1. …Berlin unsicher machen
Dass man von den Amerikanern im 100er-Bus Unter den Linden entweder gefragt wird: „Who was Linden?“ oder ihnen den Weg zu den Originalschauplätzen von „Cabarett“ zeigen soll – daran hat man sich gewöhnt. Aber die Touristen lassen sich immer wieder was Neues einfallen: Kürzlich stellten einige koreanische Touristen in der Reichenbergerstraße (Kreuzberg), wo früher ein Lidl-Supermarkt war und nun ein Biomarkt der „LPG“-Kette, die Frage, ob man dort auch Hundefleisch kaufen könne. Auf die erstaunte Rückfrage: „Wie bitte?!“ zeigten sie auf ein halbdutzend Hunde, die gerade von ihren Besitzern zum Biomarkt gezerrt wurden bzw. bereits zitternd davor angeleint worden waren und mehr oder weniger kläglich jaulten. Man mußte ihnen umständlich erklären, dass die armen Fleischfresser im Gegenteil bereits ahnten – sie würden wieder mit teurem vegetarischen Hundefutter abgespeist werden.
Über der „Hasenheide“ kreisten zwei Polizeihubschrauber, die neugierig herbeigeeilten Touristen wurden Zeuge, wie man 12 junge Männer mit migrantischem Hintergrund abführte. „Waren das Rauschgifthändler?“ fragen sie sich und andere später im Gartencafé des Parks. „Nein, Glühbirnendealer,“ wird ihnen geantwortet, „seit kurzem sind 100-Wattbirnen in Deutschland verboten, der Handel damit kann mit bis zu 50.000 Euro Bußgeld bestraft werden.“ (1)
Zwischen Koch- und Leipzigerstraße wurden jede Menge neue Büros gebaut. Es ist eine fast vornehme Gegend geworden. Um so verwunderter sind immer wieder die Touristen, wenn sie dort Dutzende von Frauen stehen sehen, die sich angespannt in die Hauseingänge und -nischen drücken, selbst bei schlechtestem Wetter, einige unterhalten sich auch mißmutig miteinander. „So freudlos habe ich mir den Berliner Straßenstrich aber nicht vorgestellt,“ meinte eine Männer-Reisegruppe aus Böhmen. Sie mußte sich jedoch sagen lassen, dass es sich bei den Frauen durchweg um eher biedere Büroangestellte handelt – die bloß zum Rauchen auf die Straße gegangen waren. Seit über einem Jahr ist in Berlin das Rauchen in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen nicht mehr erlaubt. „Was es nicht alles gibt!“
Drei Künstler aus Djakarta bekamen kurz nach dem dortigen Bürgerkrieg eine Einladung, sich an einer Ausstellung im „Postfuhramt (Mitte) zu beteiligen, ihr Aufenthalt hier dauerte über den 1. Mai hinaus. Hochgespannt machten sie sich an dem Tag auf den Weg nach Kreuzberg: Alljährlich hatten sie mit leuchtenden Augen im philipinischen Fernsehen und in CNN Bilder von den Straßenschlachten in Kreuzberg gesehen: brennende Barrikaden, Molotowcocktails, Tränengasschwaden, Krankenwagen, schweres Räumgerät, Blaulichtgeflacker und Sirenen… Am Heinrichplatz machten sie spät nachts ihrer Enttäuschung Luft: „Das ist ja alles bloß Spiel hier – Räuber und Gendarm, der Arbeiterkampftag ist ein Medienspektakel bei euch. Selbst die Hubschrauber, die über den Demonstranten kreisten, filmten diese nur. Wenn bei uns in Djakarta Hubschrauber auftauchen, schießen die sofort mit automatischen Gewehren. Aber zwanzig Jahre lang haben wir gedacht, in Berlin wird noch viel härter gekämpft – bei uns dagegen nicht wirklich.“
Einem mexikanischen Ehepaar mit einem Dogo Argentino an der Leine und einem Mundschutz im Gesicht wird im Bahnhof Friedrichstraße von einem Ordnungshüter mit Händen und Füßen bedeutet, sein Hund müsse in der Öffentlichkeit einen Maulkorb tragen, andernfalls drohe eine gepfefferte Geldstrafe. Das Ehepaar kann es kaum fassen, dass in Deutschland wegen der Schweinegrippe nun eine Mundschutzpflicht für Hunde besteht.
