Und wieder habe ich für den Tatort-Fundus eine Folge  vorab angeschaut, und sie ist immerhin ganz solide. Kann man aufnehmen,  während man natürlich wie immer am Sonntagabend um 20.15 Uhr bei der Reformbühne  Heim & Welt den Buchmesse- und anderen Erlebnissen von Uli  Hannemann, Ahne, Falko Hennig, Jürgen Witte und mir lauscht (Jakob Hein  ist im Urlaub) und dabei unsere fabulösen Gäste Ralf Welteroth (von ganz  weit weg) und Thilo Bock (Westberlin) bestaunt.
Köln klassisch
Ein Jugendamtmitarbeiter wird ermordet in der Wohnung einer  alleinerziehenden Mutter vorgefunden. Während Ballauf und Schenk erste  Spuren sammeln, kommt die Mutter an den Tatort und vermisst ihre  vierjährige Tochter. Die nämlich hatte sie am frühen Abend in ihr Zimmer  eingeschlossen, um ungestört durch die Discos ziehen zu können, wobei  sie dann wo auch immer versackte und nun also verstört den toten  Beamten, eine Horde Polizisten und eben keine Tochter in ihrer Wohnung  vorfindet. Somit ist die Frau als Rabenmutter geoutet. Aber hat sie auch  den Beamten umgebracht? Oder der getrennt lebende Vater? Der dann  womöglich auch gleich das Mädchen entführt hat?
Na endlich – ich bin sicher nicht der einzige Freund des TATORTs, der  den Eindruck hatte, dass wir gerade eine ziemliche Durststrecke 
durchlitten  haben, mit mehreren ganz außergewöhnlich missratenen Folgen  hintereinander vom Ammerland über Bremen bis nach Ludwigshafen und  Leipzig. Auch das Kölner Team schwächelt nun schon eine Weile, zumindest  verglichen mit den Höhenflügen vergangener Tage. Umso erfreulicher,  dass „Kaltes Herz“, dem drögen, beliebig verwechselbaren und auch noch  ziemlich redundanten Titel (siehe „Rabenherz“ vom selben Team ein Jahr  zuvor) zum Trotz, eine äußerst solide, geradezu klassische Kölner Folge  geworden ist, die mit ihrer Mischung aus routinierter Spannung, soliden  schauspielerischen Leistungen und einer ordentlichen Portion  Sozialkritik zwar immer noch gut geeignet ist, manchem TATORT-Kritiker  die Zornesäderchen anschwellen zu lassen, aber den Großteil der Gemeinde  sicher erst mal erleichtert aufatmen lassen wird.
Der wieder betont gemütsmenschlich agierende Freddy Schenk und ein immer  hübscher vermelancholisierender Max Ballauf kehren diesmal also endlich  mal wieder in die Mietskasernen- und Kleingarten-Tristesse zurück. Das  Thema des Films ist der Umgang mit Kindern, dazu wird auch eine  parallele Nebenhandlung um Kommissariatsmitarbeiterin Franziska  Lüttgenjohann als Kontrapunkt gesponnen. Im Lauf der Ermittlungen  erfahren wir einiges über die deprimierenden Situationen, mit denen sich  das Jugendamt auseinanderzusetzen hat, die hohe psychische Belastung  der Beamten wird angedeutet, aber auch, welch für die Kinder  traumatisierende Folgen ihre Entscheidungen zeitigen können. Und nicht  zuletzt geht es auch um handfeste wirtschaftliche Interessen, die der  „Sozialmarkt“ bereithalten kann.
