vonHelmut Höge 03.06.2009

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„An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht: den kleinen Schimpansen wie den großen Achilles.“ (F.K.)

„Tier-Werden, Mensch-Werden“ – so heißt eine Ausstellung, die derzeit in den Galerieräumen der NGBK in Kreuzberg zu sehen ist – verbunden mit einer Ausstellung über „Tierperspektiven“ – im Georg-Kolbe-Museum in Westend. Dazu gibt es auch zwei Kataloge, in einem findet sich ein Text von Donna Haraway, in dem sie – basierend auf den Affenforschungen ihrer Freundinnen Barbara Smuts und Shirley Strum – Ausgangspositionen für ein „Gemeinsam-Werden“ umreißt/umkreist.

Dazu hat der Duisburger Künstler Rainer Maria Matysik, dessen „Biofakte“ und „Frühe Arbeiten mit lebenden Gehölzen“ bereits in diese Richtung wiesen, ein „Referendum: Für die rechtsgültige Erlaubnis zur Zeugung gemeinsamen Nachwuchses von Menschen und Primaten zu Errichtung einer Fortpflanzungsgemeinschaft“ gestartet. Dieses Begehr setzt eine Änderung des Embryonnenschutzgesetzes voraus – dazu hat Matysik einen „Volksentscheid“ initiiert, an dem sich jeder pro und contra beteiligen kann.

Bislang stand ein solches Begehr immer unter dem Aspekt der Produktion von Billig- und Willig-Arbeitskräften – als eine Art von Biorobotern. Das Wort Roboter kommt aus dem Tschechischen – via Karel Capek – und bedeutet Fronarbeit, im Russischen steht das selbe Wort – „robota“ – für Arbeit.

1717 riet Jean Zimmermann in Paris, zur Produktion einer Arbeiterschaft ein leichtes Mädchen von einem Orang-Utan bzw. ein Menschenaffenweibchen von Männern schwängern zu lassen. 1889 schlug der Rassismustheoretiker Georges Vacher de Lapouge in Montpellier vor, durch solche Kreuzungen „gelehrige Arbeiter“ – „Halbmenschen“- „herzustellen“. Er hielt dies für möglich, denn „der Unterschied zwischen Menschenaffen und Menschen ist geringer als z.B. der zwischen Makaken und Langschwanzaffen. Und diese Affen aus unterschiedlichen Familien haben schon mehrfach erfolgreiche Kreuzungen hervorgebracht.“

1927 hatten der spätere „Held der Sowjetunion“ Otto Julewitsch Schmidt und sein Institutsleiter Ilja Iwanowitsch Iwanow auf der Affenforschungsstation in Suchumi/Abchasien versucht,, Menschen mit Affen zu kreuzen. Damit wollten sie anti-kreationistisch gestimmt die nahe Verwandtschaft von Menschenaffen und Menschen beweisen. Der Versuch mißlang: Zwar gab es etliche experimentierfreudige Frauen, aber nur einen männlichen Schimpansen – und der starb, bevor es zum Äußersten kam. Erst seit 1972 weiß man, dass es so einfach gar nicht gegangen wäre: Menschen und Menschenaffen haben sich zu sehr auseinandergelebt.

Vor einigen Jahren kam eine Slawistin in der Kultursendung „Aspekte“ noch einmal auf die Affen-Menschen-Experimente von Otto Julewitsch Schmidt in Suchumi zurück. Ebenso wie dann auch die Bild-Zeitung war dabei wieder die Rede davon, dass dies geschah, weil Stalin „Untermenschen“ bzw. „Arbeitssklaven“ züchten wollte. Auch zwei Wissenschaftshistorikerinnen, Julia Voss und Margarete Vöhringer, kamen dann in einem Aufsatz über das Moskauer „Darwin-Museum“ zu einem ähnlichen Resultat. Ihnen zufolge ging es bei den Experimenten jedoch primär um zweckfreie Forschung: „Es scheint, als hätten die Aufklärer in Russland die Engführung des Vergleichs von Affe und Mensch im Sinn [gehabt]. Nur, zu welchem Zweck?“ Während es den reaktionären deutschen „Darwinisten“ um die nahe Verwandtschaft von „Primitiven“ und Primaten gegangen war, die sie z.B. gerne photographisch durch Gegenüberstellungen von „Negerkindern“ und Gorillababys demonstrierten, ging es im revolutionären Russland in den Zwanzigerjahren laut Voss und Vöhringer „um die Schließung des ‚missing link‘ zwischen Mensch und Tier“. (Kürzlich fand man so etwas Ähnliches wie diesen „missing link“ – „Ida – den Vorfahren des Menschen“ – als Fossil in der Grube Messel bei Darmstadt.)

In der Jungle-World hat der Biologe Cord Riechelmann gerade eine ausführliche Rezension der Ausstellung „Tier-Werden, Mensch-Werden“ veröffentlicht. Er gibt darin den sich auf die Tierverwandlungstexte von Kafka und den Begriff des „Werdens“ bei Gilles Deleuze und Félix Guattari berufenden Ausstellungsmachern und vor allem Donna Haraway zu bedenken:

Donna Haraway bezeichnet Smuts Arbeitsweise als eine Form des »Gemeinsam-Werdens«, die weit über das »Tier-Werden« bei Deleuze/Guattari hinausgeht. Hier habe sich ein Feld eröffnet, in dem sich die Spezies treffen.

Haraway definiert so die Grenzen des Begriffs »Tier-Werden«, unterschlägt aber, das die beiden Theoretiker diesen Vorgang vor allem als eine Schreibposition begreifen, den Begriff also viel abstrakter auslegen, als dies im Kontext der Tierforschung möglich ist. Ihren Begriff entwickeln sie zuerst im Kafka-Buch von 1975 und präzisieren ihn dann 1980 in ihrem Hauptwerk »Tausend Plateaus« in dem Kapitel »Intensiv-werden, Tier-werden, Unwahrnehmbar-werden …«. Schon die Aufzählung im Titel deutet an, dass »Tier-werden« nur eine Form eines allgemeiner gefassten Begriffs von »Werden« ist.

