vonWolfgang Koch 09.07.2009

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Dass in Indien ein Elefantengott verehrt wird, ist so wenig überraschend, wie dass im Patriarchenland Italien ein Papst residiert. Nun hat es Ganesha, die beliebeste Gottheit aus dem weiten hinduistischen Kosmos beim einfachen indischen Volk, bis nach Wien 22 geschafft. Am letzten Wochenende öffnete in den Blumengärten Hirschstetten ein sogenannten Indischen Garten mit Quellstein, Gewürzpflanzen und holzgeschnitztem Pavillon zwischen schönen Gewächshäusern und einem künstlich angelegten Schilfteich.

Die Gärten der Tropen in der Quadenstrasse 15 gleichen ein wenig einer englischen Freizeitanlage, nur dass hier eben keine Younster in Rugbyshirts aus gerippter Baumwolle herumstreunen. Weil die Anstaltsleitung periodisch von Ideen geplagt scheint, man sich aber keinen André Heller als Designer leisten kann, wird alle Jahre ein neues Eck der Gartenanlage thematisch gedüngt.

Und da steht er also nun, im Florarium Hirschstetten: Ganesha, mit acht anstelle der traditionellen vier Arme – eine farbig gemalte Holzplastik wie aus dem Gartenbedarfversandhaus, Abteilung: Ethnodekoration. Ein Dutzend tonnenförmige Wiener tapsen durch die Staffage aus winterfester Banane, Palmen und Feigenbäumchen. Von den angekündigten exotischen Duftkreationen ist nichts zu riechen. Männer mit kiloschweren Objektiv fokussieren ihrer Linse minutenlang auf malerische Lotosblüten in einem kreisrund gemauerten Becken. Das der Lotos, der da schwimmt, aus Wachs geformt ist, stört sie kein Bisschen.

Zwei glänzend-schwarze Schildkrötenwinzlinge reiten auf Schilfhalmen, während Frösche im Wasser vorbeitauchen. In einem Doppelzelt dürfen Kinder für ein 50-Centstück papierne Blumengirlanden basteln. Es gibt Bambuspflanzen, Kakteen und allerlei Ayurveda-Krimskrams zu kaufen. – So also nähert sich der erfahrungshungrige Wiener einem Instant-Indien, wie er es bereits bestens aus Reiseprospekten und Bollywood-Filmen kennt. Die ganze Anlage wirkt steril und gekämmt wie das Anstandsgrün einer Viersternhotels, die Erde ist tiefschwarz von Wasser getränkt und der ferne Subkontinent an deisem Ort so emotionsfrei wie ein funkferngesteuerter Satellit.

»Der Wiener«, hat Hermann Bahr, ein Zeitgenosse Stefan Zweigs, einmal gesagt, »braucht immer ein Beispiel«. Gut, fragt sich nur, wofür? Wofür steht das rothäutige, elefantenköpfige Söhnchen von Shiva und dessen Braut Parvati? Ganesha ist im religiösen Kontext anders gestrickt als sein Bruder Skanda. Er wird von Afganistan bis Südostasien verehrt, weil er gemeinsam mit seinen Eltern das perfekte Abbild einer glücklichen Heilige Familie bildet.

Das war nicht immer so! Ganesha ist nämlich unter tragischen Umständen zu dem Mischwesen geworden, das er ist. Zunächst formte Parvati das Kind aus dem Schmutz, den sie aus ihrer Haut geschabt hat. Dann bestimmt sie Ganesha zum Hüter der Schwelle des Bades, in dem sie sich reinigte. Als ihr Gemahl Shiva nach Hause kam, versperrte ihm der Kleine tapfer den Weg in den Sanitärbereich. Shiva enthauptete der Erzählung nach seinen Familiennachwuchs, und als den Fehler erkannte, setzte er dem Sohnemann den Kopf des ersten Geschöpfes auf, das ihm über den Weg lief. Das war der im Fantasy-Indien gebräuchliche Elefant.

Ganeshas Geschichte ist also die Geschichte eines tödlichen Irrtums. Der Vater soll den eigenen Sohn nicht erkannt haben. Kulturwissenschafter betonen in ihrer Deutung des Mythos gerne, dass hier eine Grosse Mutter um ihren Sohn zu bangen hat. Der Tod des Gottessohnes sei nämlich eine Art Widerspiegelung agrarhistorischer Vorgänge in der Menschheitsgeschichte.

Damit in der Natur neues Leben entstehe, müsse den Göttern ein Opfer dargebracht werden. Man findet das Motiv des geschändeten, getöteten und zerstückelten Gottesohnes in vielen ackerbauenden Gesellschaften, wo die Saat vergraben werden muss, um neues Leben zu erwecken. Nicht zuletzt folgen ja auch Kreuzigung und Auferstehung des christlichen Gottessohnes dieser archaischen Logik. Neues Leben entspringt dem, was man in der letzten Saison begraben hat.

Ganesha ist ein Gott der Anfänge, ein Schwellenhüter; die Brahmanenschnur um seinen Elefantenbauch weist ihn als Beschützer der Schreiber, Gelehrten und der Blogger aus. In der rechten Hand hält er gewöhnlich einen Dreizack oder einen Elefantensporn, in der linken eine Schlinge. Mit der rechten unteren Hand segnet er seine Anbeter, mit der linken unteren Hand hält er eine Schale mit Milchkugeln. Unter oder neben Ganesha sitzt gewöhnlich eine Maus oder Ratte, die sein Reittier (Vahana) ist.

Die piesende Maus unterstreicht die auffällig humoristische Note der hinduistischen Glaubenswelt. Ihre Existenz ist einem Wettlauf Ganeshas mit seinem Bruder Skanda zu verdanken, die sogar den Mond zu lachen bringt. Dass die Gottheit mit dem Elefantenkopf nur einen Stosszahn besitzt, geht übrigens auf einen Streit mit einem Verehrer Shivas zurück – hier ist der Vater-Sohn-Konflikt nochmals präsent. Die Schlinge versinnbildlicht alle Versuchungen des Erfolges; die doppelköpfige Axt ab- und zunehmende Mondhälften.

Da stünden jetzt also einige neue Perspektiven für die Wiener Gegenwart im Raum – in dem besagten Hirschstettener Bananenhain zwischen Springbrunnen und mexikanischen Pseudopueblos, der auch unseren mitteleuropäischen Winter überleben soll. Wien hat den soziokulturellen Habitus seiner Weltläufigkeit neu herausgeputzt.

© Wolfgang Koch 2009

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