von 01.11.2011

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Am Wochenende hat die taz Dokumente veröffentlicht, die tiefen Einblick in die Welt des Lobbyismus geben – und darin, wie sich auch Journalisten die Finger schmutzig machen. Wir brauchen eine Debatte darüber, wo Journalisten zu unbedarft oder unkritisch mit lobbygesteuerten Informationen umgehen. Die taz geht mit schlechtem Beispiel voran und präsentiert einige Selbstbezichtigungen ihrer Redakteure.

Jost Maurin: Auf Tour mit der potenziellen Informationsquelle

Acht Tage Recherche in Afrika? Für lau? Journalisten, die solche Angebote ausschlagen, werden von vielen Kollegen schief angeschaut. Mir und anderen europäischen Reportern hat die US-Regierung eine solche Offerte Ende 2009 gemacht. Sie wollten uns zeigen, wie die USA den Hunger in Äthiopien und Tansania bekämpfen. Als Redakteur für Agrarpolitik bei der taz nahm ich die Einladung an.

Wir sahen zum Beispiel, wie Bauern in Tansania lernen, ohne Pflug zu arbeiten. Darüber habe ich für die taz eine Seite geschrieben. Ich erwähnte, dass die US-Regierung uns eingeladen hatte. Der Artikel war auch kritisch – der Untertitel lautete: „Um die Bodenerosion in den Griff zu bekommen, hat Bäuerin Ndekeshio Elia Sikawa gelernt, auf den Pflug zu verzichten. Jetzt arbeitet sie mit teuren Pestiziden.“ Ich habe zum Beispiel auch einen Biobauern zitiert, den ich nach der Reise in Deutschland interviewt habe.

Aber: Die Tour war von einer potenziellen Informationsquelle bezahlt und organisiert. Das hat eine Nähe zu den US-Beamten geschaffen, die ich für problematisch halte. Ich habe mir acht Tage lang vorschreiben lassen, wohin ich fahre, mit wem ich spreche und was ich sehe. In der Zeit hätte ich ungleich spannendere, kritischere, relevantere Geschichten recherchieren können.

Auch sonst war die Reise problematisch. In Addis Abeba waren wir im teuersten, luxuriösesten Hotel am Platz untergebracht. Bezahlt wurde das aus Entwicklungshilfebudgets. Ein paar hundert Kilometer entfernt hungern die Leute.

Sebastian Heiser: Eins zu eins transportiert

Der Bund für Umwelt und Naturschutz hatte da was für mich. „Wir möchten Sie gern zu einem Hintergrundgespräch einladen“, mailte mir die Pressesprecherin im Januar 2009. Das klang verlockend. Das will man doch als Journalist, einmal echte Hintergründe erfahren.

Ich war zu der Zeit in der Berlin-Redaktion der taz, und der BUND versprach Informationen über das umstrittene neue Kraftwerk, das Vattenfall in Berlin bauen wollte. Bisher hatte das Unternehmen noch keine Details über das Kraftwerk verraten. Bei dem Gespräch in der Geschäftsstelle des BUND wahrsagte der Verband dann: Vattenfall wolle in Berlin ein besonders umweltschädliches Steinkohlekraftwerk bauen, das viel zu viel CO2 ausstoßen werde, das zu mehr Luftverschmutzung führe und das den Umstieg auf klimafreundlichere Kraftwerke behindere.

In meinem Artikel gab ich diese Befürchtungen eins zu eins wieder, ohne sie zu hinterfragen. Zwei Monate veröffentlicht Vattenfall seine Pläne: Das Unternehmen will auf die umweltfreundlichen Energieträger Erdgas und Biomasse setzen. Der BUND hatte sich sein Horrorszenario schlicht zusammenfabuliert, nichts davon stimmte. Und ich war drauf reingefallen – und hatte die Botschaften ungefiltert an die taz-Leser weitergetragen.

Heike Haarhoff: Kaufen lassen von den Guten

Die Atomlobby kauft Journalisten, und die taz, unabhängig, kritisch, unkorrumpierbar, haut drauf. Unabhängig, kritisch, unkorrumpierbar? Ach was. Wenn der Auftraggeber stimmt, wenn es um die Sache geht, um die Guten, die Guten aus taz-Sicht, versteht sich, dann hat sich auch die taz schon auf Deals eingelassen, die journalistischem Ethos widersprechen.

