Die 50jährige Barbara Krobath ist die wahrscheinlich beste, weil vielseitigste Magazin- und Dokumentarfotografin Österreichs. Was bringt jemanden, der über eine solche Reputation verfügt, dazu, eine überdimensionale Hornisse als dauerhafte Flieseninstallation auf einen Silobau in der tiefsten Provinz zu applizieren?
Da ist zunächst einmal die Firma Pröll, genauer: der niederösterreichische Landesvater, der soeben mit Ambitionen auf das Amt des Bundespräsidenten herausgerückt ist, und der sein Kernland seit Jahren mit einer Kulturoffensive der Extraklasse überzieht. Man baut die wirtschaftliche Zukunft Niederösterreich auf gezielte Investitionen in die Kultur- und Freizeitindustrie, um das Minus durch wegbrechende Branchen zu ersetzen; Personalmuseen für lebende Künstler schiessen wie Pilze aus dem Boden, es hagelt Festspiele und Sonderausstellungen allerorten, wobei das ausflugsfreudige Wiener Publikum kräftig umworben wird.
Eine besonders exzentrischer Spass unter den vielen Sommergaudis ist das so genannte Viertelfestival, das jedes Jahr auf einem anderen Flecken meiner Autokarte umrandete Ortsnamen hinterlässt: 2010 wird es im Waldviertel stattfinden, 2011 im Industrieviertel und heuer geht das Festival weinviertelweit über die Bühne.
Da gibt es einen waschechten Jammercontest, künstlerischen Seiltanz zu Feedbackklängen, eine Pinkelsteinenthüllung, aber auch Familiensymposien zum Thema Wein und Brot, erzählende Bäuerinnen, ekstatische Blasmusik, kurz: jede Menge Verspieltes und Ironisches, selbstgebastelte Event-Kultur, vermischt mit durchaus ernsthaften und avantgardistischen Anliegen (www.viertelfestival-noe.at).
Barbara Krobaths Intervention im Rahmen des Weinviertel Viertelfestival 2009 findet auf einer Turmwand hart an der tschechischen Grenze, in Laa an der Thaya, statt. Der dortige Müller-Silo versprüht den herben Charme der funktionalistischen Moderne; unter Wellblech nisten schreckhafte Landtauben und knapp am Gemäuer vorbei schrammt alle heilige Zeiten ein von einer roten ÖBB-Lok geführter Güterzug.
Hier, wo sich Fuchs und Henne gute Nacht sagen, hat die in Wien und im Waldviertel lebende Fotografin das stark angeschnittene Bild einer Hornisse – vor allem Kopf und Fühler – in schwarzen, grauen und weissen Fliesen auf die glatte Betonfläche gepixelt. Die Hornissenaugen stieren nun Tag und Nacht über Maisfelder hinaus auf eine Laaer Umfahrungstrasse.
Bei der Eröffnung dieses schmucken Kunstwerks war viel vom »Wechsel der Perspektive« die Rede, von der Begrenztheit unserer Sinne, vom Auflockern festgefahrener Sichtweisen, und überhaupt. Für mich liegt das Erstaunliche der Arbeit eher in der Konfrontation von baulicher Rationalität mit einer stark abstrahierten Natur – hier, aus dieser Konfrontation, erst entspringen dem künstlerischen Prozess Geräusche und Klänge.
Ich will es noch deutlicher sagen: Mich erinnert dieses Gegenüberstellen und Auf-einander-Bezug-Nehmen von Silo und Insekt irgendwie (und weil ich den Text gerade zu Hand habe) an den Geist des Mahatma zwei Jahre vor seiner Ermordung. »Ich glaube nicht, dass Industrialisierung in irgendeinem Fall für irgendein Land notwendig ist«, schrieb Gandhi am 1. September 1946 in seiner Wochenzeitschrift Harijan, und weiter: »Wenn ein schlichtes Leben lebenswert ist, dann ist der Versuch dazu wert, gemacht zu werden, selbst wenn nur eine Gruppe oder ein Individuum sich darum gemüht. Zugleich glaube ich, dass einige Schlüsselindustrien notwendig sind…«
Was für ein verschrobenes Ideal! Ein schlichtes und achtsames Leben, angesiedelt rund um ein paar Schlüsselindustrien herum – ist es das, was mir das megagrosse Insekt vom Müller-Silo herab sagen will?
Man weiss als halbwegs aufgeklärter Zeitgenosse natürlich, dass in Deutschland die Hornisse fast ausgerottet ist; man hat gehört, dass das im ökologischen Gleichgewicht der Natur eingebettete Geschöpf der Hornisse vor seinem biologischen Aus steht. Wir sind über dieses Drama informiert, und trotzdem bereitet mir der Gedanke an Hornissenstachel weiterhin beträchtliches körperliches Unbehagen.
Ich gestehe zerknirscht: Ich habe mich auch nie für das Überleben von Bären, Wölfen und Haien erwärmen können, geschweige denn für die zoologische Rettung von Leguanen und Giftschlangen. Es bereitet mir gewaltige Probleme, die geistigen Fähigkeiten von mir stammesgeschichtlich weit entfernt stehenden Organismen überhaupt ernst zu nehmen.
Dabei wäre doch zu bedenken, das sich Hornissen viele Jahre länger als unsere eigene Art dahingehend entwickelt haben, den Herausforderungen ihrer evolutionären Nischen gerecht zu werden. Ohne Frage ist das erstaunliche Hirnpotenial sozialer Insekten zu den Zweck überdimensional gewachsen, um Probleme zu lösen, die auf zielgerichteten Strategien beruhen. Welche Intelligenzleistung erbringt denn mein morgendliches Brötchenholen gegenüber dem klandestinen Nestbau auf einem winterfesten Dachboden? Wieviel Lust vermag ist aus einem Blogeintrag zu gerieren im Vergleich zum Mitstürzen in der Angriffsformation eines Hornissenschwarmes?
Das wäre es also vermutlich, was mir der Müller-Silo in Laa an der Thaya sagen will: Eine Hornisse steht an kognitiver Raffinesse kilometerweit über mir.
© Wolfgang Koch 2009