Vor der Afrikaner-Disco in der „Kulturbrauerei“ (Prenzlauer Berg) wird einer Gruppe aus Kanada von zwei vor der Tür rauchenden Blondinen auf Englisch ironisch bescheinigt: „Hier dürfen keine weißen Männer rein!“ Sie sind so baff, dass sie nicht mal nachfragen. Später ist zu erfahren, dass sie kurz zuvor bereits bei einem Lesbencafé in Schöneberg ähnlich aufgelaufen waren und dass dann am „Kitkat-Club“ in Mitte der Türsteher sie mit der Bemerkung abgewiesen hatte, sie kämen nur mit weiblicher Begleitung rein.
In der Lobby des Hostels in der Köpenickerstraße bittet ein Gast einen anderen, der gerade gehen will, doch noch etwas zu bleiben. Der lehnt jedoch ab: „Ich will mir die Stadt ankucken!“ worauf ihm geantwortet wird: „Das eilt doch nicht, ich bin schon über zwei Wochen hier und war noch kein einziges Mal draußen.“ Ähnlich hält es eine Gruppe aus Friesland, die jedes Jahr in einer Pension in der Nürnberger Straße zwei Wochen „Berlinurlaub“ macht. Diesen verbringt sie fast zur Gänze im „Europa-Center“ am Tauentzien: „Da ist alles unter einem Dach!“
(1) Glühbirnen horten, die Verdunklungsgefahr bekämpfen:
Gleich zwei Hubschrauber kreisten über der Hasenheide. Bild berichtete anderntags triumphierend, dass ihr Einsatz erfolgreich war: „12 Drogenhändler gingen der Polizei ins Netz.“ Mitnichten! Sie nahmen keine Rauschgift- sondern Glühbirnen-Dealer fest. Schon gleich nachdem Herstellung, Handel und Genuß dieser Lichtquellen verboten worden war, hatten Osram und Philips die Glühbirnenpreise nahezu verdoppelt. Und obwohl sie dann sogar doppelt so viele Birnen wie früher verkauften, weil die Kunden massenhaft Vorräte anlegten – vor allem mit 100-Wattbirnen, die als erstes verboten werden, drängte Siemens/Osram auf Beendigung des Handels mit Glühbirnen. Das bezog sich auf die schmutzige Konkurrenz. Narva (in Brand-Erbisdorf), Philips, General Electric und Auer Lightnings bieten gerade neue Glühbirnen an: Sie brennen länger, verbrauchen weniger und sind heller. „Technology Review“ schreibt: „Die neue Technologie wendet sich an Kunden, denen das von Kompaktleuchtstofflampen abgegebene Licht nicht zusagt, die gleichzeitig aber dennoch etwas für die Umwelt tun wollen. Zumal die Entsorgung unkomplizierter ist: Reguläre Energiesparlampen enthalten giftiges Quecksilber, was sie zum Sondermüll macht,“ außerdem fehlt ihrem „kalten Licht“ der auf Dauer lebenswichtige Infrarotanteil.
Darüberhinaus werden auch weiterhin normale unter das Verbot fallende Glühbirnen angeboten: von Merkur in Hamm, von mehreren chinesischen Firmen und vor allem von italienischen Händlern. Das italienische Wirtschaftsministerium verweigert sich einstweilen noch dem europäischen Glühbirnenverbot. Das deutsche hat dagegen verfügt: Wer nach dem Stichtag noch matte Glühbirnen bestellt, dem droht ein Bußgeld bis zu 50.000 Euro. In Kreuzberg haben pfiffige Ökos bereits eine Beschäftigungsgesellschaft gegründet, die langzeitarbeitslosen 1-Euro-Jobbern eine Chance gibt (22 bisher): Diese patroullieren durch den Bezirk und zeigen alle an, die ihre Räume mit matten Glühbirnen erhellen. Sie erkennen die schon von weitem am warmen Licht. Das Ordnungsamt verhängt daraufhin ein Bußgeld von 123 Euro pro Birne (schon der Besitz ist strafbar!). „Es ist wie früher im Krieg, als Verdunklung angeordnet wurde, nur andersherum,“ meint einer der „Light-Controller“, der ungenannt bleiben will.