»Tier-Werden« versucht, von Melville über Kafka bis hin zu Deleuze/Guattari immer auch Fluchtlinien aufzuzeigen, mit denen man leben kann, ohne eine Utopie entwerfen oder auf die Erlösung hoffen zu müssen. In diesem Sinn entwirft der ganze Werden-Komplex bei Deleuze/Guattari auch eine Ethik. Freilich ist diese Ethik keine des Geistes oder gar des Denkens, sondern allein eine des Körpers. Es geht um das Tätigkeits- oder Trägheitsvermögen eines Körpers.

Der Denker, der das Verhältnis der zwischen den Körpern wirkenden Kräfte am besten begriffen hat, ist für Deleuze Spinoza. Der Gegensatz von Affizieren und affiziert Werden spanne das Machtgefüge auf, in dem man sich begegnet. Deleuze verweist auf die medizinische Bedeutung des Begriffs, nach der es sich auch um ein betrübendes, vergiftendes Verhältnis handeln könne. So wird aus Spinozas Ethik eine Ethologie, eine Verhaltenslehre, deren Begriffe eher physisch-chemischen und biologischen Ideen als geometrischen entspringen.

Bisher wußte ich nur, dass Riechelmann den Kulturwissenschaftlern am ZfL z.B. vorwarf, sie würden bei ihrer Beschäftigung mit Tieren diese allzu schnell metaphorisieren, so als würde sie das konkrete, lebende, sinnliche Tier, mit Friedrich Engels zu sprechen, gar nicht interessieren. Hier nun wirft Riechelmann jedoch umgekehrt Donna Haraway und Barbara Smuts vor, nicht abstrakt genug zu denken – bei ihren Tierforschungen, und damit Deleuze/Guattari konkretistisch zu verkürzen. Wobei es den zwei Franzosen jedoch ebenfalls um „Fluchtlinien“ geht, „mit denen man leben kann“, was aus ihrer „Ethik“ schließlich wieder eine „Feldforschung“ mache, nämlich Ethologie.

In ihrem Buch über Paviane „Sex and Friendship in Baboons“ schreibt Barbara Smuts: „Zu Beginn meiner Forschungsarbeit waren die Paviane und ich in keiner Weise einer Meinung.“

Sie mußte zuvörderst die Paviankommunikation wenigstens annähernd beherrschen: „erst durch ein gegenseitiges Kennenlernen konnten sowohl Paviane als auch Mensch ihrer Arbeit nachgehen.“ Im Hinblick auf die 123köpfige Affenhorde stellte sich der Forscherin also nicht die Frage „Sind Paviane soziale Wesen?“ sondern sie mußte sich selbst fragen „Ist dieses menschliche Wesen sozial?“

Als sie das schließlich einigermaßen positiv beantworten konnte – und ihre Forschung dementsprechend voranschritt, kam sie zu dem Schluß, dass die nicht-sprachliche Kommunikation, bei der sich die Körper über Blicke und Grüßen „eng austauschen“, der sprachlichen Verständigung in puncto Ehrlichkeit und Wahrheit überlegen ist. Auch in der Kommunikation/beim Kontakt scheint also eine auf die Beteiligten unmittelbar bezogene Reziprozität der Gesten gegenüber dem Austausch von Äquivalenten, auf die unsere Warensprache ständig abhebt, stabilere Kollektive/Geselligkeiten/Gesellschaften zu schaffen.

Vielleicht sollte man hierzu noch einmal den „Bericht für eine Akademie“ von Franz Kafka aus dem Jahr 1918 lesen, in dem es um „Mensch-Werden“ geht (in eckigen Klammern stehen Hinweise auf Weiterbearbeitungen):

Hohe Herren von der Akademie,

Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein äffisches Vorleben einzureichen.

In diesem Sinne kann ich leider der Aufforderung nicht nachkommen. Nahezu fünf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit, kurz vielleicht am Kalender gemessen, unendlich lang aber durchzugaloppieren, so wie ich es getan habe, streckenweise begleitet von vortrefflichen Menschen, Ratschlägen, Beifall und Orchestralmusik, aber im Grunde allein, denn alle Begleitung hielt sich, um im Bilde zu bleiben, weit von der Barriere. Diese Leistung wäre unmöglich gewesen, wenn ich eigensinnig hätte an meinem Ursprung, an den Erinnerungen der Jugend festhalten wollen. Gerade Verzicht auf jeden Eigensinn war das oberste Gebot, das ich mir auferlegt hatte [Paul Scheerbarth „Charakter ist nur Eigensinn/Es lebe die Zigeunerin“]; ich, freier Affe, fügte mich diesem Joch. Dadurch verschlossen sich mir aber ihrerseits die Erinnerungen immer mehr. War mir zuerst die Rückkehr, wenn die Menschen gewollt hätten, freigestellt durch das ganze Tor, das der Himmel über der Erde bildet, wurde es gleichzeitig mit meiner vorwärtsgepeitschten Entwicklung immer niedriger und enger; wohler und eingeschlossener fühlte ich mich in der Menschenwelt; der Sturm, der mir aus meiner Vergangenheit nachblies, sänftigte sich; heute ist es nur ein Luftzug, der mir die Fersen kühlt; und das Loch in der Ferne, durch das er kommt und durch das ich einstmals kam, ist so klein geworden, daß ich, wenn überhaupt die Kräfte und der Wille hinreichen würden, um bis dorthin zurückzulaufen, das Fell vom Leib mir schinden müßte, um durchzukommen. Offen gesprochen, so gerne ich auch Bilder wähle für diese Dinge, offen gesprochen: Ihr Affentum, meine Herren, sofern Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine. An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht: den kleinen Schimpansen wie den großen Achilles [Motto siehe oben].

In eingeschränktestem Sinn aber kann ich doch vielleicht Ihre Anfrage beantworten und ich tue es sogar mit großer Freude.

