vonHeiko Werning 28.03.2009

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Uff, was für ein Wochenende: Am Donnerstag der schöne, aber tränen- und wodkareiche Abschied vom Laine-Art nach sechs wunderbaren Jahren mit den Brauseboys dort, am Freitag die große Umzugsfeier im La Luz, zu der sage und schreibe an die 250 Leute kamen – mehr als doppelt so viel, wie wir (und das La Luz) in unseren optimistischsten Schätzungen erwartet hatten. Und: Trotz Warteschlangen zum Bier, der Abend war großartig! Ein perfekter Start am neuen Ort. Ab jetzt also, jeden Donnerstag, 20.30 Uhr: die Brauseboys im La Luz, Osram-Höfe, Oudenarder Str. 13-15, Berlin-Wedding. Kommt alle.

Und morgen wieder Reformbühne Heim & Welt, um 20.15 Uhr im Kaffee Burger, Torstr. 60, Berlin-Mitte. Jakob Hein, Ahne, Falko Hennig, Jürgen Witte und ich begrüßen morgen eine illustre Gästerunde: Rayk Wieland vom Toten Salon in Hamburg ist da, außerdem die schräge CloOzy und dazu Sebastian Block von der Band Mein Mio.

Den zeitgleich laufenden Tatort muss man dafür nicht mal aufnehmen, wenn man zur Reformbühne kommt. Der taugt nicht. Obwohl vom eigentlich ja fast immer treffsicheren Münchener Team, ist das Ganze diesmal ein großer Esoterik-Quark. Der Bösewicht wird letztlich über seine Aura ausgemacht und von einem seherisch begabten Köter gestellt. Das wäre ja nun wirklich nicht nötig gewesen. Ausführlich rezensiert habe ich den Film für den Tatort-Fundus:


Aufklären gegen die Aufklärung
„Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit euch träumen lässt“, so wetterte schon Shakespeares Hamlet gegen den Geist der Aufklärung, und selbst als hartnäckigster Gegner von jedem Glauben an Übersinnliches muss man jetzt die Waffen strecken und zugeben: Ja, nämlich der TATORT „Gesang der toten Dinge”.

Die Handlung lässt zunächst noch nichts Böses ahnen, denn warum nicht mal eine Geschichte im Esoterik-Milieu ansiedeln? Also: Doro Pirol, die – nun ja – Moderatorin einer jener durch die hinteren TV-Kanäle marodierenden Astro-Shows wird tot aufgefunden. Alles sieht erst so aus, als hätte die Dame ihren schon zu Lebzeiten recht direkten Weg zu den Engelchen eigenmächtig abgekürzt und sich erschossen. Eine Freundin glaubt das aber nicht, sie hält den Abschiedsbrief für gefälscht. Batic, Leitmayr und die gerade gastierende Kriminalerin Gabi Kunz aus Basel finden zudem Indizien, die eher auf Mord schließen lassen.
Mit dem Ehemann der Getöteten, der vor der Kamera auf du und du mit Erzengel Gabriel parliert, ist rasch ein Verdächtiger gefunden, denn offenbar war das Ehe-Karma der beiden durch ziemlich irdische Dinge wie Fremdgehen gestört. Wie überhaupt die Stimmung unter den Esoterikern gespannt ist: Der Stiefvater, der selbst mit einer zweifelhaften Professur an wahrsagerisch mehr oder minder begabten Personen forscht, verstand sich nicht gut mit seinem Schwiegersohn, offenbar hält jeder in der Szene den anderen für einen Scharlatan.Die Kommissare finden in Doros Nachlass den Hinweis auf eine Fefi, eine Art moderner Kräuterhexe, die Auren sieht, damit Krankheiten und das Wetter vorhersagt und ansonsten Teechen zusammenstellt. Und die außerdem noch den „Gesang der toten Dinge“ auf Band aufnimmt, woraus ein befreundeter Mediziner Symphonien knarzender Türen arrangiert. Dazu kommt – ohne geht’s im TATORT anscheinend nicht mehr – ein kuscheliger Hund und eine entführte Katze.