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2. Der ÖPNV in Berlin/ das „S-Bahn-Chaos“
„Die 3000 S-Bahn-Mitarbeiter sind Opfer!“ (Transnet)
Nachdem die dynamischen Treuhand- und McKinsey-Manager alle DDR-Betriebe abgewickelt und ihre hochbezahlte Tätigkeit auf Grundstückgeschäfte reduziert hatten, wurden sie geradezu massenhaft in die Leitungsebenen von BVG, S-Bahn und DB AG gelobt – wo sie ihr grausames Spiel fortsetzten : Massenentlassungen, Schließungen von Reparaturwerken und Grundstücksgeschäfte (die DB ist nach dem Senat Berlins größter Immobilienbesitzer). Treuhandchefin Birgit Breuel hatte beizeiten Flankenschutz gegeben: „Die Betriebe waren doch ‚übervölkert'“; sie bezichtigte die DDR, eine Politik der „versteckten Arbeitslosigkeit“ betrieben zu haben. Das wurde dann schnell anders.
2004 waren selbst die übrig gebliebenen S-Bahn-Reparaturwerke nicht mehr voll funktionstüchtig, von den Bahnen selbst bald ganz zu schweigen. Das Servicepersonal (von röm. Servus – Sklave) mußte eine Höflichkeitsschulung nach der anderen über sich ergehen lassen. Von den U-Bahnabfertigern entließ man einen fristlos, weil er sich weigerte, „Zurückbleiben – bitte!“ zu sagen. „Wir mußten ein Exempel statuieren,“ so der BVG-Sprecher. Die S-Bahnfahrer fanden bei Schichtbeginn immer öfter Zettel ihres Vorgängers auf der Konsole: „Bremsleitung links klemmt, nicht schneller als 60 fahren“ oder „In Linkskurven vorsichtig abbremsen!“ Es war wie in den guten alten Zeiten – des ewigen Materialmangels und der Engpässe. Ein Müllmann von der BSR, wo man ebenfalls Ost und West zusammengeknallt hatte, meinte einmal auf die Frage eines SPD-Politikers, ob seine Arbeit nun anders geworden sei: „Eijentlich hat sich nischt jeändert, ausser det Jesellschaftssystem.“
Bei der S-Bahn waren jedoch große Veränderungen geplant. Ihrem ersten Westchef, Axel Nawrocki, den man von der Treuhand nach getaner Abwicklungsarbeit auf die nun ebenfalls zu privatisierenden öffentlichen Einrichtungen losließ, fielen laufend neue Ideen ein, um aus der „maroden Anlage“ einen schicken Suburb-Shuttle zu zaubern: Cabrio-Waggons, die Wiedereinführung der 1. Klasse, mobile Cappucchino- und Bagle-Teams in gewagten Phantasieuniformen, grünleuchtende Infopoints usw..
Der BVG-Chef Graf von Arnim versuchte es ihm an Kreativität nachzutun. Er hatte zuvor im Auftrag von McKinsey alles kurz und klein privatisiert. 2002 hievte ihn sein einstiger Treuhand-Kollege Thilo Sarrazin in den BVG-Chefsessel, nachdem dieser Finanzsenator geworden war. Um den Thesen seines Förderers recht zu geben, die Sarrazin 2003 mit seinem Anleitung „Öffentlicher Dienst und Staatsbankrott“ vorgelegt hatte, verdoppelte von Arnim als erstes die Vorstandsposten, die er dann mit weiteren Privatisierungskumpeln besetzte, an andere verteilte er großzügig Beraterverträge (83 insgesamt). Selbst seine Freundin, eine Musicaldarstellerin, mußte ran: Sie bekam ein 50.000 Euro Jahresgehalt von „seiner“ BVG. 80 Führungskräfte beglückte er mit Dienstwagen aus der 5er-BMW-Klasse. Gleichzeitig verschlankte er die Belegschaft der mit einer Milliarde Euro verschuldeten BVG von 26.000 auf 13.000. Sein Jahresgehalt belief sich auf 300.000 Euro. Das Land (Sarrazin) versprach ihm obendrauf eine Prämie von 30 Prozent, wenn „seine“ BVG das vereinbarte Sparziel erreiche. Zum Glück starb der Graf 2005 plötzlich.