Das erste, was ich lernte, war: den Handschlag geben; Handschlag bezeigt Offenheit; mag nun heute, wo ich auf dem Höhepunkt meiner Laufbahn stehe, zu jenem ersten Handschlag auch das offene Wort hinzukommen. Es wird für die Akademie nichts wesentlich Neues beibringen und weit hinter dem zurückbleiben, was man von mir verlangt hat und was ich beim besten Willen nicht sagen kann – immerhin, es soll die Richtlinie zeigen, auf welcher ein gewesener Affe in die Menschenwelt eingedrungen ist und sich dort festgesetzt hat [Umgekehrt schildert es Barbara Smuts in ihrem o.e. Buch]. Doch dürfte ich selbst das Geringfügige, was folgt, gewiß nicht sagen, wenn ich meiner nicht völlig sicher wäre und meine Stellung auf allen großen Varietébühnen der zivilisierten Welt sich nicht bis zur Unerschütterlichkeit gefestigt hätte:

Ich stamme von der Goldküste. Darüber, wie ich eingefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck – mit dem Führer habe ich übrigens seither schon manche gute Flasche Rotwein geleert – lag im Ufergebüsch auf dem Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tränke lief. Man schoß; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Schüsse.

Einen in die Wange; der war leicht; hinterließ aber eine große ausrasierte rote Narbe, die mir den widerlichen, ganz und gar unzutreffenden, förmlich von einem Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so als unterschiede ich mich von dem unlängst krepierten, hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter nur durch den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei.

Der zweite Schuß traf mich unterhalb der Hüfte. Er war schwer, er hat es verschuldet, daß ich noch heute ein wenig hinke. Letzthin las ich in einem Aufsatz irgendeines der zehntausend Windhunde, die sich in den Zeitungen über mich auslassen: meine Affennatur sei noch nicht ganz unterdrückt; Beweis dessen sei, daß ich, wenn Besucher kommen, mit Vorliebe die Hosen ausziehe, um die Einlaufstelle jenes Schusses zu zeigen. Dem Kerl sollte jedes Fingerchen seiner schreibenden Hand einzeln weggeknallt werden. Ich, ich darf meine Hosen ausziehen, vor wem es mir beliebt; man wird dort nichts finden als einen wohlgepflegten Pelz und die Narbe nach einem – wählen wir hier zu einem bestimmten Zwecke ein bestimmtes Wort, das aber nicht mißverstanden werden wolle – die Narbe nach einem frevelhaften Schuß. Alles liegt offen zutage; nichts ist zu verbergen; kommt es auf Wahrheit an, wirft jeder Großgesinnte die allerfeinsten Manieren ab. Würde dagegen jener Schreiber die Hosen ausziehen, wenn Besuch kommt, so hätte dies allerdings ein anderes Ansehen, und ich will es als Zeichen der Vernunft gelten lassen, daß er es nicht tut. Aber dann mag er mir auch mit seinem Zartsinn vom Halse bleiben.

Nach jenen Schüssen erwachte ich – und hier beginnt allmählich meine eigene Erinnerung – in einem Käfig im Zwischendeck des Hagenbeckschen Dampfers. Es war kein vierwandiger Gitterkäfig; vielmehr waren nur drei Wände an einer Kiste festgemacht; die Kiste also bildete die vierte Wand. Das Ganze war zu niedrig zum Aufrechtstehen und zu schmal zum Niedersitzen. Ich hockte deshalb mit eingebogenen, ewig zitternden Knien, und zwar, da ich zunächst wahrscheinlich niemanden sehen und immer nur im Dunkeln sein wollte, zur Kiste gewendet, während sich mir hinten die Gitterstäbe ins Fleisch einschnitten. Man hält eine solche Verwahrung wilder Tiere in der allerersten Zeit für vorteilhaft, und ich kann heute nach meiner Erfahrung nicht leugnen, daß dies im menschlichen Sinn tatsächlich der Fall ist.

Daran dachte ich aber damals nicht. Ich war zum erstenmal in meinem Leben ohne Ausweg; zumindest geradeaus ging es nicht; geradeaus vor mir war die Kiste, Brett fest an Brett gefügt. Zwar war zwischen den Brettern eine durchlaufende Lücke, die ich, als ich sie zuerst entdeckte, mit dem glückseligen Heulen des Unverstandes begrüßte, aber diese Lücke reichte bei weitem nicht einmal zum Durchstecken des Schwanzes aus [Ein Schwanz bei einem Schimpansen?] und war mit aller Affenkraft nicht zu verbreitern.

Ich soll, wie man mir später sagte, ungewöhnlich wenig Lärm gemacht haben, woraus man schloß, daß ich entweder bald eingehen müsse oder daß ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu überleben, sehr dressurfähig sein werde. Ich überlebte diese Zeit. Dumpfes Schluchzen, schmerzhaftes Flöhesuchen, müdes Lecken einer Kokosnuß, Beklopfen der Kistenwand mit dem Schädel, Zungenblecken, wenn mir jemand nahekam – das waren die ersten Beschäftigungen in dem neuen Leben. In alledem aber doch nur das eine Gefühl: kein Ausweg. Ich kann natürlich das damals affenmäßig Gefühlte heute nur mit Menschenworten nachzeichnen und verzeichne es infolgedessen, aber wenn ich auch die alte Affenwahrheit nicht mehr erreichen kann, wenigstens in der Richtung meiner Schilderung liegt sie, daran ist kein Zweifel.

Ich hatte doch so viele Auswege bisher gehabt und nun keinen mehr. Ich war festgerannt. Hätte man mich angenagelt, meine Freizügigkeit wäre dadurch nicht kleiner geworden. Warum das? Kratz dir das Fleisch zwischen den Fußzehen auf, du wirst den Grund nicht finden. Drück dich hinten gegen die Gitterstange, bis sie dich fast zweiteilt, du wirst den Grund nicht finden. Ich hatte keinen Ausweg, mußte mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand – ich wäre unweigerlich verreckt. Aber Affen gehören bei Hagenbeck an die Kistenwand – nun, so hörte ich auf, Affe zu sein. Ein klarer, schöner Gedankengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben muß, denn Affen denken mit dem Bauch [Hat das Leipziger Primatenzentrum angeblich widerlegt: Affen kalkulieren].

