vonWolfgang Koch 27.08.2009

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Der bayerisch-österreichische Künstler Alexander Nickl ist seines Zeichens Neoprojektionist. Im Juni 2009 hat er ein entsprechend bekennerisches Manifest in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Der Neoprojektionismus wendet sich gegen sämtliche Behübschungstendenzen der gegenwärtigen Projektionskunst – einer Unterdisziplin oder Erweiterung von Lichtinstallationen, welche als Kunstphänomen angeblich in Wien ihren Ursprung genommen haben.

Nickl mag es nicht, wenn mit bunten, an die Wand geworfenen Bildern Fassaden verziert werden; er verabscheut Künstlerkollegen, die Laser- und andere Strahlen in den Dienst der Eventkultur stellen. Der Neoprojektionismus will den aktuellen Forschungsstand zu bestimmten Problemen des Raumes zusammenfassen und sich nicht von den Agenten der Unterhaltungskultur korrumpieren lassen.

Ein klares Vorhaben! Der Künstler erprobt Ideen am Raum, die ihm der Raum selbst eingibt. So die Theorie. Er missbraucht die magische Anziehungskraft von Licht nicht, sondern lehrt einen sensiblen Umgang damit. Was die Slowfood-Bewegung für Gaumen und Gedärme, das möchte der Neoprojektionismus für Auge und Verstand sein: das wildwuchernde Bestrahlen von öffentlichen Objekten abstellen, die
die Beleuchtungsflut in den Städten eindämmen. Dem Neoprojektionismus geht es nicht um Helligkeit, sondern um den Wiedergewinn der Dunkelheit. Und das geht zum Beispiel so:

In einem mittelständischen Stall im Allgäu richtet Nickl seinen Lichtstrahl nächtens auf die ruhenden Kühe. Dabei entsteht ein seltsam-gemütliches Video von einer knappen Stunde Länge. Man sieht zunächst nicht viel: rechts die trächtigen Tiere, links die, die bereits geworfen haben. Irgendwann werden die Hufer neugierig, was die nächtliche Ruhestörung wohl soll, eine wagt sich plump in den Lichtkegel vor, dann die nächste, und am Ende, als die helle Stunde beinahe vorüber ist, tanzen und tänzeln die guten Vieher zu lautlosen Trancesound im Projektionstrahl.

Die Projektionskünstler der letzten Generation pflegten noch einen viel wilderen Umgang mit der Natur. 1966 projizierten Mark Boyle und Joan Hills in Presentation den Todeskampf von ertrinkenden Wespen auf eine Leinwand, was zu einer Schlägerei im Publikum führte. Bei der Aktion standen die ZuschauerInnen im Mittelpunkt und eine sittliche Grenze, die provokativ überschritten werden sollte. Aus der Sicht des Neopojektionisten ein bezeichnendes Missverständnis.

»Ich dachte während der ganzen Projektion«, erzählt Nickl, »dass die Selektion, die wir den Kühen mit künstlicher Besamung und Gentechnologie antun, auch bei den Menschen kommen wird. Wir betrachten das Leben heute nur noch nach Produktivitätsgesichtspunkten. Es ist da eine Entwicklung im Gang… An mir selber sehe ich ja, dass ich, wenn ich etwas zeichne, immer die Form zu perfektionieren versuche. Wir haben von Natur aus diese Tendenz …– Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich nichts anderes sah als die Kühe und einen Hund hörte, der bellte.«

Tatsächlich kann man am Video erkennen, dass die Kühe im flutenden Licht keinen Mucks machen. Die Antwort darauf wusste der Landwirt. »Kühe, denen es gut geht, muhen nicht«, erklärte er nach der Installation. Überhaupt schien die Sache auch dem Besitzer der Kühe gefallen zu haben, denn gleich darauf bot der dem Künstler einen Job am Hof an. So nahe war man sich während der nächtlichen Aktion gekommen.

Die gewöhnlichen Leute verstehen vielleicht nichts von Kunst. Das stimmt schon! »Kultur ist eine Selbsthilfegruppe der Elite«, hat Marlene Streeruwitz kürzlich mit Blick auf die Salzburger Festspiele gesagt. Man kann es noch schärfer formulieren: Kunst ist ein permanentes Ab- und Ausgrenzungsritual der Deutungseliten; moderne Werke sollen weder klar sein, noch verstanden werden…

Allein, so viel wissen die gewöhnlichen Leute dann eben doch von der Kunst: dass jedes Künstlersein eine Art Hungerleiderschicksal ist, nicht zur Person gehörig, ihm fremd, aufgezwungen. Wenn das Genie in die Deutungselite eingemeindet werden will, muss es erst noch den Preis eines ländlichen Eigenheimes in die eigene Arbeit investieren. Bis dahin kann das Genie jeden Euro gebrauchen und schon mal den Stall ausmisten.

© Wolfgang Koch 2009

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