S-Bahn-Nawrocki, der laut taz „einfach zu viel wußte“, als dass Diepgen ihn unversorgt lassen konnte, bekam als S-Bahnchef eine halbe Million im Jahr – und rückte außerdem in den Vorstand der Bahn AG vor. Dort kippte ihn jedoch 1999 Mehdorn raus – mit der Begründung: „Sein unternehmerisches Konzept hat nicht überzeugt.“ Jetzt – nach dem „S-Bahn-Chaos“ – wurde gleich der gesamte Vorstand gefeuert. Berlin wird langsam wieder Treuhandmanagerfrei. Aber das ist keinem Druck von unten oder gewerkschaftlichem Sonstwieeinfluß zu verdanken. Auch hat kein S-Bahnarbeiter oder -Betriebsrat Alarm geschlagen. Alle (proletarischen) Subjektäußerungen sind hier und heute erst einmal an ein Ende gekommen, stattdessen haben wir es mit Objektstrategien zu tun: Es sind nun die S-Bahnzüge selbst, die sich wehren.
Den Anfang dazu machte allerdings nicht die Infrastruktur- sondern die Baustellentechnik. Als der Bauboom in Berlin losging, stiegen nicht etwa die Bauarbeiterlöhne, sondern sie sanken. Aber es gab keinen Widerstand dagegen – bis auf eine einzige Gewerkschaftsdemonstration, deren Wut sich gegen die Container der ausländischen Bauarbeiter richtete. Die Künstler, die sich im Dutzend an die Bauherren ranschmissen, malten ihre Baustellenbilder gleich ohne Arbeiter. Sie hießen z.B. „Kräne am Abend II“ oder „Kran am Morgen“. Zwei arbeitslose Kuratorinnen organisierten sogar ein „Kranballett“. Und ein Berlinfilm hieß: „Das Leben ist eine Baustelle“. Aber in menschlicher Hinsicht rührte sich da nichts mehr, deswegen schritten die Kräne selbst zur Tat: An der Baustelle „Kontorhaus Mitte“ erschlug ein Drehkran die Baustellenmalerin Käthe Ebner mit einer tonnenschweren „Kranmatraze“. „Alptraum Baustelle“ titelte die Bildzeitung und „Die Zeit“ schrieb – in alter Klassenkampfmanier: „Möge ihr Tod nicht umsonst gewesen sein!“
P.S.: Der WDR strahlte gerade einen Film mit dem Titel „Ausverkauf“ aus, in dem es um die Folgen von Privatisierungen in verschiedenen Ländern ging. Dabei wurde am Beispiel der Privatisierung der englischen Eisenbahn besonders deutlich, wie sich dabei ebenfalls die Objekte (Züge) – quasi mit Händen und Füßen – wehrten, anstelle der Subjekte, und das so erfolgreich, dass die Infrastruktur für die Eisenbahn danach wieder zurück-verstaatlicht werden mußte. Vor einigen Jahren bin ich auf der Strecke London-Edinburg und zurück selbst mehrmals Opfer der dortigen „Objektstrategien“ geworden: Die „Flying Scotsman“-Loks wollten einfach alle nicht anspringen!
Jean Baudrillard hat dies hellsichtig/paranoisch vorausgesehen:
In seiner Habilitationsschrift Mitte der Achtzigerjahre sprach Jean Baudrillard von der „Kunst des Verschwindens“ – verstanden als ein „Tarnverfahren zum Überleben“ – d.h. als eine Subjektstrategie, die auf Verführung basiert. Kurz vor seinem Tod, 2007, hat er diese „Kunst“ noch einmal thematisiert: Diesmal – nahe an Günter Anders‘ These von der „Antiquiertheit des Menschen“ – als Objektstrategie eines umfassenden „digital processing“, das den Menschen qua Technologie zum Verschwinden bringt – damit aber auch das Böse sowie alle Radikalität: „Wenn sie sich vom mit sich selbst versöhnten und dank des Digitalen homogenisierten Individuum trennt, wenn alles kritische Denken verschwunden ist, dann geht die Radikalität in die Dinge über. Und das Bauchreden des Bösen wechselt zur Technik selbst hinüber…Wenn die subjektive Ironie verschwindet – und sie verschwindet im Spiel des Digitalen – dann wird die Ironie objektiv. Oder sie verstummt.“ Ja, dank des „Klonens, der Digitalisierung und der Netze“, so Baudrillard, sind wir eigentlich schon so gut wie verschwunden.