Ich habe Angst, daß man nicht genau versteht, was ich unter Ausweg verstehe. Ich gebrauche das Wort in seinem gewöhnlichsten und vollsten Sinn. Ich sage absichtlich nicht Freiheit. Ich meine nicht dieses große Gefühl der Freiheit nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennengelernt, die sich danach sehnen. Was mich aber anlangt, verlangte ich Freiheit weder damals noch heute. Nebenbei: mit Freiheit betrügt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gefühlen zählt, so auch die entsprechende Täuschung zu den erhabensten. Oft habe ich in den Varietés vor meinem Auftreten irgendein Künstlerpaar oben an der Decke an Trapezen hantieren sehen. Sie schwangen sich, sie schaukelten, sie sprangen, sie schwebten einander in die Arme, einer trug den andern an den Haaren mit dem Gebiß. ›Auch das ist Menschenfreiheit‹, dachte ich, ›selbstherrliche Bewegung.‹ Du Verspottung der heiligen Natur! Kein Bau würde standhalten vor dem Gelächter des Affentums bei diesem Anblick.

Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg; rechts, links, wohin immer; ich stellte keine anderen Forderungen; sollte der Ausweg auch nur eine Täuschung sein; die Forderung war klein, die Täuschung würde nicht größer sein. Weiterkommen, weiterkommen! Nur nicht mit aufgehobenen Armen stillestehn, angedrückt an eine Kistenwand.

Heute sehe ich klar: ohne größte innere Ruhe hätte ich nie entkommen können. Und tatsächlich verdanke ich vielleicht alles, was ich geworden bin, der Ruhe, die mich nach den ersten Tagen dort im Schiff überkam. Die Ruhe wiederum aber verdankte ich wohl den Leuten vom Schiff.

Es sind gute Menschen, trotz allem. Gerne erinnere ich mich noch heute an den Klang ihrer schweren Schritte, der damals in meinem Halbschlaf widerhallte. Sie hatten die Gewohnheit, alles äußerst langsam in Angriff zu nehmen. Wollte sich einer die Augen reiben, so hob er die Hand wie ein Hängegewicht. Ihre Scherze waren grob, aber herzlich. Ihr Lachen war immer mit einem gefährlich klingenden aber nichts bedeutenden Husten gemischt. Immer hatten sie im Mund etwas zum Ausspeien und wohin sie ausspien war ihnen gleichgültig. Immer klagten sie, daß meine Flöhe auf sie überspringen; aber doch waren sie mir deshalb niemals ernstlich böse; sie wußten eben, daß in meinem Fell Flöhe gedeihen und daß Flöhe Springer sind; damit fanden sie sich ab. Wenn sie dienstfrei waren, setzten sich manchmal einige im Halbkreis um mich nieder; sprachen kaum, sondern gurrten einander nur zu; rauchten, auf Kisten ausgestreckt, die Pfeife; schlugen sich aufs Knie, sobald ich die geringste Bewegung machte; und hie und da nahm einer einen Stecken und kitzelte mich dort, wo es mir angenehm war. Sollte ich heute eingeladen werden, eine Fahrt auf diesem Schiffe mitzumachen, ich würde die Einladung gewiß ablehnen, aber ebenso gewiß ist, daß es nicht nur häßliche Erinnerungen sind, denen ich dort im Zwischendeck nachhängen könnte.

Die Ruhe, die ich mir im Kreise dieser Leute erwarb, hielt mich vor allem von jedem Fluchtversuch ab. Von heute aus gesehen scheint es mir, als hätte ich zumindest geahnt, daß ich einen Ausweg finden müsse, wenn ich leben wolle, daß dieser Ausweg aber nicht durch Flucht zu erreichen sei. Ich weiß nicht mehr, ob Flucht möglich war, aber ich glaube es; einem Affen sollte Flucht immer möglich sein. Mit meinen heutigen Zähnen muß ich schon beim gewöhnlichen Nüsseknacken vorsichtig sein, damals aber hätte es mir wohl im Laufe der Zeit gelingen müssen, das Türschloß durchzubeißen. Ich tat es nicht. Was wäre damit auch gewonnen gewesen? Man hätte mich, kaum war der Kopf hinausgesteckt, wieder eingefangen und in einen noch schlimmeren Käfig gesperrt; oder ich hätte mich unbemerkt zu anderen Tieren, etwa zu den Riesenschlangen mir gegenüber flüchten können und mich in ihren Umarmungen ausgehaucht; oder es wäre mir gar gelungen, mich bis aufs Deck zu stehlen und über Bord zu springen, dann hätte ich ein Weilchen auf dem Weltmeer geschaukelt und wäre ersoffen. Verzweiflungstaten. Ich rechnete nicht so menschlich, aber unter dem Einfluß meiner Umgebung verhielt ich mich so, wie wenn ich gerechnet hätte [Risiko-Management?].

Ich rechnete nicht, wohl aber beobachtete ich in aller Ruhe. Ich sah diese Menschen auf und ab gehen, immer die gleichen Gesichter, die gleichen Bewegungen, oft schien es mir, als wäre es nur einer. Der Mensch oder diese Menschen gingen also unbehelligt. Ein hohes Ziel dämmerte mir auf. Niemand versprach mir, daß, wenn ich so wie sie werden würde, das Gitter aufgezogen werde. Solche Versprechungen für scheinbar unmögliche Erfüllungen werden nicht gegeben. Löst man aber die Erfüllungen ein, erscheinen nachträglich auch die Versprechungen genau dort, wo man sie früher vergeblich gesucht hat. Nun war an diesen Menschen an sich nichts, was mich sehr verlockte. Wäre ich ein Anhänger jener erwähnten Freiheit, ich hätte gewiß das Weltmeer dem Ausweg vorgezogen, der sich mir im trüben Blick dieser Menschen zeigte. Jedenfalls aber beobachtete ich sie schon lange vorher, ehe ich an solche Dinge dachte, ja die angehäuften Beobachtungen drängten mich erst in die bestimmte Richtung.

Es war so leicht, die Leute nachzuahmen. Spucken konnte ich schon in den ersten Tagen. Wir spuckten einander dann gegenseitig ins Gesicht; der Unterschied war nur, daß ich mein Gesicht nachher reinleckte, sie ihres nicht. Die Pfeife rauchte ich bald wie ein Alter; drückte ich dann auch noch den Daumen in den Pfeifenkopf, jauchzte das ganze Zwischendeck; nur den Unterschied zwischen der leeren und der gestopften Pfeife verstand ich lange nicht.

