vonSchröder & Kalender 28.07.2006

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Der Bär flattert heftig in nordwestlicher Richtung.

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Und so geht’s weiter mit der Erfindung meiner deutschen Sektion der Olympia Press: Im Jahre 1968 verlegte ich bei Melzer achtunddreißig Neuerscheinungen, dazu die abschließenden Bände vier und fünf der Börne-Ausgabe, deren Herstellung soviel kostete wie sechs normale Titel. Das Programm hatte das Format eines Big Players und nicht das eines mittleren Verlages. Dank der ›Geschichte der O‹ boomte der Umsatz, aber die Kosten explodierten ebenfalls. Im November wurde das Buch von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Ich frage mich übrigens, wie ›Bild‹ und Random House die ›Geschichte der O‹ jetzt in der ›Bild-Erotik-Bibliothek‹ verkaufen wollen. Unter dem Ladentisch? Denn soviel ich weiß, ist die Indizierung niemals aufgehoben worden. Lediglich die Strafsache gegen mich wurde von der Staatsanwaltschaft Darmstadt nach dem Gutachten von Inge und Walter Jens niedergeschlagen.

Jedenfalls ließ der Absatz Ende 1968 erheblich nach, weil die ›O‹ nur noch unter dem Ladentisch verkauft werden durfte. So stand es damals mit der Pornographie: Manchmal erschien ein Erotikon bei Desch, Gala, Hieronimi oder eben Melzer, und spätestens nach einem halben Jahr war es durch Indizierung weg aus dem Buchhandelsfenster. Man konnte es dann nur noch auf Anfrage und gegen Revers erstehen. Ich aber hatte mir nun in den Kopf gesetzt, Pornographie auf breiter Front durchzusetzen.

Ich brauchte nicht nur Titel, sondern auch eine Legende, vor der die Zensur in die Knie gehen würde. Maurice Girodias fiel mir ein. Es müßte doch möglich sein, eine Olympia Press in Deutschland zu etablieren und ihr die Fama des Avantgardeverlages als farbiges Banner voranflattern zu lassen. Während der turbulenten Buchmesse hatte ich ein paar Worte mit Girodias gewechselt, der mir einen Stapel seiner Porno-Paperbacks in die Hand drückte und erklärte, daß er dabei sei, in New York ein Programm mit neuen und unbekannten Autoren aufzubauen. Seine großen Autoren wie Henry Miller, Jean Genet, Samuel Beckett, Vladimir Nabokov, J. P. Donleavy erschienen längst bei anderen Verlagen. Aber an diese Tradition ließe sich anknüpfen, auch ohne die alten Rechte. Ich schrieb ihm einen Brief: »Ich schlage Ihnen vor, eine deutsche Olympia Press zu gründen in Organschaft mit dem Melzer Verlag. Beteiligung je ein Drittel: Girodias, Melzer und Schröder.« Sollte er ablehnen, nahm ich mir vor, den Plan auch ohne seine Beteiligung zu realisieren, Pornos würden sich schon in Amerika oder Dänemark finden, und als Fama müßte ich mir eben etwas anderes einfallen lassen.

Im Frühjahr 1969 sollte die Pornorevolution beginnen. Deshalb suchte ich neue Mitarbeiter. Da traf es sich gut, daß der junge Herr Beitlich, der mich im Krankenhaus besucht hatte, signalisierte, nun wolle er eventuell bei Suhrkamp kündigen, um zu Melzer zu wechseln. Von ›wollen‹ konnte keine Rede sein, damals wußte ich noch nicht, daß sich Peter Beitlich mit seinem Freund und Suhrkamp-Kollegen Lutz Reinecke – der heute Kroth heißt und Zweitausendeins-Chef ist – ein schlimmes Vergehen zuschulden kommen ließ. Sie wollten an Siegfried Unseld vorbei poppige Rundbücher machen. Runde Bücher! Faustgroß! Ich hatte so ein Ding mal in der Hand, jawohl, sie ließen das erste Programm sogar herstellen! Die Literatur ist rund! Rundgestanzte Bücher, mittels Öse und Drahtring zusammengehalten. Frag mich doch nicht nach dem Inhalt, irgendein Mumpitz eben, nach Art der frühen Zweitausendeins-Produktion wie der Lachsack oder das Ho-ho-ho-Chi-Minh-Handtuch. Sie dachten, sie würden sich damit eine goldene Nase verdienen. Natürlich wollte keiner den Stuß kaufen. Zu ihrem Unglück kriegte Unseld mit, daß seine Vertriebsassistenten versuchten, an ihm vorbei diesen Popkitsch zu verdealen, und sie fielen in Ungnade. Das Lebensbild, an dem die beiden nachträglich malten, sie hätten den bedeutenden Suhrkamp Verlag verlassen, weil sie an der Paulskirchen Demo teilgenommen hatten oder weil sie in Avantgardeunternehmen arbeiten wollten, stimmt nicht, sie mußten kündigen. Lutz Reinecke ging zu ›Pardon‹ und Peter Beitlich zu Melzer. Dabei hätte Beitlich mir von dem Fiasko ruhig erzählen können, ich wäre trotzdem froh gewesen, einen Vertriebsheini vom Suhrkamp Verlag zu bekommen, weil der doch genug Kontakte zum Sortiment mitbringen würde – dachte ich. Welch ein Fehlschluß! Was nützen die Kontakte eines schöngeistigen Ex-Suhrkamp-Schleimscheißers zu tausend schöngeistigen Sortimenter-Schleimscheißern, wenn du ein schrilles Programm wie das von Melzer verkaufen willst?! Solche Buchhändler verachten alles, was nicht zur Suhrkamp-Kultur gehört. Und wenn sich einer von dieser abwendet, hassen sie den mit Inbrunst.

