vonHeiko Werning 21.03.2010

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Und wieder habe ich für den Tatort-Fundus eine Folge vorab angeschaut, und sie ist immerhin ganz solide. Kann man aufnehmen, während man natürlich wie immer am Sonntagabend um 20.15 Uhr bei der Reformbühne Heim & Welt den Buchmesse- und anderen Erlebnissen von Uli Hannemann, Ahne, Falko Hennig, Jürgen Witte und mir lauscht (Jakob Hein ist im Urlaub) und dabei unsere fabulösen Gäste Ralf Welteroth (von ganz weit weg) und Thilo Bock (Westberlin) bestaunt.

Köln klassisch
Ein Jugendamtmitarbeiter wird ermordet in der Wohnung einer alleinerziehenden Mutter vorgefunden. Während Ballauf und Schenk erste Spuren sammeln, kommt die Mutter an den Tatort und vermisst ihre vierjährige Tochter. Die nämlich hatte sie am frühen Abend in ihr Zimmer eingeschlossen, um ungestört durch die Discos ziehen zu können, wobei sie dann wo auch immer versackte und nun also verstört den toten Beamten, eine Horde Polizisten und eben keine Tochter in ihrer Wohnung vorfindet. Somit ist die Frau als Rabenmutter geoutet. Aber hat sie auch den Beamten umgebracht? Oder der getrennt lebende Vater? Der dann womöglich auch gleich das Mädchen entführt hat?

Na endlich – ich bin sicher nicht der einzige Freund des TATORTs, der den Eindruck hatte, dass wir gerade eine ziemliche Durststrecke durchlitten haben, mit mehreren ganz außergewöhnlich missratenen Folgen hintereinander vom Ammerland über Bremen bis nach Ludwigshafen und Leipzig. Auch das Kölner Team schwächelt nun schon eine Weile, zumindest verglichen mit den Höhenflügen vergangener Tage. Umso erfreulicher, dass „Kaltes Herz“, dem drögen, beliebig verwechselbaren und auch noch ziemlich redundanten Titel (siehe „Rabenherz“ vom selben Team ein Jahr zuvor) zum Trotz, eine äußerst solide, geradezu klassische Kölner Folge geworden ist, die mit ihrer Mischung aus routinierter Spannung, soliden schauspielerischen Leistungen und einer ordentlichen Portion Sozialkritik zwar immer noch gut geeignet ist, manchem TATORT-Kritiker die Zornesäderchen anschwellen zu lassen, aber den Großteil der Gemeinde sicher erst mal erleichtert aufatmen lassen wird.
Der wieder betont gemütsmenschlich agierende Freddy Schenk und ein immer hübscher vermelancholisierender Max Ballauf kehren diesmal also endlich mal wieder in die Mietskasernen- und Kleingarten-Tristesse zurück. Das Thema des Films ist der Umgang mit Kindern, dazu wird auch eine parallele Nebenhandlung um Kommissariatsmitarbeiterin Franziska Lüttgenjohann als Kontrapunkt gesponnen. Im Lauf der Ermittlungen erfahren wir einiges über die deprimierenden Situationen, mit denen sich das Jugendamt auseinanderzusetzen hat, die hohe psychische Belastung der Beamten wird angedeutet, aber auch, welch für die Kinder traumatisierende Folgen ihre Entscheidungen zeitigen können. Und nicht zuletzt geht es auch um handfeste wirtschaftliche Interessen, die der „Sozialmarkt“ bereithalten kann.
Das ist alles sehr solide umgesetzt, und man kann fast erleichtert zunächst mal festhalten, dass die Kommissare diesmal wirklich niemand der involvierten Personen kennen, dass ihr Privatleben kaum eine Rolle spielt, dass die Nebenhandlung um Franziska wohltuend zurückhaltend und thematisch bereichernd inszeniert ist, dass der obligatorische Running Gag, einmal mehr um Freddys Autotick konstruiert, zwar müde, aber nicht allzu penetrant ist. Das Thema ist durchaus interessant, die Ermittlungsarbeiten sind nachvollziehbar, Auflösung und Ablauf halbwegs plausibel (obwohl ich die Sache mit der Mütze am Ende nicht ganz verstanden habe, vielleicht kann da das Forum des TATORT-Fundus nach der Ausstrahlung helfen) – damit ist ja schon mal eine Menge gewonnen. Dazu kommt die ebenso oft geschmähte wie aber doch essenziell zur TATORT-Reihe gehörige gesellschaftliche Relevanz mit Zeitdokumentcharakter.

Allerdings ist „Kaltes Herz“ nicht gerade Höhepunkt der Reihe. Die ganze Inszenierung wirkt etwas zu routiniert, der Streifen repräsentiert mehr solides Handwerk als inspirierte Filmkunst, vielleicht wollte man auch einfach auf Nummer sicher gehen und bloß niemand verstören. So erreicht die Intensität des Sozialdramas nicht näherungsweise die irritierende wie polarisierende Klasse, mit der uns vergleichbare Themen in der Dellwo/Sänger-Ära aus Frankfurt am Main präsentiert wurden. Vieles bleibt Behauptung: Die Wohnung der Mutter soll verwahrlost sein, wirkt aber eher unaufgeräumt. Ein Hip-Gläschen muss als Beleg für die namengebende Kaltherzigkeit der Mutter herhalten, die lieber auf Fertignahrung zurückgreift, statt ihr Kind altersadäquat zu bekochen; in Verbindung mit offenbar zahlreichen durchzechten Nächten passt das aber nur bedingt zum finanziellen Rahmen, den man andererseits unterstellen möchte. Auch die Mutter selbst wirkt eher ungeordnet als abgründig, so ganz kauft man ihr den Lebenswandel und die emotionalen Verwerfungen nicht ab, die ihr angeschrieben wurden. Wobei allerdings positiv zu vermerken ist, dass die Rolle immerhin erfreulich uneindeutig angelegt ist mit ihrer Ambivalenz zwischen kaltherziger Schlampe, die dem Kind Schlaftabletten verabreicht, damit es nicht stört, und eben doch liebender Mutter, die für ihr Mädchen sogar ins Gefängnis geht. So ähnlich könnte man das auch bei anderen Aspekten des Films durchdeklinieren: Letztlich war das Bemühen wohl stärker, möglichst viele Facetten des Kinder-Themas plus auch noch eine möglichst überraschende Whodunnit-Story zusammenzurühren, statt sich auf einige Aspekte zu beschränken und diese dafür eindringlicher darzustellen.
So bleibt auch die gesellschaftliche Relevanz letztlich etwas stecken im auf der gemütlichen Fernsehcoach gemurmelten: „Schlimm, schlimm, wie es manchmal so zugeht da draußen“ – es dürfte aber schon beim Anklingen von Anne Wills Titelmelodie keine wirklich störende Nachwirkung beim Zuschauer zurückgeblieben sein. Da ist es nicht ganz ironiefrei, dass der brisanteste Aspekt des Films letztlich die Tatsache ist, dass die Szenen, die im Archiv des Jugendamts spielen, wenige Tage vor dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs ebendort gedreht wurden.

Aber, um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Erleichterung dürfte trotzdem bei vielen TATORT-Freunden aufkommen, dass nach den Abstürzen und leider noch nicht ganz vergessenen Erinnerungen der letzten Wochen zumindest wieder eine grundsolide, ordentlich gemachte und von ruhig durch die Handlung führenden Kommissaren getragene, sehr klassisch kölnische Folge ausgestrahlt wird.

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