vonSchröder & Kalender 02.08.2006

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Der Bär flattert heftig in nordöstlicher Richtung.

Und so geht’s weiter mit dem Jahr des Schweins: Im Sommer 1969 erschienen bereits drei Pornotitel im Monat. Die Leute konnten nicht genug davon kriegen. Auch die Kulturtypen fuhren darauf ab, die Zeitungen waren voll von der tollen Olympia Press. Das junge Team von ›Titel, Thesen, Temperamente‹ besuchte uns gleich nach der Gründung im Keller, Hansjürgen Rosenbauer machte einen Bericht über die neuen Verlage. Etwas peinlich, weil Hansal, Beitlich und Heinzlmeier kein Wort über das Kollektiv rausbrachten, dafür sagte Kade um so mehr über Sozialismus, und ich spulte meine Thesen zur neuen Sensibilität und zum Thema Literatur und Pornographie ab. Zahlreiche Interviews folgten, das ›ttt‹-Team vom Hessischen Rundfunk kam häufiger, sie waren eben alle scharf: Hansjürgen Rosenbauer, Hansgeorg Dickmann, später auch seine Frau Barbara, die bei ›ttt‹ als Redaktionssekretärin angefangen hatte, und Eva Demski, die sich besonders für ›Laß jucken, Kumpel‹ interessierte. Junge Huren, alte Nonnen – heute sind solche Leute Intendanten von Radio Brandenburg oder schreiben feinsinnige Essays über Venedig und imitieren Reich-Ranicki. Damals waren sie spitz wie Nachbars Lumpi und weniger an »Sprrrache!« interessiert als am Ficken.

Wir schrieben schließlich das ›Jahr des Schweins‹, was der ›Spiegel‹ genüßlich zu einer Titelgeschichte verbriet. Eine Tour de force über den Underground, die nichts ausließ, was seit den Fünfzigern gelaufen war: Es ging von Jack Kerouac, William S. Burroughs und Hermann Hesse bis zu Andy Warhols Factory und der Attentäterin Valerie Solanas, hangelte sich von John Giorno in Warhols Film ›Sleep‹ zum lebenden Kunstwerk Timm Ulrichs, sprang zu Joseph Beuys’ ›Gegen-Akademie‹ in Düsseldorf, beschäftigte sich mit Helmut Kreuzers ›Boheme‹-Buch ebenso wie mit einem pornographischen Theaterstück von Michael McClure, dem Auftritt von Ed Sanders’ und Tuli Kupferbergs ›Fugs‹ in Essen, dem Lämmerschlachten des Hermann Nitsch, landete bei den ersten obszönen Kontaktanzeigen im ›East Village Other‹ und den Swinger Clubs in den USA. Dazu wieder etwas Bob Dylan und Janis Joplin, Jonas Mekas’ Filmtheorie, dann Zoom auf Che Guevara, kleiner Schwenk zu Leary, LSD und Marshall McLuhan. Doch von den ›Mixed Media‹ kehrten die Autoren immer wieder schnell zum Thema eins zurück: zu Valie Export, die mittels eines Kastens mit Fenster vor der nackten Brust im »Ersten Tapp- und Tastkino der Welt« einen echten Frauenfilm bot, und dem Porno-Graphiker Alfred von Meysenbug. Irgendwo in diesem behaglich durchgekauten Brei aus Sex, Drugs and Mixed Media tauchte auch schon Jerry Rubins skeptische Frage auf: »Was wird aus dem Underground, wenn wir dreißig oder vierzig sind?«

Von solchen melancholischen Anwandlungen war mein März-Underground nicht angekränkelt, es kamen schließlich eine Menge Autorinnen und Autoren, oder die es werden sollten, in dieser Titelgeschichte vor: Nitsch, Giorno, von Meysenbug, Kupferberg, Sanders, Solanas, McClure, Zappa, Mekas … Sonderbarerweise wurde Jan Cremer nicht genannt, dessen pornographisches Stück ›The late, late show‹ Artur Maria Rabenalt in seinem Münchner Erotiktheater gerade aufführte. Cremer stand in den ›Schweine‹-Charts ganz oben, ein Bestsellerautor nicht nur in Holland. Ich hatte bei Melzer ›Ich Jan Cremer II‹ gemacht, und gleich nach der Sezession bot mir sein Agent Anthony Gornall das neue Werk ›Made in U$A‹ an: »Sehr obszön! Sehr obszön!« Er verlangte dafür fünfundzwanzigtausend Mark Vorschuß, eine wahnwitzige Summe für damalige Zeiten. Und obwohl ich noch gar kein Geld auf dem Konto hatte, schlug ich ein.