Ja, heute weiß ich, das meiste war falsch, was ich damals als Personalchef entschied. Ich kann es nicht mehr ändern, ich engagierte den jungen Leisetreter zum Januar 1969 als Vertriebsleiter. Die Entscheidung, den Hersteller einzustellen, der sich auf meine Anzeige im ›Börsenblatt‹ meldete, war nicht ganz so falsch, aber auch nicht ganz richtig – ein junger dürrer Typ aus Bayern mit großer Hornbrille, roten Haaren und einem Froschmaul. Er kam vom Franckh Verlag in Stuttgart, einem Unternehmen, das sich mit Kosmos-Bestimmungsbüchern – ›Was singt denn da?‹ oder ›Welcher Stein ist das?‹ – seinen Namen gemacht hatte. Geleitet wurde der Laden von einem autoritären Rittmeister a. D., entsprechend geduckt benahm sich Adolf Heinzlmeier, als er zu Melzer kam. Das sollte sich bald ändern.

Die neue Mannschaft stand, jetzt konnte ich mich den Inhalten zuwenden. Ich war entschlossen – brauchte auch das Geld –, so etwas wie die Olympia Press in Deutschland zu lancieren. Was tut ein Verleger, der mal Werbeleiter war und sich zudem als Autodidakt zum Grafiker ausgebildet hat, als erstes? Er guckt sich das Produkt, das er kopieren will, genau an und verbessert es. Die berühmten Greenbacks, die Girodias Anfang der fünfziger Jahre in Paris herausgegeben hatte, waren kleinformatige Taschenbücher, gedruckt auf holzhaltigem Papier in winziger Schrift mit einem schlechten Satzspiegel. Sie hatten einen schlichten grünen Umschlag aus dünnem Karton, dessen einziger Schmuck ein Rahmen aus einer Rautenlinie und einem drei Punkt starken Doppelstrich war. Autor, Titel und Verlagsangabe standen in klassischer Typographie auf der Fläche. Die Titel sagten alles und reichten völlig, solange die Greenbacks unter dem Ladentisch gehandelt wurden, um die kleinen grünen Bücher blitzschnell in den tiefen Taschen der G.I.s verschwinden zu lassen: Henry Miller, ›Plexus‹; de Sade, ›Bedroom Philosophers‹; George Bataille, ›Tale of Satisfied Desire‹; Alex Trocchi alias Frances Lengel, ›Helen and Desire‹; dazu komische Pseudonyme wie Marcus van Heller, Akbar del Piombo, Carmencita de las Lunas und dumpfe Titel wie ›Weiße Schenkel‹, ›Troika des Fleisches‹, ›Das Sexleben des Robinson Crusoe‹.

Zuerst machte ich mich an den Entwurf eines Umschlagkonzeptes für die ganze Reihe und fand das Ei des Kolumbus, nämlich das enteneigroße Oval, umzogen von zwei schwarzen Linien, eine Wiederholung des Rahmenschmucks, und da mußte natürlich ein buntes Bild rein. Es waren keine primären Geschlechtsteile auf dem Foto für das erste Cover zu sehen, es zeigte lediglich die behaarten Unterarme eines Mannes, der einen weiblichen Torso von hinten umfängt, aber es war trotzdem scharf! Heureka! Das Oval für den Reihenmagnetismus: ein wunderbares Symbol für das Logo Olympia Press und für ein Schlüsselloch, außerdem erinnerte es an die ›Geschichte der O‹, war eine Stilisierung der Vulva und saß so perfekt in der tristen grünen Fläche der Greenbacks, als hätte es dort schon immer geprangt. Ich betrachtete diesen Entwurf, da wurde mir schlagartig klar, daß dieses neue Erscheinungsbild ja mir gehörte, und dann fiel mir ein, daß der Name ›Olympia Press‹ in Deutschland gar nicht geschützt war.