Die meiste Mühe machte mir die Schnapsflasche. Der Geruch peinigte mich; ich zwang mich mit allen Kräften; aber es vergingen Wochen, ehe ich mich überwand. Diese inneren Kämpfe nahmen die Leute merkwürdigerweise ernster als irgend etwas sonst an mir. Ich unterscheide die Leute auch in meiner Erinnerung nicht, aber da war einer, der kam immer wieder, allein oder mit Kameraden, bei Tag, bei Nacht, zu den verschiedensten Stunden; stellte sich mit der Flasche vor mich hin und gab mir Unterricht. Er begriff mich nicht, er wollte das Rätsel meines Seins lösen. Er entkorkte langsam die Flasche und blickte mich dann an, um zu prüfen, ob ich verstanden habe; ich gestehe, ich sah ihm immer mit wilder, mit überstürzter Aufmerksamkeit zu; einen solchen Menschenschüler findet kein Menschenlehrer auf dem ganzen Erdenrund; nachdem die Flasche entkorkt war, hob er sie zum Mund; ich mit meinen Blicken ihm nach bis in die Gurgel; er nickt, zufrieden mit mir, und setzt die Flasche an die Lippen; ich, entzückt von allmählicher Erkenntnis, kratze mich quietschend der Länge und Breite nach, wo es sich trifft; er freut sich, setzt die Flasche an und macht einen Schluck; ich, ungeduldig und verzweifelt, ihm nachzueifern, verunreinige mich in meinem Käfig, was wieder ihm große Genugtuung macht; und nun weit die Flasche von sich streckend und im Schwung sie wieder hinaufführend, trinkt er sie, übertrieben lehrhaft zurückgebeugt, mit einem Zuge leer. Ich, ermattet von allzu großem Verlangen, kann nicht mehr folgen und hänge schwach am Gitter, während er den theoretischen Unterricht damit beendet, daß er sich den Bauch streicht und grinst.

Nun erst beginnt die praktische Übung. Bin ich nicht schon allzu erschöpft durch das Theoretische? Wohl, allzu erschöpft. Das gehört zu meinem Schicksal. Trotzdem greife ich, so gut ich kann, nach der hingereichten Flasche; entkorke sie zitternd; mit dem Gelingen stellen sich allmählich neue Kräfte ein; ich hebe die Flasche, vom Original schon kaum zu unterscheiden; setze sie an und – und werfe sie mit Abscheu, mit Abscheu, trotzdem sie leer ist und nur noch der Geruch sie füllt, werfe sie mit Abscheu auf den Boden. Zur Trauer meines Lehrers, zur größeren Trauer meiner selbst; weder ihn noch mich versöhne ich dadurch, daß ich auch nach dem Wegwerfen der Flasche nicht vergesse, ausgezeichnet meinen Bauch zu streichen und dabei zu grinsen.

Allzuoft nur verlief so der Unterricht. Und zur Ehre meines Lehrers: er war mir nicht böse; wohl hielt er mir manchmal die brennende Pfeife ans Fell, bis es irgendwo, wo ich nur schwer hinreichte, zu glimmen anfing, aber dann löschte er es selbst wieder mit seiner riesigen guten Hand; er war mir nicht böse, er sah ein, daß wir auf der gleichen Seite gegen die Affennatur kämpften und daß ich den schwereren Teil hatte [Veranlagung/Prädisposition/Instinkt/Gen].

Was für ein Sieg dann allerdings für ihn wie für mich, als ich eines Abends vor großem Zuschauerkreis – vielleicht war ein Fest, ein Grammophon spielte, ein Offizier erging sich zwischen den Leuten – als ich an diesem Abend, gerade unbeachtet, eine vor meinem Käfig versehentlich stehengelassene Schnapsflasche ergriff, unter steigender Aufmerksamkeit der Gesellschaft sie schulgerecht entkorkte, an den Mund setzte und ohne Zögern, ohne Mundverziehen, als Trinker von Fach, mit rund gewälzten Augen, schwappender Kehle, wirklich und wahrhaftig leer trank; nicht mehr als Verzweifelter, sondern als Künstler die Flasche hinwarf; zwar vergaß den Bauch zu streichen; dafür aber, weil ich nicht anders konnte, weil es mich drängte, weil mir die Sinne rauschten, kurz und gut »Hallo!« ausrief, in Menschenlaut ausbrach, mit diesem Ruf in die Menschengemeinschaft sprang und ihr Echo – »Hört nur, er spricht!« wie einen Kuß auf meinem ganzen schweißtriefenden Körper fühlte.

Ich wiederhole: es verlockte mich nicht, die Menschen nachzuahmen; ich ahmte nach, weil ich einen Ausweg suchte, aus keinem anderen Grund [Luce Irigaray und Judith Butler machten daraus eine feministische Strategie]. Auch war mit jenem Sieg noch wenig getan. Die Stimme versagte mir sofort wieder; stellte sich erst nach Monaten ein; der Widerwille gegen die Schnapsflasche kam sogar noch verstärkter. Aber meine Richtung allerdings war mir ein für allemal gegeben.

Als ich in Hamburg dem ersten Dresseur übergeben wurde, erkannte ich bald die zwei Möglichkeiten, die mir offenstanden: Zoologischer Garten oder Varieté. Ich zögerte nicht. Ich sagte mir: setze alle Kraft an, um ins Varieté zu kommen; das ist der Ausweg; Zoologischer Garten ist nur ein neuer Gitterkäfig; kommst du in ihn, bist du verloren.

Und ich lernte, meine Herren. Ach, man lernt, wenn man muß; man lernt, wenn man einen Ausweg will; man lernt rücksichtslos. Man beaufsichtigt sich selbst mit der Peitsche; man zerfleischt sich beim geringsten Widerstand. Die Affennatur raste, sich überkugelnd, aus mir hinaus und weg, so daß mein erster Lehrer selbst davon fast äffisch wurde, bald den Unterricht aufgeben und in eine Heilanstalt gebracht werden mußte. Glücklicherweise kam er bald wieder hervor.

