von 25.02.2009

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Die EU schlägt Kolumbien und Peru ein hartes Patentregime vor.

„Die EU sieht in ihrem Freihandelsabkommen mit der EU sogar Gefängnisstrafen für Patentverstöße bei Medikamenten vor“ entsetzte sich Portafolio in der zweiten Februarwoche 2009. Die Wirtschaftsbeilage der konservativen kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo hatte den Abbruch der Verhandlungen zu einem Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Andengemeinschaft (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru) zugunsten von separaten Verhandlungen mit den willigen, sprich neoliberalen Regierungen der Region zunächst heftig unterstützt. Der neue Kurs der EU geht ihr dann aber doch erheblich zu weit. Doch die Geister, die Kolumbien rief…

Die EU-Kommission hat in Handelsfragen ein Problem: Die EU ist (noch) der größte Wirtschafts- und zweitgrößte Handelsblock der Welt, auf absehbare Zeit wird sich dies jedoch ändern. Denn die Zeichen stehen schlecht für Europas Exportindustrie. Der multilaterale Rahmen, die Welthandelsorganisation WTO, fällt zur Erzwingung weiterer Marktöffnungen mehr und mehr aus. Die sogenannte Doha-Agenda, die letzte Handelsrunde der Welthandelsorganisation (WTO), liegt seit dem vergangenen Juli offiziell auf Eis. Mit ziemlicher Sicherheit ist sie längst an Unterkühlung gestorben. Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise beutelt einen Wirtschaftsbereich auch dem anderen. Und Chinas Unternehmen holen trotz aller Probleme gegenüber der EU statistisch immer weiter auf.

Mit der sogenannten „Global Europe“-Initiative hatte der damalige EU-Handelskommissar, der Brite Peter Mandelson, im Oktober 2006 bereits die Abkehr vom Multilateralismus der WTO eingeleitet und auf bilaterale Abkommen mit einzelnen Ländern zur Marktöffnung gesetzt. In der Folge eröffnete er eine Verhandlungsreigen zu Freihandelsabkommen (Südkorea, ASEAN-Staaten, Indien etc.), beließ es aber im Falle Lateinamerikas zunächst noch bei sogenannten Assoziationsabkommen aus drei Komponenten: Handelskapitel, politischer Dialog und Entwicklungszusammenarbeit. Im November 2008 dann machte Kommissionspräsident Barroso damit im Falle der Andengemeinschaft Schluss: Die EU-Kommission wolle nur noch mit denjenigen Ländern weiterverhandeln, denen ernsthaft an Marktöffnung gelegen sei. Kolumbien und Peru waren sofort zur Stelle. Ecuador gesellte sich zögerlich hinzu. Besonders die kolumbianische Regierung setzt auf ein Freihandelsabkommen mit der EU, um darüber Druck auf die USA auszuüben. Zwar ist ein ebensolches mit den USA längst ausgehandelt, doch der US-Kongress blockiert sein Inkrafttreten mit dem Hinweis auf die erheblichen Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in dem Land. Ein Abkommen mit der EU würde, so das Kalkül der Regierung, das Land rehabilitieren.

Tatsächlich äußerte Anfang Februar der Chef der EU-Vertretung in Bogotá, Fernando Cardesa, in einem Interview mit der kolumbianischen Wochenzeitung Semana, Menschenrechte seien kein Element des Handelsabkommens. Präsident Uribe muss sich hörbar die Hände gerieben haben. Doch wenige Tage später legten die EU-Unterhändler in Bogotá anlässlich der ersten separaten Verhandlungsrunde ihre Vorschläge vor, und die Freude bekam einen Dämpfer.

Das Kronjuwel des EU-Verhandlungspakets: intellektuelles Eigentum. Das entsprechende Abkommen bei der WTO von 1994, TRIPS, sieht bei medizinischer Versorgung in Entwicklungsländern ausdrücklich Flexibilität vor. Patentrechte sind laut TRIPS kein Zweck an sich, wenn es um Gesundheit geht. Die Doha-Erklärung von 2001 legte in Bezug auf TRIPS noch einmal fest, dass alle Konflikte um Patentrechte im Interesse der öffentlichen Gesundheit zu lösen seien. Noch im Mai 2008 bestätigte die 61. Jahresversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diese Sichtweise.

Die EU sieht das offenbar trotzdem anders und versucht, ihren Ansatz in den bilateralen Freihandelsabkommen hoffähig zu machen. Dort sollen Patente auf Medikamente statt vormals 20 Jahre nun 25 Jahre Gültigkeit haben. Der Datenschutz für Tests, die der Zulassung vorausgehen, soll von fünf auf elf Jahre verlängert werden. Verstöße seien mit Gefängnis zu ahnden. Damit will die EU in Kolumbien Methoden zum Patentschutz einführen, die selbst innerhalb der EU nicht durchsetzbar sind. 2007 hatte das Europäische Parlament mit der Ablehnung der vorgeschlagenen Zweiten EU-Patentrichtlinie eine strafrechtliche Verfolgung von Verstößen zurückgewiesen. Nun versucht die EU, als Tonangeber bei Verhandlungen zu ACTA, einem plurilateralen Abkommen der Kernindustrieländer über Fälschungen, hinter verschlossenen Türen, dennoch die Strafverfolgung einzuführen. Die Vorschläge in Bogotá nehmen vorweg, wohin die Reise gehen soll.