Wir waren eben alle drauf, nicht nur solche Pressetypen wie Hansjürgen Rosenbauer, die mit hängender Zunge jeden Schweinkram begrüßten. Die Autoren waren scharf auf beides, der März Verlag war gut fürs Image, die Olympia Press zum Angeilen und als Geldquelle, denn ich hatte ihnen vorgeschlagen, Pornos unter Pseudonym zu schreiben, wie das Maurice Girodias auch getan hatte. Sie beschwerten sich lauthals, wenn sie ihre Ration nicht bekamen: »Mein Abo scheint eingeschlafen zu sein, habe noch Olympia-Schulden, lege erst mal einen Scheck bei, das beste wäre wohl, Sie richten mir ein Konto ein. Stand bei mir: sechs Bände«, schrieb der Obergeschmackshuber Uwe Nettelbeck. Auch sonst sägte er ziemlich an meinen Nerven, bot mir, wie es seine Art ist, Projekte an, von denen keine Seite Manuskript vorlag. Eines zum Beispiel sollte ein ›Acid‹-Aufguß mit vielen Illustrationen werden und allen Ernstes ›Das erste gute Buch‹ heißen. Ja, genau so! Für einen solchen Kalbskopftitel würde der heute in seiner ›Republik‹ jeden wegätzen! Daran muß ab und zu erinnert werden: Aller Anfang ist schwer. Die Karl-Kraus-Dröselei wurde ja weder Nettelbeck noch Gremliza in die Wiege gelegt. So was muß man eben ganz langsam lernen.

Ich bin nicht ungerecht! Ich rede doch auch über mich selbst und weiß, daß ich damals ebenfalls komische Briefe geschrieben habe. Wenn ich die heute lese, stellen sich mir die Nackenhaare hoch. Andererseits verachteten wir in diesen Popzeiten nobilitierendes Schreiben und gepflegten Stil, den gegenwärtig die unerbittlichen Erzieher der literarischen Sadoclubs einfordern. Es wurde salopper mit der Grammatik, dem Stil, der Orthographie umgesprungen, wie das übrigens zu Novalis’ Zeiten schon mal nicht anders war. Unter dem 1. März 1795 notierte Sophie von Kühn, die angebetete Geliebte des Freiherrn von Hardenberg, in ihrem Tagebuch: »[Sonntag] Heute war Hartenberch bey uns es viel weider gar nichts vor.«

Im März Verlag hingegen fiel eher zuviel vor, die Autoren gaben sich die Klinke in die Hand. Wir hatten eine gute Medienaura, und so versammelten die ›März Texte I‹, die gleich nach der Gründung des Verlages vorbereitet wurden, vierzehn Erstveröffentlichungen deutscher Schriftsteller. Wolf Wondratschek wollte bei uns ein Buch haben; obwohl Hanser seine anderen Titel verlegt hatte, machte er mit Brummbär bei mir die kleine ›Hundente‹. Bernd Brummbär war einer der ersten auf der Matte, entdeckte für uns Crumb und übersetzte dessen ›Headcomix‹. Er lebte in Frankfurt mit dem minderjährigen Pornostar Fatima Igrahim, die sich nach einem Crumb-Comic das Pseudonym ›Diddiwaddiddie‹ gab und später in einem meiner Olympia-Filme mitspielte. Manfred Esser, dessen ›1. Scientific Biografia Romancée‹ als letzter Titel unter meiner Leitung bei Melzer erschienen war, schleppte einen Remmel an, fünfzehn Zentimeter dick, eng beschrieben. Das Buch drehte sich typographisch um sich selbst, so daß der Satzspiegel am Ende auf dem Kopf stand. Ich wollte es trotz dieser komplizierten Typographie machen, aber als der März Verlag 1973 in Konkurs ging, gab ich Manfred Esser das Manuskript zurück. Günter Seuren seilte sich mit seinem neuen Roman ›Abdecker‹ von Kiepenheuer und Witsch ab. Peter O. Chotjewitz schrie ständig von Rom aus nach Geld und bot mir als erster deutscher Autor an, für die Olympia Press zu schreiben. Er bekam einen Vorschuß von zehntausend Mark und lieferte dafür unter dem Pseudonym Alessandro Peroni den ›Film des Conte La Malfa‹. Im Herbst sollte bei März seine Textsammlung ›Vom Leben und Lernen‹ erscheinen, in der Chotjewitz seine »gegenwärtige Position« darstellte, für die sich dann leider kaum jemand interessierte.

Das konnte weder er noch ich im Sommer 1969 wissen, daher: große Hoffnung allerwegen! Ich hatte Rolf Dieter Brinkmann vorgeschlagen, seinen Freund Ralf-Rainer Rygulla als Lektor in den Verlag zu holen. Brinkmann war begeistert, Rygulla winkte ab, er traue sich das nicht zu. Wir überredeten ihn. Rolf Dieter hatte großes Interesse daran, daß sein Busenfreund in dem Laden sitzt, den er sich als den Verlag der Schriften von Rolf Dieter Brinkmann ausgesucht hatte. Viele seiner Projekte und Vorschläge mußte ich ihm zu Melzer-Zeiten aus ökonomischen Gründen ablehnen, jetzt witterte er Morgenluft. Mit Rygulla im Lektorat würde er leichtes Spiel haben, dachte er. Ich überlegte in die andere Richtung: Wenn der erst einmal in die tägliche Lektoratsarbeit eingespannt wäre, würden sich die langen Listen der Titelvorschläge von selbst auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Mein Kalkül ging auf, sehr zum späteren Unmut von Brinkmann.
(BK /JS)

In letzter Zeit sind die FAQs: »Du hast doch bei Olympia Press Ende der Sechziger die ersten pornographischen Bücher und Filme für den freien Markt gemacht. Wie fing das an? Warum, wieso, weshalb?« Diese Fragen werde ich in loser Folge beantworten, unter dem geflügelten Titel: Making of Pornography. (JS)

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https://blogs.taz.de/the-making-of-pornography-4/

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