vonHeiko Werning 30.01.2010

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Also, am Sonntag gibt es wahrhaftig keinen Grund, des TATORTs wegen die Reformbühne Heim & Welt (Berlin, Kaffee Burger, Torstr. 60, U Rosa-Luxemburg-Platz) zu schwänzen. Da begrüßen Jakob Hein, Ahne, Uli Hannemann, Falko Hennig, Jürgen Witte und ich als Gäste Hinark Husen vom Frühschoppen und den obercharmanten Liedermacher Martingo. Und den Videorekorder muss man meiner Meinung nach nicht programmieren, denn anders als der geschätzte Kollege Christian Buss in der sonntaz finde ich „Vergessene Erinnerung“ ganz furchtbar. Aufgeschrieben habe ich das einmal mehr für den empfehlenswerten Tatort-Fundus.

Kommissar Zufall wird befördert

Dramatischer Einstieg in der niedersächsischen Provinz: Charlotte Lindholm verursacht bei einer nächtlichen Fahrt durch das deutsch-niederländische Grenzgebiet einen Autounfall, als plötzlich zwei Menschen vor ihr auf der Straße auftauchen. Sie ist sich sicher, dass mindestens eine der Personen dabei zu Schaden gekommen ist, leidet aber an einem partiellen Gedächtnisverlust, und ihre Retter wissen nichts von einem anderen Unfallopfer. Und nicht nur das – ein ganzer Tag scheint ihr zu fehlen. Was ist geschehen in dieser Nacht? Charlotte nimmt die Ermittlungen im nahe gelegenen Dorf auf und stößt schnell auf vielerlei Ungereimtheiten …
Es ist natürlich undankbar, wenn einem praktisch zeitgleich drei TATORT-Filme zur Besprechung vorgelegt werden, von denen der eine (die Stuttgarter „Altlasten“) durchaus zum gehobenen Segment gehört und der andere (Frankfurt: „Weil sie böse sind“) eine der spektakulärsten und gelungensten Folgen seit Langem darstellt.
Da hat Nr. 3 es schon mal schwer. Und wenn dieser Dritte nun auch noch ein Lindholm-TATORT ist, muss er sich auch noch an dem für diesen Nordableger der Reihe außergewöhnlich hoch gelobten „Es wird Trauer sein und Schmerz“ messen lassen, seinem direkten Vorgänger. Dass der Rezensent beim Sehen des Films zudem auch noch vergrippt war, sei nur erwähnt, um deutlich darauf hinzuweisen, dass die „Vergessenen Erinnerungen“ bei ihm einfach unter keinem guten Stern standen und er ihn womöglich ungerechtfertigt hart rannimmt. Aber ich fürchte, auch unter günstigeren Bedingungen hätte allein die erste Viertelstunde gereicht, eine gehörige Portion Übellaunigkeit zu provozieren, die der Film gegen Ende auch noch mühelos zu steigern vermag.