Die EU-Forderungen versetzen Generika (inhaltsgleiche Kopien von Medikamenten, die bereits als Marke auf dem Markt sind, deren Patentrechte aber abgelaufen sind) den Todesstoß. „In Kolumbien kosten Generika mindestens viermal weniger als Markenprodukte, oft noch wesentlich weniger“, sagt Germán Holguín, Vorsitzender der kolumbianischen Nichtregierungsorganisation Misión Salud, am 17. Februar 2009 bei einem ExpertInnentreffen im Europäischen Parlament, bei dem die Verhandlungsrunde in Bogotá im Hinblick auf ihre Folgen für die Gesundheit ausgewertet wurde. „70 Prozent der in den Andenländern verkauften Medikamente sind Generika. Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinerlei Krankenversicherungsschutz. Wenn die EU ihre Vorschläge durchsetzt, wird Gesundheit unbezahlbar, denn Generika werden vom Markt verschwinden. Das ist das eine ernsthafte Gefahr für die Volksgesundheit.“

Marianne Gumaelius von der Generaldirektion Handel der EU-Kommission verteidigt das Vorgehen ihres Arbeitgebers: „Gerade in Zeit der Krise muss die EU neue Instrumente suchen, um ökonomisch zu wachsen“. Da die Löhne in der EU so hoch seien, müssten Wettbewerbsvorteile über andere Wege erzielt werden. Überlegen sei die EU in anderen Feldern, nämlich in Kreativität und Innovation. Diese müsse man sich bezahlen lassen – über Patentrechte Das TRIPS-Abkommen sei aber nun schon ein bisschen zu alt und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Daher schlage die EU von nun an TRIPS-plus-Abkommen vor. Bei den Vorschlägen handele es sich nicht nur um TRIPS-plus, sondern sogar um TLC-plus, kontert Germán Holguín. Selbst die USA seien sensibler: das Freihandelsabkommen (TLC) USA-Kolumbien gehe im Kapitel Patentrechte längst nicht soweit wie die EU.

Holguíns Organisation hat berechnet, was auf Kolumbien zukommt, wenn das TLC mit den USA in Kraft tritt. Absehbar ist ein Anstieg von 46 Prozent im Preisindex für Medikamente. Die jährlichen Mehrausgaben für Gesundheit beziffert die IFARMA-Stiftung auf eine Milliarde US-Dollar für die Gesundheit, was 40 Prozent des heutigen kolumbianischen Medikamentenmarktes entspricht. Mehr als fünf Millionen KolumbianerInnen würden den Zugang zu medikamentöser Grundversorgung verlieren. 1200 AidspatientInnen sähen ihre Lebenserwartung um 5,3 bis 9,9 Jahre verkürzt.* Was wären erst die Folgen des EU-Abkommens, fragt Holguín.

Xavier Seuba, Jurist von der Pompeu-Fabra-Universität in Barcelona schüttelt bei Gumaelius Begründung den Kopf. Das TRIPS-Abkommen sei keinesfalls überholt, meint er. Außerdem schütze die EU nicht Innovation, weil seit Jahrzehnten in der EU kaum neue Medikamente entwickelt werden. Sie wolle nur Laufzeiten für längst amortisierte Patente verlängern. Dies verhindere gerade Innovation: wer ohnehin Geld für nichts bekommt, forscht nicht.

Gumaelius versucht es noch einmal mit einem anderen Argument: Medikamentenfälschungen stellten ein ernsthaftes Problem dar, sagt sie. Dem solle über das Mittel der Strafverfolgung ein Riegel vorgeschoben werden. Auch da sind die Anwesenden nicht überzeugt. Die EU-Initiative ziele auf Ahndung von Verletzungen intellektueller Eigentumsrechte, nicht von gefälschten Tabletten, stellte Teresa Alves von hai Europe (Health Action International) der Kommissionsvertreterin gegenüber richtig.

„Gesundheit ist nicht verhandelbar“, stellt Holguín abschließend fest. „Wir setzen darauf, dass das Europäische Parlament uns unterstützt“. Doch das EP hat im Bereich internationaler Abkommen nur sehr geringe Befugnisse. Und Kolumbien ist kein Einzelfall. Auch im neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den karibischen Ländern (CARIFORUM) stecken im Detail ähnlich erschreckende Forderungen zum Wohle der pharmazeutischen Industrie. Weitere Abkommen werden nicht nachstehen.

*Die Studie ist kostenlos beziehbar über misionsalud@yahoo.com

Vorabdruck aus ila 323 (März 2009)

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