Aber ich verbrauchte viele Lehrer, ja sogar einige Lehrer gleichzeitig. Als ich meiner Fähigkeiten schon sicherer geworden war, die Öffentlichkeit meinen Fortschritten folgte, meine Zukunft zu leuchten begann, nahm ich selbst Lehrer auf, ließ sie in fünf aufeinanderfolgenden Zimmern niedersetzen und lernte bei allen zugleich, indem ich ununterbrochen aus einem Zimmer ins andere sprang.

Diese Fortschritte! Dieses Eindringen der Wissensstrahlen von allen Seiten ins erwachende Hirn! Ich leugne nicht: es beglückte mich. Ich gestehe aber auch ein: ich überschätzte es nicht, schon damals nicht, wieviel weniger heute. Durch eine Anstrengung, die sich bisher auf der Erde nicht wiederholt hat, habe ich die Durchschnittsbildung eines Europäers erreicht. Das wäre an sich vielleicht gar nichts, ist aber insofern doch etwas, als es mir aus dem Käfig half und mir diesen besonderen Ausweg, diesen Menschenausweg verschaffte. Es gibt eine ausgezeichnete deutsche Redensart: sich in die Büsche schlagen; das habe ich getan, ich habe mich in die Büsche geschlagen [Deleuze und Guattari machen daraus ein zentrales Anliegen: „Einen Ausweg finden/Sich in die Büsche schlagen“]. Ich hatte keinen anderen Weg, immer vorausgesetzt, daß nicht die Freiheit zu wählen war.

Überblicke ich meine Entwicklung und ihr bisheriges Ziel, so klage ich weder, noch bin ich zufrieden. Die Hände in den Hosentaschen, die Weinflasche auf dem Tisch, liege ich halb, halb sitze ich im Schaukelstuhl und schaue aus dem Fenster. Kommt Besuch, empfange ich ihn, wie es sich gebührt. Mein Impresario sitzt im Vorzimmer; läute ich, kommt er und hört, was ich zu sagen habe. Am Abend ist fast immer Vorstellung, und ich habe wohl kaum mehr zu steigernde Erfolge. Komme ich spät nachts von Banketten, aus wissenschaftlichen Gesellschaften, aus gemütlichem Beisammensein nach Hause, erwartet mich eine kleine halbdressierte Schimpansin und ich lasse es mir nach Affenart bei ihr wohlgehen. Bei Tag will ich sie nicht sehen; sie hat nämlich den Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick; das erkenne nur ich, und ich kann es nicht ertragen [Siehe dazu Theodor Lessing „Tiere“ und über Dressur: Makoto Ozaki „Artikulationen“].

Im ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte. Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht wert gewesen. Im übrigen will ich keines Menschen Urteil, ich will nur Kenntnisse verbreiten, ich berichte nur, auch Ihnen, hohe Herren von der Akademie, habe ich nur berichtet.

Hierauf soll (später) ein Text von Robert Menasse „Das Ende des Hungerwinters“ folgen – aus „Manuskripte Nr. 179, in dem es um das „Tier-Werden“ geht:

Abschließend sei noch ein Bericht von spiegel-online und aus der deutschen Ärzte-Zeitung über zwei Zentren deutscher Affenforschung zitiert:

1. Sie haben Kulturen, benutzen Werkzeuge, machen Liebe und führen Kriege. Schimpansen sind auch nur Menschen. Oder ist es umgekehrt? In Leipzig fragen sich Dutzende von Forschern, was die beiden Primaten denn nun unterscheidet. Seit einem Jahr gehen ihnen dabei 37 Menschenaffen zur Hand.

„Es ist absolut skandalös, dass sich so was in der nächsten Verwandtschaft befindet…“ Wer da so jammert, ist kein geringerer als der berühmte Philosoph Langer Arm. Und der Grund seiner Trübsal ist der Mensch. Langer Arm ist Schimpanse. In seinem viel beachteten Werk „Die Kronen der Schöpfung“ vertritt er die These, dass seine Spezies gemeinsam mit Bonobos, Gorillas und Orang-Utans das Ziel der Schöpfung ist. Nur der fünfte im Bunde, der Mensch, schlage bedauerlicherweise aus der Art, schreibt er.

Schreibt er natürlich nicht. Weil Schimpansen keine Bücher schreiben. Wahrscheinlich machen sie sich auch gar keine Gedanken darüber, warum sie Schimpansen sind. So ist Langer Arm in Wirklichkeit dem Hirn eines anderen entsprungen, dem von Wolfgang Enard.

Der ist kaum behaart, kann schlecht klettern, macht sich aber umso mehr Gedanken darüber, warum er ein Mensch und kein Schimpanse ist. Enard ist Genetiker am Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie, für dessen Jahrbuch er Langer Arm erfunden hat.

2. Das Deutsche Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen ist ein deutschlandweit einmaliges Forschungsinstitut: Die Arbeiten mit den dort gezüchteten Affen sind für die biologische, wie auch für die medizinische Forschung von weltweiter Bedeutung.

So sind die Affen für die Erforschung von Krankheiten sehr wichtig, weil sie Menschen viel ähnlicher sind als die üblichen Labortiere, wie Ratten und Mäuse. Das Primatenzentrum schließe damit eine Forschungslücke, so der Direktor des Primatenzentrums, Professor Stefan Treue. Derzeit beherbergt das DPZ rund 1300 Tiere unterschiedlicher Affenarten. Vergangene Woche feierte die Einrichtung nun ihr 30-jähriges Bestehen.

Die größte wissenschaftliche Abteilung des DPZ ist die Virologie. Bei der Erforschung von Viruskrankheiten haben die Göttinger Wissenschaftler auch große Erfolge vorzuweisen: Unter anderem entwickelten sie einen Antikörper zum Nachweis von BSE. Ferner wurden am DPZ wichtige Erkenntnisse für die Bekämpfung von Aids gesammelt.

Darüber hinaus laufen am Primatenzentrum auch viele andere Forschungsprojekte etwa im Bereich der Neurobiologie, der Verhaltensforschung, der Reproduktionsbiologie und neuerdings der Stammzellforschung. Zu den bisherigen Erfolgen zählt zum Beispiel die Etablierung eines Tiermodells zur Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Parkinson. Zudem dient das DPZ als Servicezentrum für andere internationale Forschungsinstitute.