Die Ironie als Objektstrategie besteht z.B. darin, dass nach der Wende alle alten und neuen wilden Künstler anfingen, Baustellen zu malen – um ihre Kunst an den Bauherren zu bringen. Anders als früher gab es auf ihren Werken jedoch durchweg keine Bauarbeiter mehr. Deren hilflose Wut zeigte angesichts des Lohndumpings ausgerechnet im Hauptstadt-Bauboom bereits das langsame Verschwinden der alten Arbeiterklasse an – „in Wirklichkeit“ und nicht nur in der Kunst. Dafür wurden „Kranballets“ inszeniert und einmal erschlug ein umstürzender Baukran eine „Nachwuchskünstlerin“ (BILD). Solche ironischen Objektstrategien haben zum Hintergrund die enorme Warenanhäufung. Selbst die Liebe ist nur noch konsumistisch realisierbar: mittels Kinobesuch, Candlelight-Diner, romantischem Urlaub oder anderen Freizeitvergnügungen. Sogar der gelungene Geschlechtsakt hat mehr und mehr Waren bzw. käufliche Dienstleistungen – wie Fitness- und Solariums-Center-Besuche, Pornofilm-Kennerschaft, Reizwäsche, Viagra, Parfums, Öle, etc. – zur Voraussetzung. Und selbst die gemütliche Kneipenrunde hat sich schon objektmäßig gegen uns gewendet. Das Bier, das wir bestellen, ist nicht mehr Mittel zum Zweck (des Gespräch), sondern umgekehrt: Man hat sich nichts mehr zu sagen, stattdessen rückt die Frage, ob man noch eine Runde und noch eine und noch eine bestellt, in den Mittelpunkt. Dazu gibt es immer mehr Biersorten. Und sowieso dürfen wir nicht einfach mehr miteinander reden sondern müssen kommunizieren: Wie oft sieht man Leute zusammen sitzen und sich fast nur noch mit ihren Handys beschäftigen.
Die „kommunikative Vernetzung“ ist zum Wert an sich geworden und nicht mehr „Mittel zum Zweck der Verständigung,“ schreibt Miriam Meckel in ihrem Buch „Wege aus der Kommunikationsfalle“, in dem sie vom „Tanz ums Telefon“ spricht. Allein das Marktvolumen für Klingeltöne beläuft sich inzwischen auf 5 Milliarden Dollar. Und täglich werden 171 Milliarden E-Mails verschickt, neuerdings immer öfter auch von Handys. Eine Glasgower Studie ergab, dass Bürobeschäftigte bis zu 40 mal in der Stunde ihr E-Mail-Programm aufrufen. Beim Mikrochiphersteller Intel wurde festgestellt, dass selbst Ingenieure, die im selben Büro sitzen, sich lieber E-Mails schicken als miteinander zu reden. Einige große US-Unternehmen haben ihre Mitarbeiter bereits zu „No E-Mail Fridays“ verdonnert. Aber auch nach Feierabend oder gerade dort „organisieren bereits Millionen ihre Freundeskreise über Online-Netzwerke,“ schreibt der Spiegel in seiner Jahresend-Ausgabe – und zitiert eine Carolin Thiele (25): „Hundertmal am Tag gehe ich da rein, ganz schlimm.“ In dem neuen Suhrkamp-Reader „Schicht! Arbeitsreportagen für die Endzeit“ hat Feridun Zaimoglu einen Anbieter von Internet-Sex interviewt: Die Männer zahlen über 100 Euro dafür, der Unternehmer meint jedoch, dass viele diesen Bildschirm-Wichs erotischer finden als reale Sexualkontakte. Die BZ veröffentlichte neulich schon Tipps für Leute, die nicht mehr ficken können, wenn keine Kamera dabei ist, die sie währenddessen aufnimmt. Den Anfang dazu machte Amanda Lear, als sie alle Spiegel in ihrem Haus entfernte und durch Videokamers und Bildschirme ersetzte.