Das Personal dieses Films ist also eine ziemliche Freakshow, der Krimi eine Komödie. Das Zusammentreffen der rational denkenden Kommissare mit den schrägen Anhängern des Übersinnlichen und Astrologischen bietet natürlich allerhand Munition für schöne, geschliffene Wortgefechte, und das in Sachen Humor ja bestens bewährte Münchener Team sorgt dafür, dass das Ganze phasenweise wirklich komisch ist. Und auch das Ermittlerteam selbst lässt sich nicht lumpen: ein Gerichtsmediziner mit zwanghaftem Tick und die taffe schweizerische Gastermittlerin, die sich mühevoll zwingen muss, für deutsche Ohren überhaupt verständlich zu sprechen, sorgen für zahlreiche weitere komische Effekte. Es ist ein bisschen, als wollte der BR dem Münsteraner TATORT-Team mal zeigen, was ´ne Harke ist. Wenn man Gefallen an gehobenem Humor und komödiantischen Krimi-Handlungen findet, dann wird man seine Freude haben an diesem hervorragend besetzten, atmosphärisch dichten Film. Allerdings sollte man sich dann auch das eingangs angeführte Shakespeare-Zitat zu eigen machen. Jene Zuschauer aber, die auf dem naturwissenschaftlichen Boden der Tatsachen stehen und sich eher der Tradition der Aufklärung verpflichtet fühlen, brauchen schon wirklich gute Nerven, um das alles wohlwollend zu betrachten. Man reibt sich zunehmend verwundert die Augen, denn ganz allmählich wird es einem klar: Dieser Film spielt gar nicht zweideutig mit dem Übersinnlichen – er setzt es, trotz einiger Hintertürchen, ziemlich eindeutig als real gegeben voraus. Oder um es mit Regisseur Thomas Roth zu sagen: “Ich glaube nicht dran, aber der Film glaubt schon ein bissl dran!”
Wirkt es nach dem recht brachialen Einstieg mit all den Verrückten noch so, als wolle das Buch sich vom allzu einfachen Draufhauen auf die Esoterik-Spinner mit der Einführung der fraglos faszinierend zwischen Erdigkeit und Seherei schwebenden Figur Fefi distanzieren und so etwas wie Tiefe in die Charaktere bringen, die allein sonst zu klischeehaft ausgefallen wären, ist es bald schon umgekehrt: Vorgeführt werden die „G’scheiten“ – hier Leitmayr und Kunz –, die engstirnig und verrannt an so was Triviales wie Indizien und Beweise glauben und daran, dass es für alles eine vernünftige Erklärung geben muss, während Batic längst übergelaufen ist und sich lieber an gereimte Spökenkiekereien hält.
Denn es gibt ja mehr Dinge zwischen Himmel und Erde usw. Der strikte Glaube an die Rationalität wird aber nicht nur hinterfragt, er wird schlicht dekonstruiert. Denn in diesem Film ist das Übersinnliche letztlich unangezweifelte Tatsache. Ohne würde die Handlung irgendwann nur noch schwer funktionieren, ohne könnte der Täter nur wenig glaubhaft überführt werden. Da ist es auch nur folgerichtig, dass die nüchterne Schweizer Kollegin am Ende bekehrt wird und sich zur Sprechstunde bei Fefi einfindet.Und da darf man ja ruhig mal fragen: Brauchen wir ganz unbedingt ausgerechnet weniger Rationalität in der Gesellschaft, brauchen wir ein größeres Verständnis für Esoterisches, Übersinnliches, Unerklärliches? Wenn uns die Pressemappe darauf hinweist, dass um die 40% der Deutschen irgendwelchem Aberglauben anhängen – muss ausgerechnet der TATORT sie darin auch noch bestärken? Müssen die Ermittlerteams demnächst um Wahrsager und Sternengucker ergänzt werden?

Da bleibt einem schon die Spucke weg. Dieser TATORT stößt uns also – zwar komödiantisch luftig und leicht, in der Sache aber unerbittlich – mal richtig zurecht, dass man eben nicht alles erklären kann. Natürlich, das BR-TATORT-Team ist derart hochklassig, dass letztlich immer ein irgendwie ansehnlicher und diesmal phasenweise auch recht lustiger Film dabei herumkommt, zumal die Figuren, vor allem Fefi und Gabi Kunz, ganz wunderbar gespielt werden. Und, ja, das besondere Qualitätsmerkmal der Reihe ist ja gerade, dass hier auch Experimente gewagt werden können, dass man den üblichen Rahmen verlassen kann. Ob man aber unbedingt das Experiment eingehen musste, allerlei Hokuspokus das Wort zu reden? Ich zumindest hätte auf eine Überführung mittels der Aura des Täters und sein Dingfestmachen durch einen paranatürlich begabten Köter gut und gerne verzichten können.

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