Die Göttinger Wissenschaftler arbeiten aber auch dort, wo sich die Lebensräume der Affen befinden. So unterhält das Primatenzentrum Freilandstationen in Peru, Indonesien und Madagaskar. Dort wurde bereits ein halbes Dutzend bislang unbekannter Primatenarten entdeckt.

Zu diesem Artikel photographierte die Ärzte-Zeitung den lachenden Direktor des Primatenzentrums Professor Stefan Treue – vor einem Affenkäfig, in dem ein Rhesusaffe am Gitter hängt und interessiert das Medieninteresse an „seinem“ Chef verfolgt.

Ich habe mich hier für zwei andere Photos entschieden: Affe auf Horizontalpoller und Mensch auf Vertikalbaum:

Nachtrag:

Im Berliner Zoologischen Garten biß der Schmpanse Pedro neulich dem Zoodirektor Bernhard Blaskiewicz einen Finger ab. Dieser wurde zwar wieder angenäht, entzündete sich jedoch und mußte amputiert werden. Einige Tage lang waren die Berliner Boulevardzeitungen voll mit Schlagzeilen über Blaskiewiczs Finger. Viele Zoobesucher versammelten sich derweil um Pedros Käfig – und beglückwünschten ihn zu seiner Tat. Der Zoodirektor ist nicht besonders beliebt und gilt als unangenehm autoritär. Zudem wollte er sich anscheinend wichtig tun – und ignorierte die Mahnungen zur Vorsicht von „seinen“ Menschenaffenpflegern.

Die Süddeutsche Zeitung erinnerte in diesem Zusammenhang am 11.Juni noch einmal an den berühmten Kölner Schimpanse Petermann, den der Direktor des Kölner Zoos seinerzeit mit der Flaschen aufgezogen hatte: Petermann war, schreibt die SZ, „in jungen Jahren ein Paradekölner, dem seine Wärter Uniformen anzogen, damit er bei Karnevalssitzungen der umjubelte Star sein konnte. Außerdem fuhr er ohne Führerschein Motorrad. Als Petermann älter wurde, brach das Affenhafte in ihm durch. Er sperrte eines Tages seine Käfigtür auf, verpaßte dem Zoodirektor einen Hieb und randalierte im Tierpark. Die Polizei rückte mit Scharfschützen an, und der Showdown ist längst Legende, weil der Affe Sinn für Inszenierungen bewies. Petermann hatte die linke Faust in den Abendhimmel gereckt, als er von hinten erschossen wurde.

Un der überschaubren rheinischen Anarchoszene hat sich seitdem die Parole „Petermann, geh Du voran!“ eingebürgert, selbst wenn es nur darum geht, aus einer Gruppe durstiger Jungmenschen denjenigen zu bestimmen, der weiteres Bier vom Büdchen ranschleppen soll.“

Der SZ-Autor kommt sodann vom Kölner Schimpansen Petermann auf den Berliner Schimpansen Pedro zu sprechen: „Dessen Namensähnlichkeit zum Kölner Revolutionär deutet bereits an, dass die Artgenossen in diesem Fall auch Kampfgenossen sind.“

Den abgebissenen Finger des Zoodirektors „als Fingerzeig der Tiere an die Menschen zu deuten“ sei „so naheliegend wie zulässig“, denn ein paar Käfige weiter lebt der Eisbär Knut, aus dem der Zoodirektor mit Hilfe seines inzwischen verstorbenen Bärenpflegers und der Springerpresse einen „Helden des Privatfernsehens“, zu einer Art „Dieter Bohlen mit Fell“ gemacht hatte. „Was Pedro getan hat, hat er auch für die Eisbären getan; für die Beutelsäuger so sehr wie für die Paarzeher. Für die Freiheit. Und für die Schimpansen, die im Fernsehen immer Latzhosen tragen müssen. Petermann, geh du voran – der Affe Pedro hat seinen Auftrag verstanden.“

Die FAZ blieb sachlich: Sie interviewte die Affenforscherin Angelique Todd:

Frau Todd, Ihnen fehlt ja ein Daumen! Waren das die Flachland-Gorillas? Nein, es war ein Schimpanse, ist schon lange her. Es passierte in einem englischen Zoo, wo ich während des Studiums als Pflegerin arbeitete. Schimpansen sind Fleischfresser, und der Affe dachte wohl, mein Arm sei so ein Stück Fleisch, das ich ihm auf einer Platte reichen wollte. Er biss minutenlang darauf herum, ich verlor fast den ganzen Unterarm.

Erst am Montag hat hier in Berlin ein Schimpanse dem Direktor des Zoos den Zeigefinger abgebissen . . .

Ich glaube, dass Zoos keine geeigneten Lebensräume für Schimpansen sind. Bei uns im Kongo-Becken leben ja auch wilde Schimpansen, aber da ist mir so etwas in neun Jahren noch nicht passiert.

Ihr Schimpansen-Trauma war sicherlich keine gute Voraussetzung dafür, später jahrelang in Afrika mit Affen zu leben?

Als ich zum ersten Mal nach Afrika kam, hatte ich wirklich Angst. Ich zog im Jahr 2000 in unser Camp im Regenwald, das aus einfachen Holzhütten besteht. Wir folgen den Tieren dort immer von 6.30 bis 17.30 Uhr. Es ist sehr gefährlich, in den Wäldern zu wandern, nicht nur wegen der Giftschlangen. Ich hatte Angst, aber es war ja das, was ich immer machen wollte. Und wenn Sie nach Afrika kommen, sehen Sie Leute, die schlimmste Unfälle erlebt haben, ihre Beine und Arme verloren haben, aber nicht weiter darüber nachdenken. Und diese prätentiösen Engländer starren dich an und denken, du bist abnormal, nur weil dir ein Daumen fehlt. In Afrika wurde meine Verletzung normal.

Nach zwei Monaten begegneten Sie erstmals einem Gorilla. Wie war das?

Zuerst dachte ich, es sei ein Mann. Er schlich so durchs lange Gras und stand plötzlich auf. Es war um elf nach drei am Nachmittag, und er kam in den folgenden Tagen immer wieder um elf nach drei an diese Stelle. Ich nannte ihn „Eleven Minutes Past Three“.

