vonHelmut Höge 24.11.2010

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Passend zu seiner Titelstory über den neuen deutschen Herbst: „Terror-Alarm in Deutschland“ bringt das ehemalige Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ heute einen langen Nachdruck der schärfsten Stellen aus dem anonymen Bestseller des Nautilus-Verlags: „Der kommende Aufstand“. In der Vorbemerkung heißt es: „‚Der kommende Aufstand‘ ruft tatsächlich zu Sabotage, Subversion und auch Gewalt auf“. Die FAZ  sprach von dem „vielleicht wichtigsten revolutionären Buch der letzten Zeit“, ein US-Fernsehkommentator nannte es das „möglicherweise böseste Buch“ was er je gelesen habe. Der reichste Mann der Welt, Waren Buffett beruhigte ihn – in seinem Investorenrundbrief: „Wenn Klassenkampf geführt wird, gewinnt meine Klasse klar.“ Die taz schätzte das in allen möglichen Sprachen übersetzte Pamphlet „Der kommende Aufstand“ als üblen „Revisionismus“ ein, gestützt auch noch auf den Naziphilosophen Carl Schmidt, und kritisierte die „elitäre Revoluzzer-Pose“ der anonymen Autoren, die sich „unsichtbares Komitee“ nennen. In der vergangenen Woche war „Der kommende Aufstand“ bereits Thema auf einer Veranstaltung der linken Berliner Buchläden – „Schwarze Risse“ und „O21“ – im Festsaal Kreuzberg: „Tatort Buchladen“. Es ging um die immer häufigeren polizeilichen Durchsuchungen dieser Läden nach linksradikalen Publikationen, in denen angeblich Gewalt verherrlicht wird. Eine der Buchhändlerinnen zog einen Vergleich zwischen dem von FAS  und SZ wegen seiner poetischen Sprachkraft  hochgelobten Bestseller „Der kommende Aufstand“ und den immer wieder beschlagnahmten Ausgaben z.B. der Autonomenzeitschrift „mit bundesweiter Bedeutung“ (Wikipedia): der 1988 in Berlin gegründeten „interim“. „Der kommende Aufstand“ – dieses „Manifest des militanten Aussteigertums“ (Der Spiegel) – sei nicht weniger radikal als die „interim“, in der die Staatsanwaltschaft Sätze wie diese beanstandete: „Hauptsache, es knallt!“ „Unser Anliegen besteht darin, die deutsche Einheitsfeier zu einem Desaster zu machen!“ „Vom Straßentheater bis zum Grillanzünder, wir können uns da ’ne Menge vorstellen.“ „Die politisch Verantwortlichen haben Namen, Adressen und oft auch schicke Autos vor der Tür.“

Hinter den Autoren dieser und ähnlicher Sätze sind die Staatsanwälte schon seit mindestens 15 Jahren – vergeblich – hinterher. Nun haben sie sich jedoch was Neues ausgedacht: Sie wollen die Buchhändler zur Verantwortung ziehen, die die „interim“ verkaufen – mit dem selben Paragraphen 130a Strafgesetzbuch: „Anleitung zu Straftaten mittels Schriften, die verbreitet werden oder mit Worten auf einer Versammlung“.

Just am Tag der Protestveranstaltung im vollbesetzten Festsaal wurde den Buchhändlern die Anklageschrift zugestellt. Auf dem Podium dort saß u.a. der einstige  taz-Redakteur und heutige Jurist Oliver Tolmein. Er sah in dem staatlichen Vorgehen gegen die linken Buchläden einen weiteren Versuch, linke  Strukturen als „Terrorzentralen“ zu zerschlagen. Die Ladenbesitzer sollen dadurch unter Druck gesetzt werden, um autonome Publikationen nicht mehr zu verkaufen. Dagegen müsse sich die Linke wehren. Tolmein erinnerte daran: „Die taz begann auch einmal als linkes Projekt – ging dann aber verloren.“ Andererseits wurde auf der Veranstaltung auch gesagt – an die Adresse u.a. der „interim“: „Es gibt Wichtigeres als Bauanleitungen für Molotow-Cocktails veröffentlichen zu können.“ Zudem würden solche Dinge auch längst „im Netz“ diskutiert. Das Internet sei bisher noch unangefochtener, auch wenn einige linke Provider immer mal wieder von Polizeiaktionen betroffen sind. Grundsätzlich seien jedoch die Strukturen im digitalen Netz analog zu denen auf dem Papier. Als Widerstandsaktion gegen weitere Razzien in linken Buchläden wurde dennoch eine „Twitter-Kaskade“ empfohlen. Sie habe sich ganz hervorragend bei schnellen Aktionen gegen „Stuttgart 21“ bewährt, wie einige von dort angereiste Aktivisten berichteten.

Auf die Frage, ob man über weitere Schritte zum Schutz der linken Buchläden vor staatlichen Eingriffen diskutieren oder generell eine „Militanz-Debatte“ führen wolle, kam keine Antwort, denn zuvor war man sich schon fast einig gewesen, dass das „linke Umfeld“ sich verändert habe, dahingehend, dass staatliche Repressionsmaßnahmen nur noch von den Betroffenen und einem kleinen Sympathisantenkreis registriert werden. Oder anders gesagt: „Uns ist die linksradikale Debatte verloren gegangen. Wir sollten erst Mal versuchen, sie wieder zu führen. Die Selbstzensur läßt sich nur durch eine starke Solidarität verhindern.“ Daneben war noch von „medialer Selbstverteidigung“ die Rede – wie auch schon bei der taz-Gründung nach dem Deutschen Herbst 1978. Einige sahen einen solchen bereits erneut dräuen. Und warben schon mal mit einem Flugblatt der ebenfalls oft und gerne verbotenen Zeitschrift „radikal“ für den „Aufbau verdeckt organisierter Medien“. Andere beruhigten sie: Noch sei vor Gericht nicht aller Tage Abend. Wieder andere warnten vor opportunistischer Solidarität mit einer Streetfighter-Romantik. Es gäbe Wichtigeres. Auch das hat man in solchen Widerstands-Debatten schon gehört – von den Kreuzberger Grünen zwecks Abgrenzung von den Autonomen in den Achtzigerjahren z.B..

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