Kein Speed-Breaker, sondern ein Reifen-Zerfetzer. Photo: Peter Grosse. Näheres dazu siehe blog-eintrag vom 18.3.2009 (Hausmeisterkunst 311)
Noch mal zur „Objektstrategie“…:
Von Alexander Kluge stammt der Nachweis, daß auch Orte, Plätze und ihre darin gespeicherte Geschichte die Menschen prägen: Diese bilden sich nur ein, daß sie gemäß ihrer Interessen und Leidenschaften handeln, in Wahrheit diktiert ihre Umgebung ihnen die Pläne geradezu gnadenlos. Jean Baudrillard sprach in einem etwas anderen Zusammenhang von „Objektstrategien“. Für die sowjetische Schriftstellerin und Kommissarin Larissa Reissner waren diese noch ein frommer Wunsch, als sie 1920 in Kabul die erste und einzige Fabrik dort besuchte – eine englische Tuchweberei – und die unter fürchterlichen Bedingungen arbeitenden ersten afghanischen Proletarier sah. Anschließend schrieb sie: „Wenn Gegenstände ihren Besitzern Glück oder Unglück bringen, dann würde ich jene nicht beneiden, die diese vom gesunden Klassenhaß durchtränkten Mäntel und Decken ihr Eigen nennen werden“.
In der allgemeinen Ablehnung der sogenannten „Montagsautos“ hat sich dieser frühsowjetische Gedanke bis heute erhalten. Aber jetzt gibt es einen Berliner Wissenschaftler, Dr.Salm-Schwader, der das Phänomen quasi wissenschaftlich erforscht. „Nehmen wir nur unsere immer hygienischer hergestellte tägliche Milch – von unglücklichen Kühen, die nur noch sechs Jahre als Hochleistungsträger leben dürfen, deren gesamte Existenz auf die Milchproduktion ausgerichtet ist, die ihre computerisierten Ställe nicht mehr lebend verlassen dürfen, deren ganze Krankheitsmöglichkeiten – als einzige Form des Widerstands gegen diese Zurichtung – sich auf ihre Euter konzentrieren…nehmen wir all diese hochindustrialisierten Lebensbedingungen der heutigen Kühe zusammen, dann ist es inzwischen den meisten klar, daß die dabei gewonnene Milch reines Gift für die Menschen und insbesondere für Kinder geworden ist! Aber das muß man erst einmal beweisen“. Dr. Salm-Schwader ist es gelungen!
Den Anfang dazu machte er bei der Sportswear: also bei den Klamotten der Textil- und Schuhkonzerne Adidas, Puma, Nike, Reebock und wie sie alle heißen. Diese werden zumeist in Steueroasen und Billiglohnzonen in China, Malaysia, Mexiko und der ehemaligen Sowjetunion hergestellt – fast immer von jungen Frauen, die gewerkschaftsfern von ihren Chefs auch sexuell ausgebeutet werden und keine Möglichkeit des Aufbegehrens haben, weil die Alternative zu diesen „Arbeitsverhältnissen“ nur in der Prostitution besteht. Alle Tränen der Wut und der Verzweiflung dieser Sportswear-Näherinnen, vor allem ihr Schweiß, der ihnen in den nichtklimatisierten überhitzten, staubigen und lauten Hallen in Strömen von der Stirn tropft, und sogar ihr Blut, daß sie an den alten, ungesicherten Maschinen vergießen, wenn sie einmal einen Moment unaufmerksam sind – all das geht in diese gottverdammten Kleidungsstücke ein. Die Sportswear, der Edelmarken ebenso wie der Produktpiraten und Billiganbieter, wird inzwischen fast überall auf der Welt verkauft. Und wer trägt sie letztendlich?
Fast ausschließlich junge Männer, die sich mit Gelegenheitsverbrechen, mindestens Beziehungsbetrügereien, über Wasser halten: schleimige, hässliche Arschlöcher, die an den Ecken stehen und auf eine günstige Gelegenheit warten, verpisste neonazistische Penner, die auf Ausländer schimpfen und sie sogar verfolgen, miese, ewig alkoholisierte Fußballfans, die öffentliche Nahverkehrsmittel vollkotzen sowie schon völlig verblödete Bildzeitungsleser und Praliné-Wichser…Kurzum: dieses ganze Mänmnerelend (es gibt inzwischen weltweit kein einziges unintelligentes Verbrechen mehr, bei dem die Täter nicht mindestens Turnschuhe trugen!) – das ist kein Lumpenproletariat mehr, das ist auch nicht die Rache der Chromosomen, sondern die unmittelbare Wirkung der von ihnen favorisierten Sportswear, d.h. des in deren Gewebe gespeicherten Hasses auf die Globalisierung.