Im Frühherbst 2002 wendet sich Hermann Scheer, SPD-Linker, alternativer Nobelpreisträger und Kopf der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien Eurosolar, an leitende taz-Redakteure und die Chefredaktion. Ob die taz in ihrem Wochenendmagazin taz.mag nicht zufällig die diesjährigen europäischen Eurosolar-Preisträger vorstellen wolle, quasi in einer Sonderausgabe? Eurosolar könne die Preisträgerliste liefern und, weil für die Porträts Reisen in verschiedene europäische Länder unerlässlich sind, 6.000 Euro anbieten. Die redaktionelle Unabhängigkeit bleibe selbstredend gewahrt. Eurosolar bestehe nicht darauf, die Berichte vor Erscheinen gegenzulesen.

Die taz lässt sich auf den Deal ein. Jetzt werden Redakteure angesprochen, unter anderem ich, zu jener Zeit taz-Reporterin in der Schwerpunktredaktion, die nicht zum Wochenendmagazin taz.mag gehört. Die Aussicht ist verlockend: Eine knappe Woche auf der dänischen Insel Samso, Ferienwohnung und Dienstfahrrad inklusive. Ich spreche mit meinem Chef. Wir wissen beide: Das Ding stinkt, das geht eigentlich überhaupt nicht. Es sei denn, bieten wir den Magazin-Redakteuren an, ihr macht die Sache transparent. Und schreibt ins Editorial, dass Eurosolar Ideenstifter und Finanzier dieser Wochenendausgabe, im Klartext: Auftraggeber ist. Geht klar, wird mir versichert, versprochen, heilig geschworen. Natürlich nur mündlich. Ich liefere meinen Samso-Bericht ab. Und lese am 16. November 2002 im Editorial unter dem Titel „Helle Leute, strahlende Preise“: „Gerade die taz, geübt in der Kritik am ökologisch inspirierten Alarmismus, muss Menschen und Projekte vorstellen, die sich einer besseren Welt widmen. Meckern ist leicht – aber die Alternativen zur schlechten Wirklichkeit zu benennen, ist wichtiger. Unsere Reporter waren auf der dänischen Ostseeinsel Samso und in der oberösterreichischen Marktgemeinde Windhaag […]; beschreiben das Londoner BedZed-Projekt […].“ Keine Erwähnung, wer das alles finanziert hat. Stattdessen eine Empfehlung für Hermann Scheers neues Buch, ein Hinweis auf Ort und Datum der Preisverleihung und ein verdammt kritisch-distanziertes: „Wir gratulieren allen Preisträgern!“

Martin Kaul: Pressereise? Psssssssssst!

Am 5. November 2008 erschien von mir auf der Bildungsseite der taz ein ganzseitiger Bericht unter dem Titel „Deutschland im ,War for Talents'“. Darin beschrieb ich, wie deutsche Universitäten im Einklang mit deutscher Außenpolitik strategisch auf Weltmärkten und internationalen Hochschulmessen um Studierende werben. Über dem Text stand damals: „Aus Peking, Schanghai und Berlin Martin Kaul“. Für eine arme Zeitung wie die taz liest sich das gut.

Was weder über noch unter dem Text stand, war, wer meine äußerst angenehme und aufschlussreiche China-Reise bezahlt hatte. Meine Kosten hatte nicht die taz, sondern GATE Germany, ein „Konsortium für internationales Hochschulmarketing“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Hochschulrektorenkonferenz, übernommen. Das geschah nicht im Rahmen einer Gruppenreise für JournalistInnen, sondern auf Anfrage von mir. Damit ich auch mal aus internationaler Perspektive berichten könnte. GATE Germany, das für seine Werbetouren wesentlich vom Auswärtigen Amt mitfinanziert wird, bezahlte meinen Flug, das Hotel, die Verpflegung. Ob mein Text kritisch war? Bla. In meiner Berichterstattung verschwieg ich die Zahlmeister. Das war nicht deren Schuld. Sondern meine.

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