Ein Affe so groß wie ein Mann, und Sie hatten keine Angst?

Doch, sehr. Und schon bald wurde ich erstmals von einem Gorilla angegriffen – als ich die erste Gruppe gemeinsam mit meiner Vorgängerin habituierte, also an Menschen gewöhnte. Die Affen bäumten sich mit den Armen wedelnd vor uns auf und wollten uns zeigen, dass sie groß und stark sind. Dann müssen Sie sich einfach denken: Ja, ja, du bist sehr stark, fein. Dann gehen die Gorillas wieder. Man muss einfach drauf vertrauen, dass sie einem nichts tun. Vielleicht beißen sie dich. Aber sie fressen dich nicht, so wie die Schimpansen im Zoo.

Geben Sie allen Wildgorillas Namen?

Ja, wir nehmen die Namen der Pygmäen. Den Silberrücken, also das Alphamännchen in der Gruppe von elf Gorillas, mit der ich jetzt gerade arbeite, heißt Mukumba. Das bedeutet „schnell“, weil er so plötzlich aggressiv werden kann. Das dominante Weibchen heißt Bombay, wie eine runde Frucht aus der Gegend, weil sie so einen fetten Bauch hat, der bis zum Boden herunterhängt.

Wann begegneten Sie dieser Gruppe?

Schon 2000. Eines Tages wanderten wir in eine entfernte Gegend des Waldes. Da trafen wir eine riesige Horde, einige saßen am Boden, andere auf Baumkronen. Der erste Kontakt war faszinierend. Wenn Affen noch nie einen Menschen gesehen haben, sind sie erst mal sehr neugierig. Die Weibchen kamen mit ihren Jungen auf dem Rücken und guckten. Doch den Kontakt zu halten wird schwieriger. Wenn Sie die Gruppe verfolgen, ist das für die Gorillas unangenehm, so als wäre ein Stalker hinter ihnen her. Sie werden erst ängstlich und irgendwann aggressiv.

Sie möchten Tiere an Menschen gewöhnen, damit Touristen kommen und den Einheimischen eine andere Lebensgrundlage als die Wilderei erschließen. Wie läuft die Gewöhnung ab?

Das dauert fünf Jahre. Uns geht es nicht darum, die Affen zu zähmen. Wir wollen sie dazu bringen, Menschen zu ignorieren. Die ersten Teffen erfolgen zufällig. Nach einem Jahr kann man der Gruppe folgen. Doch die Silberrücken werden immer wieder aggressiv. Wenn sie sich vor mir aufbäumen, spreche ich ihnen ruhig zu. Besonders schwierig sind allerdings die Weibchen. Es kann bis zu sieben Jahre dauern, sie zu habituieren.

Die Frauen sind schwieriger?

Weibchen können ein wahrer Albtraum sein! Sie denken immer, sie müssten mit uns konkurrieren.

Sie sagen, Wilderei sei ein Problem. Andererseits machen Sie die Affen zahm und damit zur leichteren Beute.

Daher schützen Anti-Wilderer-Patrouillen die Affen. Aber ohne uns wären die Gorillas verloren. Die Wilderei ist ein großes Problem in der ganzen Region, die traditionelle Jagd zum Eigenbedarf weitet sich aus auf kommerzielle Wilderei. In der Region wird aber Ebola für die Gorillas zur noch größeren Bedrohung.

Sie arbeiten in einem Team mit 60 Ureinwohnern. Die mögen Gorillafleisch.

Für die Pygmäen ist Fleisch Fleisch. Ich hoffe, meine Leute essen kein Gorillafleisch, aber kann es nicht garantieren.

Sie waren der erste Mensch, der je die Geburt eines Westlichen Flachland-Goriallas in der Wildnis gesehen hat.

Es war phantastisch: Die Mutter kletterte den Baum hinauf und hatte zwei andere Gorillaweibchen neben sich. Ich stand etwa zehn Meter vom Nest entfernt. Der Vater ignorierte die Geburt einfach, er saß im Baum nebenan und aß.

Sie wollen sanften Tourismus als Instrument des Artenschutzes etablieren. Was für Touristen kommen da? Stören sie?

Die allermeisten sind Deutsche. Anwälte, Lehrer, Leute, die genug Geld haben. Manchmal muss ich sie an ihren Rucksäcken zurückziehen, sie wollen immer wieder die Gruppe verlassen. Es ist streng verboten, Affen zu berühren, sie infizieren sich leicht. Aber es ist ein gutes Gefühl, dass jetzt Einnahmen in die Region fließen. Wir hatten 650 Besucher im letzten Jahr, es werden immer mehr.

Genießen Sie es, hier in Frankfurt mal wieder in der Zivilisation zu sein?

Ja, es ist schön, nicht nur ein Plumpsklo zu haben. Und es ist wichtig, Experten und Politiker zu treffen.

(Das Interview führte Jan Grossarth)

Im Ostberliner Tierpark kannte ich Ende der Sechzigerjahre eine der bei den Menschenaffen arbeitenden und quasi wissenschaftlich ausgebildeten Tierpflegerinnen, ich besuchte sie dorft mehrmals im Wärterbereich. Einmal sah ich dabei – quasi von vorne – wie einige Kinder einer Schulklasse hingebungsvoll einen alten Schimpansen beobachteten, der gerade gelangweilt eine Banane aß. Vor allem interessierten sie sich jedoch für die Banane, wie ich dann erstaunt feststellte. Schließlich wurde dem Schimpansen dieses Interesse zuwider: Langsam schlenderte er auf die Schüler zu – und zerdrückte plötzlich die Banane vor ihrem Gesicht an der Glasscheibe, von wo aus sie langsam nach unten in das Sägemehl rutschte. Eins der Kinder fing daraufhin an zu weinen, dadurch wurden auch die anderen Kinder auf die zerquetschte Banane im Dreck aufmerksam und im Nu machte die ganze Klasse ein trauriges Gesicht. Der Lehrer befahl ihnen, sich den anderen Affen in den Nachbarkäfigen zu widmen. Meine Menschenaffenpflegerin bestätigte mir später, als wir zusammen in der Kantine saßen, daß die Südfruchtverschwendung der Menschenaffen ein wirkliches Problem in den DDR-Zoos sei.

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