Die schwarzen Jugendlichen in den Ghettos, die als erste diese Sportswear trugen, haben es vielleicht noch geahnt: Das Schweinesystem hatte die Black Panther Partei ihrer Eltern zerschlagen, aber deren message „“Black is beautiful“ hatte überlebt. Damit hatten sie ihnen eine Fluchttür geöffnet: das Show- und Schlagerbusiness. Und über dieses Entertainment für Weiße wurde die von ihnen getragene Sportswear zur weltweiten Mode. Inzwischen ist sie für russische Profikiller ebenso wie für die Mitglieder der berüchtigten mandschurischen Hammerbande, aber auch für brasilianische Zuhälterringe und Westberliner Herthafans geradezu zur Berufskleidung geworden. Jeder kann diese These von Dr. Salm-Schwader sofort nachprüfen! Er muß dazu nur ins nächste Ekelkaufhaus gehen, nacheinander verschiedene Sportswear-Kleidungsstücke anprobieren – und eine Weile damit vor dem Spiegel auf und ab gehen, dabei sich drehen und wenden…kurz: sich reinfinden. Wer noch nicht völlig verroht ist, wird merken, wie aus ihm – sagen wir: ein gut erzogener protestantischer Abiturient aus Hannover – dabei in Nullkommanichts ein mieser kleiner Drecksack wird. So schnell geht das. Und wenn man sich dann noch zu ganzen Sportswear-Rudeln zusammenrottet, dann wechseln sensible weibliche Teenager bereits von weitem die Straßenseite – und das zu Recht.
Was hier wie ein Kontaktgift wirkt, verbreitet sich bei anderen Waren/Objekten weitaus subtiler und ist auch schwieriger nach zu weisen. Über die ebenfalls von solch erbarmungswürdigen jungen Frauen in der Dritten Welt zusammengekloppten Mobilfunktelefone – den sogenannten Handys – weiß man inzwischen, daß ihren Besitzern mit jeder Benutzung mehr das Gehirn erweicht, daß sie völlig verblödet im öffentlichen Nahverkehr ständig diese Dinger rausholen und anstarren und wenn sie sie benutzen so brunzdumme Sachen sagen wie „Ich sitze hier in der Straßenbahn und bin gleich da“ oder „Ich stehe hier im Stau und komme zehn Minuten später“. Daß die Handy- Besitzer auf diese unschöne Weise zu Vegetables und Idioten mutieren, ist dabei jedoch noch nicht mal das sozial Gravierendste. Viel schlimmer ist es, daß auch die von ihnen Angerufenen alle auf Dauer mit in den Verblödungsstrudel hineingerissen werden – und sogar alle, die von berufs wegen, also aus Staatssicherheitsgründen, mit dem Abhören dieser ganzen Dreckskommunikation befaßt sind.
Auch hierzu hat Baudrillard bereits Erhellendes beigesteuert, als er einmal meinte: „Wir dürfen nicht mehr miteinander reden, wir müssen kommunizieren!“ Das heißt: die Schweinekonzerne wie Nokia, Siemens, Mortorola etc., die solche Geräte herstellen, entwürdigen und vertieren damit nicht nur ihre ganzen jungen schönen Arbeiterinnen in der armen Dritten Welt, sondern über die Käufer dieser Handys auch gleich noch die halbe Bevölkerung in den reichen Ländern. Das mag eine ausgleichende Gerechtigkeit sein, aber unter dem Strich kriegen wir es dabei mit Millionen von Verkrüppelten zu tun. Und dabei sind noch gar nicht all die Fälle mitgerechnet, die erbärmlich leidend und elendig an Gehirntumor oder Ohrenkrebs zu grunde gehen, nur weil sie mangels einer anständigen Lektüre im Bus unbedingt und ständig telefonieren mußten – ohne was zu sagen zu haben. Nur am Rande sei vermerkt, daß die Umweltforscher und Ökologen mit ihrer Warnung vor dem „Elektrosmog“ und der „Funkstrahlenverseuchung“ durch Handys natürlich wieder einmal rechtzeitig die richtige Antwort gefunden haben – jedoch erneut in der falschen Sprache (des kleinen Elektroingenieurs nämlich).
