zum gemeinsamen „Mensch ärgere dich nicht“ antritt, kommt einer der komischsten Momente der jüngeren TATORT-Geschichte.

Auch als Krimi kann „Altlasten“ durchaus überzeugen. Er bleibt auf dieser Ebene lange Zeit ein ganz klassischer Whodunnit mit solider Ermittlungsarbeit, nimmt dann aber gegen Ende eine – zumindest von mir – völlig unerwartete Wendung. Die Auflösung, die hier nicht einmal angedeutet werden soll, um die Freude beim Sehen nicht zu trüben, rührt letztlich zu Tränen, und ein ohnehin sehr starker TATORT steigert sich in ein großartiges und bewegendes Finale.

Man könnte an Kleinigkeiten mäkeln, etwa daran, dass der Themenkomplex „Ärzte haben es ganz schön schwer im immer wieder reformierten Gesundheitswesen“ etwas arg holzhammermäßig daherkommt und so wirkt, als sei hier pflichtschuldig noch schnell ordentlich Gesellschaftskritik draufgepfropft worden. Aber das kann angesichts des insgesamt starken und stimmigen Films die Laune nicht verderben. Einzig über den Schluss könnte man diskutieren, was ich hier aber kaum kann, ohne etwas zu verraten. Nur so viel: Beim Schauen schien er mir merkwürdig geradezu verkitscht, wie ein übertriebenes Hollywood-Happy-End, sodass ich mich fast schon ärgern wollte. Nach einigem Nachdenken aber scheint es mir jetzt so, dass gerade dieser Schluss nötig war, um dem Film den letzten Schliff zu geben, denn sonst wäre es auf eine bedenkliche Weise ein etwas anderes Happy End geworden, und durch diesen Kontrast wirft gerade das Ende noch einmal sehr deutlich die ethische Fragen auf, die den Kern des Themas „Umgang mit dem Alter“ existenziell ansprechen.

Kurzum: Zum Ende des Jahres bietet der TATORT noch einmal einen echten Höhepunkt mit einem zwar stillen, aber großartigen Film zu einem wichtigen Thema, zudem an Weihnachten sehr passend platziert ist. Die neuen „Stuttgarter“ haben sich damit jedenfalls endgültig in die Oberliga der aktuellen TATORT-Teams gespielt.

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