Denn bereits das Ausgangsszenario lässt sicher manchen TATORT-Freund bedenklich mit den Zähnen knirschen. Charlotte Lindholm fährt nach einem Lehrgang nächtens Richtung Heimat und durch den Wald, als plötzlich zwei Gestalten, ein Mann und ein Kind, im Scheinwerferlicht auftauchen. Im Bemühen auszuweichen, setzt sie ihren Wagen vor einen Baum, torkelt anschließend auf die Straße, wo sie den Mann blutüberströmt und leblos liegen sieht, und fällt neben ihm in Ohnmacht. Als sie später wieder wach wird, fehlt ihr eine genaue Erinnerung sowohl an den Unfall selbst, vor allem aber den ganzen Tag nach dem Unfall. Und die Leiche ist ebenfalls verschwunden.
Auf der Suche nach der verlorenen Erinnerung fährt Lindholm in das Dorf Volsum an der Unglücksstelle, wo alle sie seltsam anstarren, da sie einer an selbiger Stelle acht Jahre zuvor verunglückten Frau wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Natürlich spürt Lindholm gleich, dass irgendwas faul ist und ihr fehlender Tag irgendein Geheimnis bergen muss, und macht sich – obschon noch krankgeschrieben – auf eigene Faust an die Ermittlungen.
Bereits hier muss man schon tief durchatmen, denn die Konstellation hat alles, was man eigentlich nicht mehr sehen mag: Eine starke persönliche Verstrickung der Ermittlerin in den Fall, schon wieder eine, wenn auch partielle, Amnesie (wir erinnern uns zuletzt an „Wir sind die Guten“ vom BR), Zufälle, dass es nur so kracht (im wahrsten Sinne des Wortes, denn ein Wildschwein, das es merkwürdigerweise auf die LKA-Beamtin abgesehen hat, wird im letzten Moment von einer zufällig daneben stehenden Jägersfrau erschossen), die auf eigene Faust allein ermittelnde Heldin (die sich natürlich gegen den Rat der Ärzte selbst entlassen hat) und ein typisches niedersächsisches Lindholm-Dorf. Puh. Hinzu kommt, dass uns Lindholms Erinnerungsfragmente in besonders enervierenden Rückblendeblitzen präsentiert werden. Auch die Konstellation mit Mitbewohner Martin Felser, der Charlotte aus dem Krankenhaus abholt und Söhnchen David betreut, ist nicht das einzige Deja-vu-Erlebnis, das der Zuschauer hat.
Denn im Dorf sind sie dann alle wieder da: der Dorfpolizist, die alle irgendwie miteinander verbandelten Verdächtigen, das dunkle Geheimnis aus der Vergangenheit, in das Charlotte zu allem Überfluss irgendwie auch noch involviert zu sein scheint, der sonderliche Junge, die Streitigkeiten um Land, eine in der Luft liegende Verschwörung, die Ablehnung der Fremden aus der Stadt. Das plätschert nun alles die erste Hälfte des Films so vor sich hin, und man fragt sich stets etwas, ob man versehentlich doch eine Wiederholung erwischt hat, so bekannt kommen einem die sich erwartbar ausbreitenden Dorfermittlungen vor, einschließlich des später natürlich doch wieder nachreisenden Martin.

Man kann dem Film nicht vorwerfen, dass er dann allerdings nicht doch einige überraschende Wendungen nehmen würde. Man muss ihm aber vorwerfen, dass auch diese vollkommen uninspiriert und an den Haaren herbeigezogen daherkommen. Plötzlich also transformiert sich der Dorfkrimi in ein internationales Schwerverbrecher- und Wirtschafts-Drama, aber auch das hatten wir bei Lindholm schon, und auch das wirkte schon mal motivierter.
Was genau geschieht, soll hier nicht verraten werden, um wenigstens diese Überraschungen zu erhalten, denn sonst bliebe vom Film praktisch gar nichts übrig. Mit einem Mal ist nun also wieder 00Lindholm im Einsatz, aber die Geschichte plätschert immer noch an einem vorüber, ohne zu interessieren: zu abwegig konstruiert der Plot, zu routiniert die Darstellung, zu lieblos alles nach Schema F zusammengerührt. Die Personen bleiben uninteressante, austauschbare Abziehbilder, die völlig Überfrachtung der Handlung erlaubt es ohnehin nicht, auf irgendeinen Aspekt näher einzugehen, und nebenbei muss dann auch noch Charlottes Familienleben eingebaut werden
Gegen Ende gelingt dem Film dann aber doch noch Verblüffendes, womit man wirklich nicht mehr gerechnet hätte: Er wird nämlich nach einer neuerlichen Wendung nochmals schlechter. Und so erleben wir einen Showdown und eine Auflösung, die mit hanebüchen noch recht freundlich beschrieben ist. Dass beides dann auch noch schematisch bis zur Schmerzgrenze (Rettung in letzter Sekunde) und später ordentlich verkitscht daherkommt, ist da schon gleichgültig.
Sandkörner im Krimi-Getriebe
Bliebe nur zu hoffen, dass sich zumindest in der Grundkonstellation Charlotte-Sohn-Martin allmählich mal was tut, denn wenn das diesen durch und durch verkorksten Fall nun auch nicht viel besser gemacht hätte, könnte man dann immerhin schon mal ein Sandkorn im Krimi-Getriebe vermeiden. Das hätte uns die ebenfalls nun schon redundante Schlussszene und wenigstens ein paar der unglaubwürdigen Konstruktionen in der Handlung ersparen können. Es wären schon noch genug absurde Zufälle übrig geblieben.

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