vonSchröder & Kalender 19.09.2008

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

***

Der Bär flattert in südlicher Richtung.

In unserer Kolumne in der jungen Welt berichten wir heute von einer Ausstellung des Künstlers Magnús Pálsson, die frau sich nicht entgehen lassen sollte, man natürlich auch nicht. Besucht doch einfach mal die Galerie Crystal Ball und lest die Träume an der Wand. Kleine Trittleiter nicht vergessen!

Manchmal ein großes Verlangen

Untertitel für die Online-Ausgabe: Vom Sinn und Unsinn der Traumdeutung

Schon seit langem hatte uns Wolfgang Müller von dem Doyen der isländischen Avantgarde erzählt, Magnús Pálsson arbeitete mit Dieter Roth zusammen, inszenierte Performances, schuf Skulpturen, vertrat Island auf der documenta 6 und auf der Biennale in Venedig, schrieb Theaterstücke, komponierte und verschränkte alle diese Medien miteinander.

Jetzt stellt der Künstler in der Berliner Galerie Crystal Ball aus und natürlich wollten wir das erleben. Die Ausstellung heißt ›Dreams‹. Pálsson hat die Träume zahlreicher Personen gesammelt, diese Texte in unterschiedlicher Typographie schön gesetzt und in verschiedenen Farben auf weiße DIN-A4-Blättern ausgedruckt. Hunderte dieser Träume bedecken wie eine Tapete die Wände der Galerie vom Fußboden bis zur Decke. Der schwenkende Ventilator läßt die Blätter sacht wehen.

Wir waren etwas früher dran, Wolfgang Müller stellte uns einen japanischen Schriftsteller vor, der ›Die Tödliche Doris‹ nach Japan gebracht hatte. Jörg unterhielt sich mit ihm, während ich die Träume an der Wand entlang las. Neben mir taten das auch zwei junge Männer. Der eine war ein großer Adonis mit feuerrotem Haarschopf, der andere klein, ein Idolino mit niedlicher Kappe auf dem hübschen Kopf. Ich sprach den Adonis an: »Der Raum gefällt mir, schöne Idee mit den Träumen, besonders, weil sie im Luftzug wehen.« Er zeigte auf einen Traum und lächelte: »Der ist interessant, da träumt jemand, seine Großmutter sei gestorben. Man verrät doch viel zu viel von sich selbst. Ich würde nie jemand meine Träume erzählen.« »Warum denn nicht? Ich rede gern darüber, habe sogar mal ein Blog geschrieben, daß ich von einem Wolf geträumt habe, der mich immer begleitete, wir waren sehr vertraut miteinander …« Er unterbrach mich: »Dann mußt du ja ein ausgeprägtes Sexualleben haben.« »Danke für die Blumen«, sagte ich. Adonis redete weiter: »Sieh dir meinen Freund an, ist er nicht wunderschön? Aber er will nicht mit mir schlafen. Er will es einfach nicht.« Während dieses Gesprächs stand Idolino stumm dabei und lächelte reizend.

»Mein Vater ist Psychotherapeut«, erfuhr ich nun, »ich würde nie meine Träume erzählen.« »Aber diese Traumdeutungen der Therapeuten sind doch oft an den Haaren herbeigezogen. Ich kann dir erklären, warum ich vom Wolf träumte. Ich hatte am Abend zuvor die ›singenden Hunde‹ gehört, weißt du, den Gesang der Schlittenhunde in Alaska, den Oswald Wiener aufgenommen hat.« »Ja, kenne ich. Aber ich habe Angst vor Hunden. Warum nimmt nicht mal einer Katzen auf? Die schreien doch viel interessanter. In meinem Hinterhof schreit manchmal eine wie ein weinender Mensch.« Ich lenkte das Gespräch wieder auf die Träume: »Weißt du, ich träume viel vom Wasser, und ich glaube, ich weiß woran das liegt. Als kleines Kind bin ich fast mal ertrunken, saß unten auf dem Boden des Badetümpels und sah oben, wie die Sonne sich in den Wellen spiegelte und hatte eine Euphorie …« »Ich habe das auch oft gemacht als kleiner Junge in Israel. Ich bin immer wieder in den Pool gesprungen und versunken, mein älterer Bruder hat mich jedesmal hochgeholt. Noch heute habe ich ein großes Verlangen zu ertrinken und gleichzeitig, daß mein großer Bruder mich rettet.«

»Interessant«, sagte ich, »bei mir war es umgekehrt. Meine große Schwester hatte mir die Luft aus dem Schwimmreif gelassen, als ich fünf Jahre alt war. Sie ärgerte sich darüber, daß ich immer dabei war, wenn sie mit den großen Jungs poussierte. Jemand hat mich dann aus dem Wasser gezogen, und von dem Moment an konnte ich schwimmen. Ich glaube, deshalb träume ich immer vom Wasser.« »Du analysierst dich selbst, das ist gefährlich. Ich weiß das, mein Vater, der Psychotherapeut …« Plötzlich brach Idolino sein Schweigen, er lächelte ihn an: »Laß uns jetzt gehen.« Idolino hatte es sich wohl anders überlegt, und noch bevor der isländische Botschafter seine Eloge auf den Künstler Magnús Pálsson begonnen hatte, verschwanden die beiden eilig und einträchtig aus der Galerie.
***
Bis 18. Oktober (mit Finissage um 20 Uhr), Galerie Crystal Ball, Schönleinstr. 7, Berlin, Di., Fr., So: 15 bis 20 Uhr. Magnús Pálsson – Dreams

(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/traumtapete/

aktuell auf taz.de

kommentare