vonMathias Broeckers 14.10.2008

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Wir haben zwar meistens was zu meckern, aber erstmal ist zu loben, dass zum taz-Geburtstag hier auch eine Ecke für Urgesteine und Tazisten der ersten Stunde eingerichtet wird. Das waren Zeiten, die sich die heutigen Jung-Redakteure gar nicht mehr vorstellen können, sie müssen deshalb auch in den überflüssigen RAF-Film des unerträglichen Stefan Aust rennen. Von meiner Nichte, die ihn gerade gesehn hat, habe ich immerhin erfahren, dass man dort nicht nur die Irren von der RAF wild rumballern sieht, sondern auch ein Gefühl dafür bekommt, wie dumpf und brutal die Staatsgewalt damals drauf war. Das war sie wirklich – und wer das von den taz-VeteranInnen nicht am eigenen Leib mitgekriegt hatte, der erlebte es spätestens in den nahezu gleichgeschalteten Medien. Auch wenn die RAF verglichen mit der Terrordimension des 11. September 2001 nur eine Räuber Hotzenplotz-Nummer war, das bushistische „With us – or with the terrorists“ war schon genau dasselbe. Wer auch nur einen Funken Verständnis für die Intentionen der Studenten und der Stadtguerilla äußerte, galt schon als Unterstützer und Terror-Sympathisant. Und war quasi zum Abschuss freigegeben (wie Benno Ohnesorg, Georg von Rauch, Tommy Weissbecker). In diesem erstickenden Klima wurde ein freies unabhängiges Medium so dringend erforderlich, dass am „Projekt Tageszeitung“, das erstmals auf dem Tunix-Kongress 1978 vorgestellt wurde, kein Weg vorbeiführte. Die Themen dafür mussten nicht gesucht werden, sie lagen als unterbliebene und unterdückte Nachrichten auf der Straße – und sie brannten den taz-MacherInnen auf der Seele, im Herzen, im Bauch. Ja, wir waren betroffen, von der bleiernen Zeit des „Deutschen Herbsts“, und aus dieser Betroffenheit heraus wurden wir Journalisten – und zum Spott der „professionellen“ Journaille, die dem anarchistischen Kollektivprojekt taz keinerlei Überlebenschancen gaben. Doch wenn man dann Mitte der 80er mit den ersten zu etablierten Blättern abgewanderten tazlern über ihre neue Arbeit sprach, hörte man oft: „Ach, eigentlich ist es langweilig, die lesen da morgens die taz und kommen dann mit einer Liste von Themen und der Ansage: Dazu müssen wir auch mal was machen.“ So wurde die taz zum Impulsgeber und Ideenlieferant – und die Themen, die sie setzte, zum Trend im Mainstream. Heute – und damit kommen wir zum Meckern – ist das nur noch selten der Fall und der Grund dafür liegt auf der Hand: es brennt nichts mehr, auf den Seelen und im Bauch der taz-MacherInnen. Anstelle von Betroffenheit ist Coolness eingezogen und anstelle von Wut journalistische Routine, nicht die Ticks der AutorInnen, sondern die Ticker der Agenturen diktieren das Tagesgeschäft. Nur noch sporadisch blitzt die alte Authentizität, Spontanität und Originalität auf. Das muss anders werden, denn sonst gilt auch für die taz bald der alte APO-Spruch: „Trau keinem über Dreißig!“

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