Das gilt auch für ihre Kritik am Kinderspielzeug. So ist z.B. das Weltprodukt – „Barbie und Ken“ nicht deswegen gemeingefährlich, weil aus Plastik, gifteingefärbt und mit PVC-Ausdünstungen umflort, sondern weil die jungen Arbeiterinnen in Indonesien, Honduras, Mexiko und Hongkong, die dabei stundenlang in Gluthitze und bei ohrenbetäubendem Pressenlärm stehen müssen, ständig vor sich hinfluchen: „Hoffentlich verrecken all diese elenden Kinder, die diese Barbie-Puppe geschenkt kriegen!“ Verrecken tun sie nicht, aber sie verbarbien auf noch grausamere Weise – wenn sie später mal in die Nähe dieser Arbeiterinnen geraten, merken sie, daß sie selbst inzwischen zu einer dämlichen Plastik-Barbie-Puppe geworden sind – im Vergleich mit all den wirklich lebendigen Proletarierinnen um sie herum. Und das gilt selbst für solche Kinder, die nur in ein und der selben Schulklasse mit Barbiepuppenbesitzern waren. Im übrigen, was diese Flüche aus den mittelalterlich anmutenden Barbie-Puppen- Fabriken betrifft, so gehen selbst hartnäckige Leugner des Glaubens nicht so weit zu behaupten, daß solche Stoßgebete im Quadrat ihrer Entfernung abnehmen.
Es nützt also überhaupt nichts, sich solche Puppen hunderte oder gar tausende von Kilometern entfernt in einem ruhigen Mittelschichts-Laden zu kaufen – klinisch verpackt! Das lebensverderbende Malediktum ist sozusagen in der Puppe inkarniert – und wird in jedem Fall mit all seinen verderblichen Wirkungen von den lieben Kleinen – sagen wir: in Dahlem-Dorf – inhaliert. Ganz ähnlich ist es mit den Energiesparlampen, insofern sie in chinesischen Arbeitslagern gefertigt werden, im Auftrag der großen westlichen Elektrokonzerne. Auch an diesen Objekten ist nicht so sehr der Quecksilbergehalt oder der überhöhte Preis verdammenswürdig – wie die Ökos und die Stiftung Warentest meinen, sondern die Produktionsbedingungen in den Lagern. Die dort Arbeitenden haben nur eine einzige Möglichkeit der Rache, das ist das sogenannte Materiellwerden ihres Hasses, wobei auch hier wieder die Übertragung ihrer inneren Einstellung über Flüche, Speichel, sonstige Körperabsonderungen und sogar Handberührungen geschieht. Und man kucke sich die ganzen Leute an, die irgendwo in ihrem Haus eine Energiesparlampe in Benutzung haben: Es ist durchweg alles egomanisches Spargesindell, das – nur um völlig willkürlich ein paar Groschen Atomstrom zu sparen – buchstäblich über Leichen gehen würde – über chinesische in diesem Fall. Dagegen hilft auch kein Abwaschen der Lampen vor Benutzung. Wer sich solch einen durch und durch verdammungswürdigen Gegenstand kauft, der hat zu Recht sein Leben verwirkt – auch wenn er wie Ernst Jünger, Leni Riefenstahl und Luis Trenker oder all die anderen Nazibestien über 100 Jahre alt wird. Das Gegenteil ist sogar wahr: Wer Energiesparlampen kauft und benutzt, der wird uralt – und das ist die größte Strafe! Dr.Salm-Schwader arbeitet zur Zeit an dem wissenschaftlichen Nachweis, daß auch Geschirrspülmaschinen, Staubsauger, Mikrowellenherde, CD-Player, Radios, Fernseher, Computer und Faxgeräte sowie normale Telefone letztendlich voll faschistisch sind, weswegen man Leute, die sich solch einen Scheiß kaufen bzw. benutzen wie die Pest meiden sollte.