Beglückt von der eigenen Erfindung, begann ich den Anzeigentext zu dichten, die Headline lautete: »Das farbige Banner der Pornographie«. Darunter kamen zwei Spalten in Nonpareille, also sehr klein, dazwischen hatte ich briefmarkengroße Portraits gestreut: Fotos des Gründers Girodias und seiner großen Autoren. Der Text lief so: »Paris 1953. Die unscheinbaren grünen Taschenbücher werden zu einem Markenzeichen …, die angelsächsische Welt wurde von einer erotischen Armada attackiert, besetzt, unterwandert und schließlich erobert.« Beckett, Miller, Nabokov, Burroughs und Donleavy, die ich im Layout abgebildet hatte, konnte ich nicht verkaufen, denn die Rechte waren bei Limes, Desch, Kindler und Rowohlt, also verkündete ich: »Die Olympia Press verlegt immer noch avantgardistische, aggressive, erotische Titel.« Und schließlich ließ ich die Katze aus dem Sack: »Ab März 1969 werden jeden Monat zwei Olympia-Press-Bücher in Deutschland erscheinen. Die ersten Titel: Frank Newman, ›Barbara‹ und Tor Kung, ›Die Schüler‹.« Bestellcoupon unten rechts!

Die Verhandlung mit Maurice Girodias fand kurz vor Weihnachten 1968 statt, er kam nicht freiwillig nach Frankfurt. Auf mein erstes langes Schreiben mit detaillierten Vorschlägen zur Gründung einer Filiale hatte er nicht geantwortet. Nachdem mein Konzept stand, teilte ich Girodias in dürren Worten mit: »Wenn Sie auf den deutschen Markt wollen, entscheiden Sie sich sofort. Ich starte mit meinem Programm am 1. März mit Ihnen oder ohne Sie.« Diesen Brief expedierte ich Mitte Dezember nach New York. Zwei Tage später rief er mich an, und wir verabredeten uns für den 20. Dezember im ›Intercontinental‹. Ich packte meine Munition, also das Anzeigen-Layout, die Umschlagentwürfe, die Blindbände, ein und fuhr nach Frankfurt. Maurice holte mich in der Lobby ab, da stand er also neben mir zwischen den Spiegeln des Lifts, der ›Lenin der Pornographie‹, Sohn eines reichen jüdischen Erben aus Manchester und einer französischen Mutter. Ein Gentleman in dezentem dunklen Tuch.

Als wir am Glastisch in seiner Suite saßen, öffnete ich meinen Aktenkoffer und breitete die neue Corporate Identity der Olympia Press aus. Da kippte Maurice fast aus seinen schwarzen Foster-and-Son-Mocassins. Fassungslos starrte er auf das Anzeigen-Layout, die Umschläge mit dem Bildoval, drehte die schönen kleinen Blindbände, einer in lila Feinleinen, einer in Olivgrün, in den Händen. Gutes Papier, Bleisatz, splendider Satzspiegel. »Beeindruckend!« sagte er, »das ist sehr schön, aber Sie können doch nicht – ohne mich zu fragen! Die Olympia Press gehört mir, und die Geschichte, die Sie in Ihrer Anzeige erzählen, ist die meines Verlages!« Mit Pokerface entgegnete ich: »Richtig, wenn wir uns nicht einigen, schreibe ich einen neuen Text und nehme andere Titel. Aber die Umschlagentwürfe sind meine Idee! Das Cover mit dem Bildoval gehört mir! Dafür haben Sie keinen Gebrauchsmusterschutz. Sogar den Namen Olympia Press könnte ich in Deutschland benutzen, ohne Sie fragen zu müssen.« Da wackelte der Al Capone der Verlagswelt mit den Ohren und seufzte: »Das Ohrenwackeln habe ich während des Griechischunterrichts geübt. Dauerte ein Jahr, bis ich es konnte. Trotzdem hat es sich gelohnt, weil es mir im richtigen Moment viele Worte erspart.« Aber nach einer Weile sprach er dann doch die zwei Worte, für die ich ihn immer lieben werde: »Go ahead!«
(BK /JS)

Olympa-press.jpg

In letzter Zeit sind die FAQs: »Du hast doch bei Olympia Press Ende der Sechziger die ersten pornographischen Bücher und Filme für den freien Markt gemacht. Wie fing das an? Warum, wieso, weshalb?« Diese Fragen werde ich in loser Folge beantworten, unter dem geflügelten Titel: Making of Pornography. (JS)

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https://blogs.taz.de/the-making-of-pornography-3/

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