Das ist alles sehr solide umgesetzt, und man kann fast erleichtert  zunächst mal festhalten, dass die Kommissare diesmal wirklich niemand  der involvierten Personen kennen, dass ihr Privatleben kaum eine Rolle  spielt, dass die Nebenhandlung um Franziska wohltuend zurückhaltend und  thematisch bereichernd inszeniert ist, dass der obligatorische Running  Gag, einmal mehr um Freddys Autotick konstruiert, zwar müde, aber nicht  allzu penetrant ist. Das Thema ist durchaus interessant, die  Ermittlungsarbeiten sind nachvollziehbar, Auflösung und Ablauf halbwegs  plausibel (obwohl ich die Sache mit der Mütze am Ende nicht ganz  verstanden habe, vielleicht kann da das Forum des TATORT-Fundus nach der  Ausstrahlung helfen) – damit ist ja schon mal eine Menge gewonnen. Dazu  kommt die ebenso oft geschmähte wie aber doch essenziell zur  TATORT-Reihe gehörige gesellschaftliche Relevanz mit  Zeitdokumentcharakter.
Allerdings ist „Kaltes Herz“ nicht gerade Höhepunkt der Reihe. Die  ganze Inszenierung wirkt etwas zu routiniert, der Streifen repräsentiert  mehr solides Handwerk als inspirierte Filmkunst, vielleicht wollte man  auch einfach auf Nummer sicher gehen und bloß niemand verstören. So  erreicht die Intensität des Sozialdramas nicht näherungsweise die  irritierende wie polarisierende Klasse, mit der uns vergleichbare Themen  in der Dellwo/Sänger-Ära aus Frankfurt am Main präsentiert wurden.  Vieles bleibt Behauptung: Die Wohnung der Mutter soll verwahrlost sein,  wirkt aber eher unaufgeräumt. Ein Hip-Gläschen muss als Beleg für die  namengebende Kaltherzigkeit der Mutter herhalten, die lieber auf  Fertignahrung zurückgreift, statt ihr Kind altersadäquat zu bekochen; in  Verbindung mit offenbar zahlreichen durchzechten Nächten passt das aber  nur bedingt zum finanziellen Rahmen, den man andererseits unterstellen  möchte. Auch die Mutter selbst wirkt eher ungeordnet als abgründig, so  ganz kauft man ihr den Lebenswandel und die emotionalen Verwerfungen  nicht ab, die ihr angeschrieben wurden. Wobei allerdings positiv zu  vermerken ist, dass die Rolle immerhin erfreulich uneindeutig angelegt  ist mit ihrer Ambivalenz zwischen kaltherziger Schlampe, die dem Kind  Schlaftabletten verabreicht, damit es nicht stört, und eben doch  liebender Mutter, die für ihr Mädchen sogar ins Gefängnis geht. So  ähnlich könnte man das auch bei anderen Aspekten des Films  durchdeklinieren: Letztlich war das Bemühen wohl stärker, möglichst  viele Facetten des Kinder-Themas plus auch noch eine möglichst  überraschende Whodunnit-Story zusammenzurühren, statt sich auf einige  Aspekte zu beschränken und diese dafür eindringlicher darzustellen.
So bleibt auch die gesellschaftliche Relevanz letztlich etwas stecken im  auf der gemütlichen Fernsehcoach gemurmelten: „Schlimm, schlimm, wie es  manchmal so zugeht da draußen“ – es dürfte aber schon beim Anklingen  von Anne Wills Titelmelodie keine wirklich störende  Nachwirkung beim  Zuschauer zurückgeblieben sein. Da ist es nicht ganz ironiefrei, dass  der brisanteste Aspekt des Films letztlich die Tatsache ist, dass die  Szenen, die im Archiv des Jugendamts spielen, wenige Tage vor dem  Einsturz des Kölner Stadtarchivs ebendort gedreht wurden.
Aber, um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Erleichterung dürfte trotzdem bei vielen TATORT-Freunden aufkommen, dass nach den Abstürzen und leider noch nicht ganz vergessenen Erinnerungen der letzten Wochen zumindest wieder eine grundsolide, ordentlich gemachte und von ruhig durch die Handlung führenden Kommissaren getragene, sehr klassisch kölnische Folge ausgestrahlt wird.