vonHeiko Werning 04.04.2010

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Heute, Ostersonntag, begrüßt die Reformbühne Heim & Welt als illustre Gäste das Prenzlauer-Berg-Gesamtkunstwerk Tarzan und die Regisseurin und Lesebühnen-Newcomerin Sarah Bosetti, eine fürwahr abwechslungsreiche Mischung. Das muss man gesehen haben, es wird so oder so einzigartig werden. Und nicht vergessen, den Videorekorder zu programmieren, denn der TATORT, den ich vorab für den Tatort-Fundus besprochen habe, ist ein ebenfalls in jeder Hinsicht sehenswerter: Tango für Borowski.

Schlaflos durch Finnland

Ein 17-jähriger Ex-Junkie, der in seiner Sucht schwer straffällig geworden ist, muss noch einmal vernommen werden. Unglücklicherweise sitzt der Junge aber nicht in Kiel in Therapie, sondern in Finnland, und noch unglücklicher ist, dass er dort während der Mittsommernacht eine junge Frau vergewaltigt und ermordet haben soll und nun in Haft ist. Borowski, der damals gegen den Jungen ermittelt hat, wird von seinem Chef deshalb in den hohen Norden entsandt. Helsinki sei schließlich eine tolle Stadt, strahlt er seinen immer mürrischen Kommissar an, er solle doch einfach ein paar Tage dran hängen.
In Helsinki angekommen stellt sich allerdings heraus, dass der Jugendliche keineswegs in der Hauptstadt einsitzt, sondern tief in den Wäldern an der russisch-finnischen Grenze, in einer Gegend, wo das Leben von der Natur bestimmt wird, wo Touristen dem Ruf der Wildnis folgen und hin und wieder auch mal dabei verloren gehen und wo Wegbeschreibungen so klingen: 500 km nach Osten und dann rechts abbiegen.

„Tango für Borowski“ ist ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher TATORT. Der in Deutschland wirkende finnische Regisseur Hannu Salonen hat den alten deutschen Dampfer diesmal in ungewöhnliche Gewässer gelenkt: Fast die ganze Folge spielt am nordöstlichsten Rand von Europa, inmitten urwüchsiger Natur, in endlosen Wäldern und zwischen glitzernden Seen. Die Kamera ist ganz berauscht von dieser Kulisse und schwelgt geradezu durch die ebenso urwüchsige wie dann aber doch auch unheimliche Landschaft. Im Sommer, zur Zeit der Mitternachtssonne. Borowski teilt das Schicksal von Al Pacino in „Insomnia – Schlaflos“, auch er ist der seltsamen Magie und der immerwährenden Helligkeit nördlich des Polarkreises hilflos ausgeliefert. Es wird niemals dunkel, und so sehr Borowski sich auch bemüht, sein Schlafzimmer lichtdicht zu verhängen, er wird beständig übernächtigter, was dem eigenwilligen Ermittler gut steht. Ebenso wie sein finnischer Begleiter, der Polizist Mikko Väisanen, der in seiner lakonischen Wesensart nicht nur dem Idealbild jedes Kaurismäki-Films entspricht, sondern dessen Darsteller ebendort auch schon brillierte. Wie überhaupt der ganze TATORT durchaus als liebevoller Kaurismäki-Tribute zu sehen ist.
„Tango für Borowski“ ist nicht der erste TATORT, der seinen Aktionsradius ins Ausland erweitert, aber noch nie wurde die geographische Exkursion derart detailverliebt und bildmächtig umgesetzt. Als Kommissar Ehrlicher einst in Prag ermittelte, sprach die ganze Stadt Deutsch, selbst untereinander. In Finnland dagegen wird Finnisch gesprochen, deutsche Untertitel erhalten den fremden Klang und sorgen für Glaubwürdigkeit, ebenso das hervorragende finnische Schauspieler-Ensemble.

Borowski und Mikko sollen den unter Mordverdacht stehenden Jungen nach Helsinki überführen, aber der entkommt seinen wenig energetischen Bewachern bei einer Pinkelpause und entschwindet in die finnischen Wälder. Schnell wird klar, dass er ganz offensichtlich an den Tatort zurück will – offenbar hat er dort noch eine Rechnung offen. So ermitteln Borowski, die ihm zu Hilfe eilende Psychologin Frieda Jung und die finnische Polizei auf zwei Ebenen: Während sie einerseits versuchen, des Jungen wieder habhaft zu werden, widmen sie sich andererseits auch noch einmal dem Mordfall selbst, um Hinweise auf die Pläne des Flüchtigen zu erhalten, und schnell kommen ihnen Zweifel, ob tatsächlich der Jugendliche das Verbrechen beging.

So ist der Startschuss gesetzt für ausschweifende Streifzüge durch diesen rustikalen Landstrich mit seinen wortkargen, bodenständigen Bewohnern, der niemals untergehenden Sonne und immer wieder: den Wäldern und Seen und Seen und Wäldern. Wälder, in denen irgendwann alles möglich scheint. Ist es der Schlafentzug, sind es psychogene Pilze, ist es der seltsame finnische Tango? Salonen legt seinen Film in teilweise aufreizender Langsamkeit an, er lässt seine Darsteller durch die Erhabenheit der Wildnis taumeln, er lässt die Zivilisation auf das harte Überleben an diesem entlegenen Fleck treffen, er erzeugt eine Stimmung, wie es sie am TATORT noch nicht zu sehen gab. Und nach und nach entspinnt sich eine Geschichte, die so aberwitzig, unheimlich und unglaublich ist, dass sie eher wie Wahnvorstellungen von jemand wirken, der seit Tagen nicht schlafen kann, weil es niemals dunkel wird, und der die falschen Pilze gegessen hat. Obwohl es an Dramatik nun wirklich nicht mangelt, bleibt alles eigenartig ruhig, unterkühlt, lakonisch. Dazu tragen die schrägen Charaktere ebenso bei wie der ausgezeichnete unter- bis abgründige Humor, der allein schon die Folge herausstechen lässt und sowohl Milberg als auch seine finnischen Counterparts in ungeahnte Höhen des Understatements treibt.

„Tango für Borowski“ ist ein Ausnahme-TATORT. Er wird sicherlich polarisieren, denn vom klassischen deutschen Kriminalfilm bleibt hier nichts mehr übrig. Auch die wendungsreiche Geschichte ist mindestens mutig und entzieht sich den üblichen Maßstäben von Glaubwürdigkeit, darüber sollten wir erst gar nicht reden. Durch die starke Suggestionskraft der Bilder, der Landschaft und des eigenbrötlerischen Personals an diesem Außenposten Europas aber entsteht eine Sogwirkung, die einen mitten hineinzieht in diese geheimnisumwitterten Wälder – die ohnehin die eigentlichen Hauptdarsteller dieses herausragenden Films sind.

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